Schleichwerbung im Buchhandel: Die zweibändige Saga der Kohlelobby
Kein Gesetz schreibt vor, dass Firmenwerbebücher vom Verlag zu kennzeichnen sind. Das nutzen Unternehmen und Verlage aus.
Menstruation, Verhütung, Infektionskrankheiten – das 144 Seiten starke Buch „Frauen, Sex und Liebe“ wirkt wie ein Ratgeber, die Autorinnen sind vier Ärztinnen und eine Psychologin. Doch produziert wurde es von einer PR-Agentur, für das Arzneimittelunternehmen Essex Pharma GmbH. Dass es sich um ein Corporate Book handelt, steht nirgends. Lediglich im Kleingedruckten findet sich der Hinweis, dass das Copyright bei Essex Pharma liegt.
„Das Buch ist tendenziös“, urteilt Hedwig Diekwisch, Arzneimittelexpertin von der industriekritischen BUKO Pharma-Kampagne. Der angebliche Ratgeber stelle die nachlassende weibliche Libido als Krankheit dar, die mit Hormonpflastern zu behandeln sei. „Nichtmedikamentöse Lösungsstrategien fallen unter den Tisch.“ Essex Pharma gehört inzwischen zum Konzern MSD Sharp & Dohme. Das Buch sei im Rahmen einer Initiative entstanden, die Frauen Informationen zu Sexualität und Gesundheit vermitteln sollte, heißt es aus der MSD-Pressestelle. Dies habe Essex Pharma unterstützt. Zur Kritik von Hedwig Diekwisch äußert sich MSD nicht. Das Buch ist mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren bis heute im Buchhandel zu haben.
Geht es um Zeitungen und Zeitschriften, so sind Verlage verpflichtet, „entgeltliche Veröffentlichungen“ zu kennzeichnen, etwa mit dem Wort „Anzeige“. So steht es in den Pressegesetzen der Bundesländer. Für Bücher jedoch fehlen derartige Vorschriften. „Wir appellieren an unsere Branchenteilnehmer, im Falle einer Unterstützung transparent zu handeln“, sagt Claudia Paul vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der auch die Verlage vertritt.
Andernfalls gehe Glaubwürdigkeit verloren. Professor Günter Bentele, Vorsitzender des Deutschen Rats für Public Relations, erinnert an dessen Kodex. Darin steht, dass der Auftraggeber von PR jederzeit erkennbar sein müsse. „Es genügt den Transparenzanforderungen des Kodex nicht, wenn lediglich im Impressum ein Hinweis zur Zusammenarbeit mit einem Unternehmen auftaucht.“
Trotzdem veröffentlicht auch der renommierte Verlag Hoffmann und Campe (HoCa) im Herbst 2013 „Der Doktor, der Kämpfer, der Sieger“, ein Werk über den umstrittenen Geschäftsmann Reinfried Pohl. Der inzwischen verstorbene Milliardär leitete den Finanzvertrieb Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG). Dessen Arbeitsmethoden – Freiberufler gegen Provision verkaufen – stoßen bis heute bei Verbraucherschützern auf Kritik. Davon ist auf den knapp 270 Seiten kaum etwas zu finden. Dafür Überschriften wie „Die DVAG eilt von Erfolg zu Erfolg“. Verfasser ist Hugo Müller-Vogg, unter anderem Kolumnist für die Bild-Zeitung.
Geschickt platzierte Kundenpublikationen
Auf der Homepage von HoCa steht „Der Doktor, der Kämpfer, der Sieger“ unter der Rubrik „Sachbuch“, auf der von Hoffmann und Campe Corporate Publishing jedoch unter „Kundenpublikationen“. Der Kunde: Deutsche Vermögensberatung AG. Inzwischen ließ der Verlag die Seite abschalten. „Die DVAG war nicht Auftraggeber dieses Buches“, erklärt die Pressesprecherin der Deutschen Vermögensberatung auf Anfrage. „Die Idee zum Buch hatte Dr. Müller-Vogg.“ Ob die DVAG Geld an HoCa zahlte oder einen Teil der Auflage übernahm, dazu äußert sich das Finanzunternehmen nicht.
2007 veröffentlichte HoCa „Diplomat wollte ich nie werden“, die „Gesprächsbiographie“ von Hartmut Mehdorn. Der war damals Chef der Deutschen Bahn und kämpfte für die Bahn-Privatisierung. Auch dieses Buch wurde von der Corporate-Publishing-Sparte unter „Kundenpublikationen“ geführt. Kunde: die Deutsche Bahn AG (DB). Autor war auch hier Hugo Müller-Vogg. „Die DB war nicht Idee- und Auftraggeber des Buches“, schreibt auf Anfrage die Presseabteilung der DB Mobility Logistics AG. Weitere Fragen solle man an den Verlag stellen. Doch Hoffmann und Campe hüllt sich in Schweigen. Auch Müller-Vogg ist zu keiner Stellungnahme bereit.
Wie Unternehmen mit Büchern möglichst geschickt Werbung platzieren, das steht im Marketing-Fachbuch „Corporate Books. Unternehmensliteratur als Markenbotschafter“, erschienen bei Springer Fachmedien in Wiesbaden. Eine Autorin rät Firmen zu verdecktem Vorgehen: „Wenn Unternehmen Themen platzieren wollen, ziehen sie es vor, das Buchprojekt nicht unter eigener Flagge laufen zu lassen.“ Und: „Sie wählen einen neutralen Verlagspartner, der das Thema im Markt seriös und kompetent platzieren kann.“ Ein weiterer Fachbuchautor empfiehlt, „Werbeformate in Büchern so zu gestalten, dass sie sich quasi organisch ins Buch einfügen“.
Eine besonders originelle Corporate-Book-Variante wählte die Ruhrkohle Aktiengesellschaft (RAG). Sie gab einen zweibändigen Familienroman in Auftrag: „Die Kohle-Saga“ und „Revier im Wandel“, Auflage 80.000 und 65.000, ebenfalls bei Hoffmann und Campe. Kostprobe gefällig? „Weltweit wird die Kohle einen Aufschwung erleben. Sowohl als Energieträger als auch als Rohstoff in der Stahlerzeugung.“ Von der Steinkohle als Dreckschleuder liest man nichts. Genauso wenig wie vom Auftraggeber RAG. „Zielgruppe der Kohle-Saga war nicht die breite Öffentlichkeit, sondern die Belegschaft des Unternehmens“, rechtfertigt sich der RAG-Pressesprecher. Dass der „Roman“ bis heute im Buchhandel erhältlich ist, dazu sagt die RAG nichts.
Das Fachbuch „Corporate Books“ präsentiert den „Kohle-Saga“-Roman als besonders gelungen – und lädt zur Nachahmung ein. Einige Seiten weiter erfährt der Leser: „Kinderbücher sind ein starkes Instrument, eine Marke nachhaltig zu stärken“. Es gehe darum, Kinder als „zukünftige Kunden bereits in früheren Jahren mit dem Produkt vertraut zu machen.“ Gute Idee, dachte sich offenbar die Betreibergesellschaft des Flughafens Köln-Bonn. Anfang 2015 erschien „Köln Bonn Airport. Wie geht das?“ Aufgemacht als buntes Sachbuch, „für Kinder von 8–12 Jahren“.
Grauzonen aufklären
Zum Thema Fluglärm lesen die Kleinen: „Nachtruhe. Der Köln Bonn Airport ist der einzige Flughafen in Nordrhein-Westfalen, der nachts ein leiseres Nachtflugverfahren anwendet.“ Fluglärmgegner kommen nicht zu Wort. Das Buch, veröffentlicht im Kölner Verlag J. P. Bachem, enthält zudem Firmenwerbung. „Im Rewe Supermarkt am Flughafen gibt es alles, was satt macht und schmeckt“, steht auf Seite 12. Darunter prangt das Rewe-Logo.
Die Betreibergesellschaft des Airports räumt ein: Die Idee zum Buch ging vom Flughafen aus. Man habe dem Verlag „die Abnahme eines Kontingents von Exemplaren zugesichert“. Die redaktionelle Hoheit liege jedoch beim Verlag. Verleger Claus Bachem erklärt: Ob „eine Nähe zu PR“ bestehe, werde von „verschiedenen Seiten sicherlich unterschiedlich bewertet“. Der Verlag habe die „Unterstützung“ durch den Flughafen „erkennbar ausgewiesen“.
Bachem verweist auf einen Hinweis im Impressum sowie auf das von zwei Flughafen-Managern verfasste Vorwort. Unzufrieden äußert sich hingegen die Rewe Group. Die Darstellung des Rewe-Marktes im Buch habe „eindeutig werblichen Charakter, ohne dass diese Werbung eindeutig als solche gekennzeichnet wurde“. Was, so Rewe, „in keiner Weise unseren Grundsätzen für Projekt-Sponsoring entspricht“.
Günter Bentele fordert Bund und Länder zum Handeln auf. „Der Gesetzgeber müsste mehr tun, was diese nicht geregelten Grauzonen im Bereich Schleichwerbung betrifft.“ Hier gelte es, klare Kennzeichnungsverpflichtungen gesetzlich einzuführen – „damit solche Dinge nicht mehr möglich sind“.
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