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Schlingensief gründet erneut Partei

■ Skandalregisseur splattert: Theatralisch verläßt Schlingensief den Gründungsparteitag seiner "Partei der letzten Chance" (PLC) und gründet neue Partei. Nun wollen sowohl die "PLC" als auch die "Schlinge

Christoph Schlingensief hat ein „Kettensägenmassaker“ an der „Partei der letzten Chance“ (PLC) angerichtet. Statt auf dem Gründungsparteitag im Szenelokal Prater die PLC weiter zu leiten, hat Parteiboß Schlingensief dieser den Rücken gekehrt und eine neue Partei ins Leben gerufen. Durch endlose Satzungsdebatten und Programm-Heuchelei sei die PLC- Partei in die „gefährliche Nähe“ zu etablierten Parteien gerückt, führte der Skandalfilm-Regisseur zur Begründung an. Er selbst hatte die Partei mit dem Slogan „Chance 2000“ vor einer Woche ins Leben gerufen.

Nur eine Viertelstunde nach der Abkehr von der PLC trat Schlingensief mit einer neuen Partei auf den Plan: der „Schlingensief-Partei“. Deren Programmpunkte seien: Bewegung, Transparenz, Freundschaft, aktive Neutralität und Lust. „Ohne Fragen nach Ideologie wollen wir schnell und unkompliziert einen Mann im Bundestag haben“, sagte Schlingensief. Am Freitag wollen die Parteimitglieder als Wahlkampf- Aktion ins KaDeWe: „Wir fahren da hin und gehen einkaufen“, so Schlingensief. Ein anderes Wahlkampfprojekt sei ein „Arbeitslosennotkommando“, das am Bahnhof Zoologischer Garten den Reisenden beim Koffertragen helfen könne. An der PLC kritisierte Schlingensief weiter, daß sich bei dieser Lobbyinteressen abgezeichnet hätten: „Es gibt genug Arschlöcher, die sich immer voranstellen. Da sind Leute, die sich unbedingt zum Sprachrohr anderer machen möchten.“

Im Gründungsvorstand der „Schlingensief-Partei“ befinden sich in der Hauptsache Freunde und Bekannte aus der Theaterszene. Trotzdem soll auch die neue Partei soziale Minderheiten direkt ansprechen. Für das nächste Treffen am Sonntag habe er Achim von Paczensky und Werner Brecht eingeladen, zwei „tendenziell unmündige Leute“, die er bei Dreharbeiten für einen Splatterfilm und bei einem Stopfkurs kennengelernt habe.

In der PLC gibt man sich trotz des Ausstiegs von Schlingensief entschlossen. „Wir machen auf jeden Fall weiter“, erklärt Michael Graf, eines der beiden übriggebliebenen „PLC“-Gründungsmitglieder. Auch Jens-Adolf Reese, Kraftfahrer und Hobby-Anthropologe, will in der PLC weiterarbeiten: „Es ist gut, daß wir nun keine Führerpartei mehr sind. Jedoch ist es desillusionierend zu sehen, daß die Leute eine solche Partei wollen.“ Nach der Spaltung bekannten sich circa siebzig Anwesende zur „Schlingensief-Partei“, jedoch blieben nur dreißig bei der PLC.

„Da gehen die Leute hin, zu den großen Namen“, meinte Dietrich Kuhlbrodt verächtlich. Er ist pensionierter Staatsanwalt, PLC- Wortführer und Darsteller des von der Volksbühne inszenierten „Wahlkampfzirkus“. „Wir waren uns einig, daß das Projekt ernsthaft betrieben werden sollte. Ich hätte mir die Arbeit nie gemacht, wenn ich gewußt hätte, Schlingensief macht das nur aus Daffke.“ Alle Leute, die Hoffnung gehabt hätten, stünden nun „verlassen und belämmert da“.

Kuhlbrodt kündigte die nächste PLC-Versammlung für den „Wahlkampfzirkus“ am kommenden Samstag an. „Da bin ich gespannt, wie Schlingensief präsent ist“, sagte Kuhlbrodt. Christoph Domnitz

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