Schließung des Berliner Flughafens Tegel: Pankow hat seinen Himmel zurück
Nach acht Jahren Warten ist es so weit. Am Sonntag startete um 15.40 Uhr das letzte Flugzeug vom Flughafen Tegel. In Pankow wurde das gefeiert.
Auf dem Dorfanger in Pankow, direkt neben der alten Pfarrkirche, steht ein Bett inklusive Blümchenwäsche und zerknautschter Daunendecke. Überm Bett ein goldener Bogen, auf dem „Himmliche Ruhe“ steht. Direkt daneben spielt die Pankower Band Heyn ihre zurückgelehnten Lieder, um die es unter anderem auch ums Schlafen geht.
Etwa 150 Menschen haben sich versammelt, Kinder und Alte, Zwanzigjährige mit Rastas, Vierzigjährige mit Kinderwägen. Sie alle sind hier, un das allerletzte Flugzeug zu feiern, das heute, an einem sonnigen, aber kühlen Sonntagnachmittag über den Stadtteil lärmen wird. Die Leute wirken grundzufrieden, viele trinken trotz Masken wegen Corona ein Sektchen oder einen mitgebrachten Glühwein und wackeln beschwingt mit den Hüften zur Musik.
Viele, die gekommen sind, haben seit zehn oder mehr Jahren für die Schließung des TXL gekämpft. Einige erinnern sich gut, wie sie schon einmal 2012 in ihrem Garten alles vorbereitet hatten für die große Abschiedsparty. Oder an eine Demo 2017, als die in Berlin notorisch erfolglose FDP einen Volksentscheid für den Erhalt von Tegel lanciert hatte.
Oft mussten sie sich im gutbürgerlichen Pankow den Vorwurf anhören, sie hätten Luxusprobleme. Sie seien schon vor Jahren aus Prenzlauer Berg weggezogen, weil es dort keine bezahlbaren Wohnungen für kinderreiche Familien mehr gab, und suchten nun die Ruhe der Dörfer in der deutschen Provinz, aus der sie kamen – so wie jene Familien, die in Prenzlauer Berg blieben und nun Spielstraßen einfordern und damit Clubs vertreiben. Was dabei gern übersehen wurde: Fluglärm ist etwas anderes als Verkehrs- oder Kneipenlärm. Er gehört nicht in die Stadt. Tegel wurde nicht gebaut für das wachsende Berlin.
Auch noch die übernächste Maschine
Ein Mann Ende dreißig berichtet, wie viele in seinem Haus bis letztes Jahr an Schlafstörungen litten. Ein anderer, der Ende fünfzig sein mag, erzählt von seiner Wohnung im vierten Stock, wo er vom Wohnzimmer nicht nur das nächste, sondern auch das übernächste Flugzeug kommen und von der Küche aus nicht nur das letzte, sondern auch das vorletzte Flugzeug weiterfliegen sehen konnte. Offiziell ging der Flugverkehr in Tegel vor der Zeit der Pandemie von 6 bis 23 Uhr, aufgrund von Sondergenehmigungen landeten und starteten aber auch in der Zwischenzeit Flieger.
Insgesamt gab es laut Flughafengesellschaft in Tegel täglich um die 600 Flugbewegungen, davon gingen laut Tegel-Gegnern die Hälfte bei Flughöhen von unter 200 Metern über Pankow. Wenn der Wind schlecht stand, hatten Menschen in diesem Bezirk bis zu 100 Dezibel gemessen – schlimmer hatte es nur, wer noch näher am Flughafen wohnt.
Zum Vergleich: An einer der lautesten Straßen Berlins, der Leipziger Straße in Mitte, sind es höchstens 80 Dezibel. Tegel-Gegner haben errechnet, dass mehr als 300.000 Menschen vom Fluglärm um Tegel herum betroffen waren. Nach Unterlagen der Flugsicherung für die Fluglärmkommission Schönefeld werden beim BER weniger als 40.000 Menschen einem Fluglärm von maximal 50 Dezibel ausgesetzt sein. Jeder, der mal im Bürgerpark gepicknickt hat, weiß, wie lästig es sein konnte, wenn man alle fünf Minuten das Gespräch unterbrechen und warten musste, bis die Maschine vorbei war.
Man kann den Pankowern vorwerfen, was man mag, aber eigentlich sind sie hier schon weiter. Man ist nicht nur zum Feiern hier, wie etwa Stefan Gelbhaar von den Grünen betont, der für den Bezirk im Bundestag sitzt. Die Energie, die man für das Aus von Tegel aufgebracht hat, kann sehr leicht umgemünzt werden. „Fliegen ist viel zu billig“, bringt es Christine Dorn von einer Bürgerinitiative auf den Punkt. Zur Feier sind auch Umweltinitiativen gekommen, die höhere Steuern auf Kerosin und die Abschaffung von Inlandsflügen fordern, unter anderem sind auch zwei als Pinguin gekleidete Mitglieder der Initiative „Am Boden bleiben“ da.
Gegen 15 Uhr entsteht eine lustige Situation. Plötzlich schaut keiner mehr Richtung Bühne, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Um 15 Uhr soll in Tegel das letzte Flugzeug Richtung Paris starten. Der Wind kommt von Osten, also ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es über Pankow fliegen wird. Einer, der es nicht erwarten kann, schaut auf seinem Handy die Livesendung des RBB aus Tegel. Um 15.40 Uhr ist es dann so weit. Ein strahlend weißes Flugzeug fliegt über den Dorfanger. Die Menschen johlen, überall im Kiez werden Böller und Raketen gezündet, die Kirchenglocken läuten. Dann wird es endlich ruhig über Pankow.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung