Schlechte griechische Wirtschaftsprognose: Papandreous Durchhalteparolen
Angesichts einer schlechten Wirtschaftsprognose zeigt Griechenlands Ministerpräsident Kampfgeist. Gekämpft wird auch auf der Straße. Und einer wappnet sich bereits für die Pleite.
THESSALONIKI/ BERLIN / MARSEILLE dpa/afp | Die Lage in Griechenland spitzt sich weiter zu. Die Regierung in Athen erwartet einen noch stärkeren Wirtschaftseinbruch als bislang angenommen. "Die Prognose war im Mai minus 3,8 Prozent. Jetzt übertreffen wir die (minus) fünf Prozent", sagte der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos am Samstag. Damit würden auch die Prognosen der EU übertroffen.
Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou kündigte einen "Titanenkampf" gegen einen drohenden Bankrott seines Landes an. Er sei entschlossen, alles zu tun, damit Griechenland ein Euroland bleibe, sagte Papandreou in Thessaloniki. Griechenland werde auch die notwendigen Reformen durchsetzen, koste es ihn politisch, was es wolle. "Griechenland wird das einhalten, was es versprochen hat."
Hintergrund der neuen Vorhersagen seien die Sparpolitik der Regierung, aber auch auf psychologische Gründe, erläuterte Venizelos. Viele Menschen zögen ihr Geld von den Banken ab und investierten es nicht. Investitionen seien aber dringend notwendig. "Wir brauchen jetzt einen Sprung nach vorne. Es ist ein nationales Ziel", sagte Venizelos.
Am Rande von Papandreous Rede hatten sich tausende Demonstranten in Thessaloniki heftige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Insgesamt gingen am Samstag in der Hafenstadt 25.000 Menschen auf die Straße, um gegen den strikten Sparkurs der Regierung zu demonstrieren. Dessen ungeachtet will Papandreou seinen Kurs sogar noch verschärfen.
"Wir haben nichts, wir zahlen nichts"
Zu den Demonstrationen im Vorfeld der Rede Papandreous hatten die sogenannten Empörten ("Aganaktisméni") und die Gewerkschaften aufgerufen, die ein Ende der "Politik der Armut und der Arbeitslosigkeit" fordern. "Wir haben nichts, wir zahlen nichts, wir verkaufen nichts, wir haben keine Angst", stand auf einem riesigen Transparent. Zudem protestierten tausende Taxifahrer gegen die geplante Liberalisierung ihres Sektors. Die Krawalle brachen aus, als die Taxifahrer zu der Kongresshalle vordringen wollten, in der Papandreou am Abend reden sollte. Die Polizei schritt gewaltsam ein und setzte unter anderem Tränengas ein.
Insgesamt war in Thessaloniki die Rekordzahl von 7.000 Polizisten im Einsatz. Sie nahmen nach offiziellen Angaben 94 Demonstranten fest, die unter anderem vor der Kongresshalle Eier auf die geladenen Gäste warfen.
Griechenland muss kräftig sparen und bangt um weitere Milliarden-Hilfen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF). Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte Griechenland erneut eindringlich auf, die Zusagen für die Finanzhilfen einzuhalten. "Es ist völlig klar: Griechenland muss die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen", stellte Schäuble am Samstag in Marseille am Rande des G8-Finanzministertreffens klar.
Gegenwärtig seien die Voraussetzungen nicht erfüllt für eine Auszahlung der im September fälligen nächsten Kredittranche aus dem ersten Hilfspaket der Europäer und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Er habe darüber auch ausführlich mit IWF-Chefin Christine Lagarde gesprochen. "Wir sind uns da völlig einig: Solange Griechenland diese Zahlen nicht erfüllt, ist eine Auszahlung nicht möglich", sagte Schäuble dem ZDF.
Das sei zwar eine schwierige Lage für Griechenland, sagte Schäuble, betonte aber zugleich. "Es ist nicht so, dass eine unmittelbare Zuspitzung bevorsteht." Athen habe sich erst vergangene Woche an den Märkten Mittel mit begrenzter Laufzeit besorgt.
"Jeder Tag zählt wie ein Jahr"
Griechenlands Finanzminister Venizelos rief seine Landsleute auf, die Hilfen der anderen Europäer anzuerkennen und sich anzustrengen, um die Finanzkrise zu überwinden. Griechenland bekomme eine "noch nie da gewesene" Hilfe von insgesamt 219 Milliarden Euro. "Es ist sehr wichtig dies anzuerkennen und diese Hilfe zu ehren, denn es sind die Steuerzahler vieler anderer EU-Staaten, die dafür bezahlen oder bürgen müssen."
Für Griechenland seien die nächsten zwei Monate von entscheidender Bedeutung. Alle angestrebten Reformen müssen in die Tat umgesetzt werden: "Jeder Tag der vergeht, zählt bis Ende Oktober wie ein Jahr. Wir müssen bis dahin das Puzzle (der Reform der griechischen Wirtschaft) zusammengesetzt haben", sagte der Minister.
Unterdessen wappnet sich Bundesfinanzminister Schäuble laut Spiegel für den Fall einer Pleite Griechenlands. Wie das Magazin meldete, spielen Schäubles Beamte sämtliche Szenarien durch, die sich im Falle eines Zahlungsausfalls des Landes ergeben könnten. Laut "Spiegel" gibt es im Finanzministerium grundsätzlich zwei Varianten einer möglichen Griechenland-Pleite. Bei der ersten bleibe das Land in der Währungsunion, bei der anderen gebe es den Euro als Zahlungsmittel auf und führe die Drachme wieder ein. Eine Schlüsselrolle in den Überlegungen komme dem europäischen Rettungsschirm EFSF zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin