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Schlechte Aussichten für Esso-HäuserBebende Gebäude

Der Komplex an der Reeperbahn wurde wegen akuter Einsturzgefahr evakuiert. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die MieterInnen zurückkehren dürfen

Jahrelang vernachlässigt, jetzt geräumt: Esso-Hochhäuser an der Reeperbahn. Bild: dpa

Wegen akuter Einsturzgefahr haben Polizei und Feuerwehr in der Nacht zum Sonntag die Esso-Häuser an der Reeperbahn evakuiert. 75 der insgesamt 100 BewohnerInnen wurden in die Notunterkunft in der Turnhalle in Altona gebracht und dort vom Roten Kreuz versorgt.

Die ersten Erschütterungen der Gebäude am Spielbudenplatz spürten BewohnerInnen am Samstagabend gegen 22 Uhr. „Ich habe gesehen, wie meine Deckenlampe plötzlich wackelte und bemerkt, dass das Gebäude bebt“, berichtet ein Bewohner. Mehrere Leute riefen daraufhin die Polizei. Zu Spüren war die Schwingung auch im Molotow-Club. Bei einem Konzert sei der Putz von der Decke gerieselt, berichten BesucherInnen.

Polizei und Feuerwehr reagierten schnell und innerhalb weniger Minuten wurden das erste der beiden Wohngebäude, die Clubs und die Tankstelle evakuiert. „Ich war schon im Bett, als die Polizei laut an die Tür gehämmert hat“, sagt ein Bewohner. „Ich hatte nur Zeit, mir eine Jacke überzuziehen, dann mussten wir raus.“ Persönliche Gegenstände, Medikamente und Haustiere mussten sie in ihren Wohnungen lassen.

Während Statiker des Bezirksamts Mitte die Gebäude begutachteten, wurden die Evakuierten zunächst in zwei Bussen untergebracht. Gegen ein Uhr war klar, dass eine Rückkehr zu riskant ist. Auch der zweite Wohnblock wurde vorsichtshalber evakuiert. Die Bayerische Hausbau, der das Gebäude-Ensemble seit 2009 gehört, war vor Ort und versorgte die Mieter in den Bussen mit belegten Broten.

Am Sonntagnachmittag erklärte der Leiter des Bezirksamts Mitte, Andy Grote (SPD), dass die Häuser für die MieterInnen erstmal gesperrt bleiben. In den nächsten Tagen sollen Statiker den Zustand der Gebäude abschließend beurteilen. „Aufgrund der derzeitigen Gefahrensituation deutet vieles darauf hin, dass eine Rückkehr in die Wohnungen nicht mehr möglich ist“, sagt Grote.

Die Esso-Häuser

Im Mai 2009 verkaufte der Betreiber der Kiez-Tankstelle, Jürgen Schütze, das 6.190 Quadratmeter große Areal am Spielbudenplatz an die Bayerische Hausbau.

Anzeige erstattet hatte die Initiative Esso-Häuser im Oktober beim Bezirksamt Mitte gegen den bayerischen Investor, weil der die Häuser "massiv und vorsätzlich verfallen lassen und damit gegen § 4 (Instandsetzung) Hamburgisches Wohnraumschutzgesetz verstoßen" habe.

Auf den Auszug einstellen mussten sich die Bewohner schon vor der jetzt erfolgten Räumung, denn nach dem 30. Juni 2014 hat das Bezirksamt den Betrieb der Häuser untersagt. Ihr Zustand sei einem Gutachten zufolge zu kritisch.

1.600 Stahlstützen stabilisieren in der gesperrten Tiefgarage seit Juni 2013 die Häuser.

Nur in Begleitung der Polizei dürfen die MieterInnen in den kommenden Tagen ihre Gegenstände aus den Wohnungen holen. Die Bayerische Hausbau verspricht, die MieterInnen, die keine andere Möglichkeit haben, in Hotels unterzubringen, bis es geeignete Ersatzwohnungen gibt. Den Clubs im Erdgeschoss hat der Bezirk Unterstützung zugesichert. „Priorität hat aber, dass die BewohnerInnen ein Dach über dem Kopf haben“, sagt Grote.

Der Zustand der Esso-Häuser beschäftigt St. Pauli schon lange. Die Bayerische Hausbau will sie abreißen lassen, um Platz für einen Neubau zu schaffen. Die Initiative Esso-Häuser setzt sich für die Sanierung der Gebäude ein und wirft dem Investor vor, die Häuser jahrelang vernachlässigt zu haben.

„Dieser Vorfall zeigt, dass es verantwortungslos ist, die Häuser im Besitz der Bayerischen Hausbau zu belassen. Wir fordern eine genossenschaftliche Lösung“, erklärt die Initiative. Im Juni dieses Jahres hatte ein Gutachten festgestellt, dass die Bausubstanz kritisch ist. Das Bezirksamt hatte daraufhin angekündigt, dass die Häuser ab Mitte 2014 nicht mehr nutzbar sein werden.

Ob der Abrisstermin nun vorgezogen wird, ist noch unklar. Der Bezirk rechnet damit, dass eine entsprechende Genehmigung im Frühjahr erteilt wird. Am Sonntagabend rief die Initiative zu einer Demonstration gegen den Abriss auf.

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8 Kommentare

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  • P
    Piet

    @BOYNAMEDUSE:

     

    Stimmt.

    Sieht aus wie 'ne abgerockte Ostplatte.

    Das braucht länger als 4,5 Jahre Verwahrlosung.

  • F
    FranzK

    eine einzige Riesensauerei ist es, wie dort mit Sozialschwachen Mietern umgegangen wird. An eine polizeiliche Räumung vom Einsturz bedrohter Häuser kann ich mich in Hamburg nicht erinnern. Was die angeblichen Melder(Mieter ?) gespürt haben, würde mich mal interessieren, nicht das es nur das knistern im Geldbeutel war.

    • S
      sonic
      @FranzK:

      Ich wollte es nich sagen: Die Lampe hat gewackelt, (Haar-?)Risse im Tiefgaragenbeton, Putz rieselte beim Konzert von der Decke? Das hört sich aus der Ferne nicht so bedrohlich an. Fragt doch mal den Tontechniker, heute ist doch schwerster Sub-Bass angesagt, da wackelt schon mal die Wand. Sonst ist das Publikum enttäuscht.

      Im ernst, wer hat genau die Polizei angerufen? Wie kommt es, das am Wochenende plötzlich Behörden in Aktion sind und Bauzäune, etc. verfügbar sind? Und bei akuter Einsturzgefahr hätte ich keine polizeibeamten gefährdet, indem ich sei in die Häuser schickte, sondern lieber Lautsprecherdurchsagen und Telefon benutzt und die "Rettungsarbeiten" der Feuerwehr überlassen, die ist dafür sicherlich besser ausgerüstet.

      Auf den Bericht über die Gebäude-Statik bin ich mal gespannt, wird der kurzfristig öffentlich zugänglich sein?

  • B
    BoyNamedSue

    Aber mal ganz ehrlich, natürlich ist der Zustand kastrophal, Nur so ein Zustand entsteht nicht von heute auf morgen.

    Die Bayerische Hausbau hat das Areal vor 4,5 Jahren gekauft. Wäre der Zustand zum Zeitpunkt des Kaufes einwandfrei gewesen, hätte man jetzt sicherlich nicht evakuieren müssen.

    • S
      sonic
      @BoyNamedSue:

      mag sein, wird sich aber sicherlich im Kaufpreis niedergeschlagen haben, war somit bekannt und wirde trotzdem ignoriert.

  • P
    Perlentaucher

    Es ist eine Schande, was hier passiert!

    Es werden mit dem Segen der scheinheiligen Politiker Gebäude dem Verfall preisgegeben und damit den Investoren (und den Helferlein) noch mehr Geld in die Taschen gespült.

     

    Das war beim Bismarckbad so, bei den Häusern in der Lange Straße, hier bei den Essohäusern und sicher noch an vielen anderen Stellen!

     

    Hamburg die schönste Stadt der Welt? Ja - für Abriss- und Bauunternehmer und für Investoren! Vom eigentlichen Kern dieser Stadt bleibt bald nichts mehr übrig - das war hier immer schon so!

     

    Hamburg ist eine Investorenhure!

  • SG
    solidarischer Gast

    Vernachlässigung und dann Abriss statt Sanierung scheint ja das gängige Muster zu sein, womit alle Hamburger Mieterinis in Gesamthamburg zu tun haben. Die SPD läßt zu und die "Ersatzneubauten" gehen als neue Wohnung in die Scholz-Bilanz ein.

    Zynische Politik auf Kosten der Mieter, zumeinst gerade derjenigen, die sich höhere Mieten eben nicht leisten können!

     

    WÜRDEN SANIERUNGEN GENAUSO HOCH GEFÖRDERT WERDEN WIE (ERSATZNEUBAUTEN) hätten wir alle diese Probleme nicht, und Hamburgs Steuergeld würde für sinnvolleres als "Firmensanierung" eingesetzt werden können.

  • (...) wirft dem Investor vor, die Häuser jahrelang vernachlässigt zu haben.

     

    „Dieser Vorfall zeigt, dass es verantwortungslos ist, die Häuser im Besitz der Bayerischen Hausbau zu belassen. Wir fordern eine genossenschaftliche Lösung“ (...)

     

    GENAU DAS SELBE GILT FÜR DIE SAGA-GWG!

     

    Auch die vernachlässigen in unverantwortungsloser Weise einige ihrer Häuser! Die SAGA macht Gewinne - wo bleibt das Geld, die die Mieter_innen bezahlt haben?