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Schlimme Geschichte

In Stammheim begann der Prozess gegen zwei Antifaschisten, die 2020 am Rande einer „Querdenker“-Demo Mitglieder des rechten Vereins „Zentrum Automobil“ schwer verletzt haben sollen. Ein Lagebericht.

Zum Prozessbeginn vor dem Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim: Grüppchenbildung. Foto: Julian Rettig

Von Anna Hunger↓

Das war kein Dienst an der Bewegung, die sich gegen Rassismus und rechts einsetzt. Zumindest aus dem Blickwinkel eher bürgerlicher Kräfte ohne Lust auf oder Erfahrung mit Straßenkampf. Erst brannten in der Nacht auf den 16. Mai drei Fahrzeuge, die am darauffolgenden Tag die Übertragungstechnik für die „Querdenker“-Demo auf dem Cannstatter Wasen stellen sollten, später kam es durch autonome Aktivisten zu Übergriffen auf Mitglieder der Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“, die seit einigen Jahren massiv versucht, rechte Politik auch in Betrieben zu verankern. Drei davon wurden verletzt, einer davon, Andreas Ziegler, lag im Koma.

Keine schöne Geschichte, eine schlimme sogar. Und keine einfache für die linksliberale Szene. Seitdem macht vor allem das „Zentrum“ um den Ex-Rechtsrocker (Noie Werte) Oliver Hilburger mit verwandten und verschwägerten rechtsextremen Medienportalen und Organisa­tionen wie dem „Compact“-Magazin und „Ein Prozent“ Solidaritätsarbeit für die drei Opfer und gegen DGB und IG Metall, in deren Kreisen sie Gewaltbereite wähnen. „Der DGB hat mitgeschossen!“ stand auch auf dem Banner, das Identitäre kurz nach dem Vorfall vom Dach des Gewerkschaftshauses in Stuttgart ausgerollt hatten.

Auch die Antifa mobilisiert, kürzlich erst bei einer der größten Antifa-Demos, die die Stadt je gesehen hat, martialisch in schwarz-rot, mit Pyrotechnik, für Soli­darität mit den beiden Gefangenen „Jo“ und „Dy“. Den beiden jungen Männern wird vor der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts versuchter Totschlag vorgeworfen. Sie sollen „den Tod eines Geschädigten zumindest billigend in Kauf genommen“ haben, schreibt das Gericht. Verhandelt wird bis in den September ­hinein. Am Montag war Prozessauftakt.

Vor dem Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim ist um Viertel nach acht am Morgen mords was los. Und alles schwarz. Sehr viel Antifa mit Solidaritätsbannern, sehr viel Polizei. Dazwischen AfD und Rechtsextreme wie Simon Kaupert, Mitarbeiter von „Ein Prozent“, „Volkslehrer“ Nikolai Nerling und Michael Stecher von „Fellbach wehrt sich“. Mordsauflauf hier, meint auch der dpa-Fotograf, so viel war nicht mal los beim Prozessauftakt gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Gruppe S.“ an selbiger Stelle. Vor den Türen quetschen sich die Leute, Corona-nonkonform sozusagen, was aber nie­man­den juckt.

Irgendwann geht endlich die Tür auf und rein geht’s in Richtung Verhandlungssaal. „Unter größten Sicherheitsvorkehrungen“, wie man das landläufig nennt, also keine Taschen, keine Armreifen, Fingerringe, Halsketten, auch Uhren und Handys sind verboten, ein Metall­detektor scannt Körper, eine Polizistin tastet Schuhe ab. Corona-bedingt sind nur 14 Personen im Gericht zugelassen, sieben JournalistInnen und sieben BesucherInnen, die meisten mit rutschenden Hosen und an sich herumzupfend, denn auch Gürtel mussten draußen bleiben.

Die Verhandlung findet hinter Sicherheitsglas statt. Rechts die Nebenkläger vom „Zentrum Automobil“. Dessen Vertreter Jens Dippon ist nicht erschienen, dafür aber sein Vereinskollege Ingo Thut, im ausgeleierten Kapuzenpulli mit Wolf drauf. Daneben sitzt sein Anwalt. Moment mal, ist das nicht Reinhard Löffler? Der gerade zum dritten Mal ins Parlament gewählte Landtagsabgeordnete der CDU? Ernsthaft?

Links sitzt der Angeklagte, grauer Pulli, mit seinem Anwalt, dunkelblaue Weste überm blütenweißen Hemd. Mittig steht Andreas Ziegler, der Geschädigte, auf seiner Seite der Scheibe. Er dreht sich zum Zuschauerraum um. Breitbeinig, die Augen zu Schlitzen gekniffen, die Hände hinterm Rücken, fixiert er einen ihm wohl bekannten und wenig geliebten Journalisten in der ersten Zuschauerreihe. Das Ganze geht ungelogen locker zehn Minuten so, ab und an unterbrochen durch angriffslustiges Vorschieben des Kinns. Meine Güte, was macht der Mann da? Dann kommt der Richter in den Saal, und Ziegler muss nach vorne schauen.

Einer der beiden Angeklagten, er sitzt derzeit noch in Untersuchungshaft, habe im Gefängnis Kontakt zu einem Corona-Infizierten gehabt, erzählt der Vorsitzende, und kann deshalb nicht erscheinen. In der JVA Stammheim herrsche derzeit ein „diffuses Infektionsgeschehen“, der Krisenstab tage, die Verhandlung, sie wird verschoben. Nächster Termin ist der 26. April, neun Uhr.

Es dauert mehr als 20 Minuten, bis vier JournalistInnen (der SWR durfte dank sperrigem Equipment durch den Haupteingang raus) und sieben BesucherInnen sich durch eine Drehtür-Schleuse zur indi­vi­duellen Ausgabe der jeweils abgenommenen Utensilien bewegt haben. Gürtel und Kram werden durch eine Stahl-Schublade gereicht.

Es ist kurz vor zehn. Draußen regnet’s.

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