: Schleichender Völkermord in Burundi
■ Nach zunehmenden „ethnischen Säuberungen“, die monatlich 1.000 Tote fordern, spricht Präsident Ntibantunganya vom „völligen Zusammenbruch“ des Landes
Berlin (taz) – Burundis Präsident Sylvestre Ntibantunganya ist ein einsamer Mann. Er ist Mitglied des jahrzehntelang unterdrückten Mehrheitsvolkes der Hutu, steht aber einem Staatswesen vor, das seinen Charakter als Privatsache einer kleinen militärisch mächtigen Elite aus der Tutsi-Minderheit nie verloren hat. Schon oft hat Ntibantunganya einen schleichenden Völkermord an Burundis Hutu durch die Tutsi-dominierte Armee und durch Tutsi-Milizen beklagt – eine Umkehrung des von Hutu an Tutsi verübten Völkermordes in Ruanda 1994. Nun hat er in einem leidenschaftlichen Appell die eigenen Bürger aufgefordert, den „völligen Zusammenbruch“ ihres Landes abzuwenden.
Ntibantunganya ist bereits der dritte Hutu-Präsident Burundis, seitdem die ersten freien Wahlen im Juni 1993 der Hutu-Mehrheit und den Führern ihrer Partei „Frodebu“ den Sieg bescherten. Seine beiden Vorgänger sind bereits tot, ebenso 13 der 65 damals gewählten Frodebu-Parlamentsabgeordneten. Seit den Wahlen hat die Tutsi- Elite mit militärischen und politischen Mitteln immer mehr Macht zurückgewonnen. 1994 begannen Tutsi-Milizen, die Hauptstadt Bujumbura mittels Gewalt in Hutu- und Tutsi-Viertel zu teilen und gezielt prominente Hutu umzubringen. Inzwischen leben in und um Bujumbura fast keine Hutu mehr – sie sind in die Berge im Norden geflohen. Dort wiederum leben fast keine Tutsi mehr – sie sind vor bewaffneten Hutu-Guerillatruppen geflohen. Letztere sollen von nach Zaire geflohenen ruandischen Hutu Unterstützung erhalten, von denen sich viele am Völkermord in ihrer Heimat beteiligt haben. Die Hutu-Guerilla versucht, mit Sabotageakten die Stromversorgung der burundischen Hauptstadt zu unterbrechen, was die Armee zu Racheakten gegenüber Zivilisten veranlaßt.
Die wechselseitigen Vertreibungsaktionen und Rachefeldzüge fordern mittlerweile nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen 1.000 Tote pro Monat. Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ spricht von „völlig wahllosen“ Massakern an der Zivilbevölkerung: „Opfer haben keine direkte Verbindung zu den Ereignissen, die als Vorwand für die Massaker dienen. Ein wesentlicher Prozentsatz der Opfer sind Frauen, Kinder und alte Leute.“ Es habe auch „Kollektivhinrichtungen“ gegeben. So seien Uniformierte, wahrscheinlich Armeemitglieder, vom 14. bis 16. November in mehrere Gemeinden östlich der Hauptstadt einmarschiert und hätten allein in der Gemeinde Gasarara 420 Menschen ermordet.
Im Ausland werden solche Ereignisse kaum wahrgenommen. „Man spricht nicht von Burundi“, konstatierte jüngst in einem Interview die belgische Zentralafrika- Expertin Colette Braeckman. „Es gibt zwar jede Woche Dutzende Tote, aber nicht Tausende auf einmal, also ist es nicht spektakulär.“ Der UN-Burundi-Beauftragte Paulo Sergio Pinheiro kritisierte unlängst die „Passivität und Langsamkeit, mit der die internationale Gemeinschaft gemäßigten Kräften in Burundi ihre Unterstützung zugesagt hat“. Lediglich über die Evakuierung der Ausländer wird zuweilen nachgedacht – inklusive der mehreren hunderttausend Ruander, die während des ruandischen Völkermordes in Burundi Zuflucht gesucht hatten. Dominic Johnson
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