Schlichtungsbemühungen in Stuttgart: Die Verhärtung bricht ein bisschen auf
Die Bahnhofsgegner zeigen sich in Sachen Baustopp zum Kompromiss bereit, wenn sich die Deutsche Bahn ebenfalls bewegt. Eine Schlichtung soll nach ihrem Willen öffentlich stattfinden.
STUTTGART afp/dapd | In das Ringen um eine Schlichtung beim umstrittenen Bahnprojekt "Stuttgart 21" ist am Donnerstag Bewegung gekommen: Schlichter Heiner Geißler wollte sich am Donnerstag nachmittag erneut mit den Gegnern des Bahnhofumbaus treffen, um Vermittlungsgespräche ab Freitag möglich zu machen, wie mehrere Sprecher des Aktionsbündnisses mitteilten. Das Bündnis schien im Streit um einen Baustopp inzwischen kompromissbereit zu sein.
Geißler hatte am Mittwoch mit Vertretern der Deutschen Bahn und der baden-württembergischen Landesregierung Gespräche geführt. Ergebnisse wurden zunächst nicht bekannt. Ein Sprecher der Landesregierung teilte am Mittwochabend lediglich mit, dass Geißler "seine Sondierungen mit den Projektpartnern abgeschlossen" habe.
"Wir werden sehen, was Herr Geißler uns von der anderen Seite mitbringt und dann am Abend entscheiden, wie es weiter gehen soll", sagte Brigitte Dahlbender, von der Umweltschutzorganisation BUND. Werner Korn vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), der dem Aktionsbündnis der Projektgegner angehört, bestätigte dies.
Bislang drohten die Vermittlungsgespräche an der harten Haltung beider Seiten im Streit um einen Baustopp während der Gespräche zu scheitern: Den von den Projektgegnern geforderten Baustopp auch bei einer geplanten Halle für das Grundwassermanagement während der gesamten Schlichtungsphase lehnte Bahn-Chef Rüdiger Grube bislang kategorisch ab. Das Fundament für die Halle müsse noch vor der Frostperiode gegossen werden, weil sich das gesamte Projekt ansonsten um ein halbes Jahr verzögere.
Aus Kreisen der Projektgegner hieß es nun, dass das Aktionsbündnis unter Umständen zu Kompromissen bei der Forderung nach einem umfassenden Baustopp bereit wäre, wenn die Deutsche Bahn sich ebenfalls bewegt. Den Gegnern sei es vor allem wichtig, dass die Zahlen zur Kosten-Nutzen-Rechnung des Projekts auf den Tisch kommen und öffentlich werden. Geißler hatte am Dienstag gesagt, er wolle sich für eine "Bauunterbrechung" einsetzen, da das Wort "Baustopp" zu einem Kampfbegriff geworden sei.
Die Projektgegner wollen eine möglichst transparente Schlichtung des Streits um des Bahnprojekt. "Es muss ein öffentlicher Prozess sein", sagte der Verkehrsexperte der Grünen-Landtagsfraktion, Werner Wölfle, am Donnerstag. Er sprach von einer Übertragung der Schlichtung über Großleinwände, Fernsehen oder Internet: "Es nutzt nichts, wenn nur wir die Fakten erhalten." Der Stadtrat der SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial), Hannes Rockenbauch, betonte: "Das dürfen keine Hinterzimmergespräche werden."
"Stuttgart 21" sieht vor, dass der bisherige Stuttgarter Kopfbahnhof als Durchgangsbahnhof in den Untergrund verlegt wird. Die Gegner warnen vor hohen Kosten, negativen ökologischen Folgen und Sicherheitsgefahren durch das Milliardenprojekt. Am Montagabend waren erneut zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen das Bauvorhaben zu protestieren. Für Samstag ist eine weitere Großkundgebung geplant, zu der nach Angaben des Aktionsbündnisses auch der Liedermacher Konstatin Wecker erwartet wird.
Befürworter des Bahnprojekts planten eine weitere Demonstration am Donnerstagabend. Unter dem Motto "Laufen für Stuttgart" sollten sich Jogger, Radfahrer aber auch Fußgänger am Stuttgarter Staatstheater zu eine Kundgebung treffen. An einer ähnlichen Veranstaltung am vergangenen Donnerstag hatten sich 4000 Bürger beteiligt.
Gerichtliche Zweifel an der Baumfällung
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baumfällarbeiten im mittleren Schlossgarten vor zwei Wochen erhoben. Das Gericht legte die Kosten für ein vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Baden-Württemberg angestrengtes Eilverfahren der Bahn auf, "da das Gericht dem Eilantrag höchstwahrscheinlich noch vor Beginn der Baumfällarbeiten in der Sache stattgegeben hätte, wenn am Abend des 30.09.2010 alle entscheidungserheblichen Tatsachen und insbesondere das Schreiben des Eisenbahnbundesamtes (EBA) vom selben Tage bekannt gewesen wären", wie das Verwaltungsgericht am Donnerstag mitteilte.
In der Nacht zum 1. Oktober waren im Schlossgarten 25 Bäume für "Stuttgart 21" gefällt worden. Vorangegangen war ein Polizeieinsatz zur Einrichtung der Baustelle, Tausende Demonstranten hatten versucht, die Baumfällarbeiten zu verhindern. Bei dem Einsatz wurden über hundert Menschen verletzt. Das Eisenbahnbundesamt hatte vor Beginn der Baumfällarbeiten in einem Schreiben an die DB Projektbau naturschutzrechtliche Bedenken erhoben.
Der BUND Baden-Württemberg hatte vor Beginn der Baumfällarbeiten einen Eilantrag gestellt, die Abriss- und Baumfällarbeiten so lange zu stoppen, bis diese Bedenken in einem Planergänzungsverfahren geklärt würden. Die Verfahrensbeteiligten hatten den Eilantrag selbst aufgrund der erfolgten Baumfällarbeiten jedoch für erledigt erklärt.
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