piwik no script img

Schlaue Schleimer

Hobbygärtners Kampf gegen Schnecken ist trotz harten Durchgreifens aussichtslos  ■ Von Lisa Schönemann

Tränen. Bittere Tränen hat Nachbar Bertholt neulich geweint, als er morgens (ohne Rücksicht auf seine indischen Tempelhuscher) in den feuchten Garten geschlappt ist, um den Fortgang der Dinge auf dem Gemüsebeet zu betrachten. Die Schnecken hatten in der Nacht auf der Mini-Bioplantage des freundlichen Geographen eine wahre Orgie gefeiert. „Mein Basilikum“, jammerte der geplagte Mann - nunmehr mit nassen Füßen.

Die gefräßigen Viecher hatten auch vom Kopfsalat nur den Strunk stehen lassen. Bertholts phonstarke Schimpfkannonade ergoß sich auf ein schleimiges Exemplar, das sich vor der Terrassentür plaziert hatte, um dem schnaubenden Hobbygärtner die Stirn zu bieten. Das braune Glibbertier zog verängstigt die Fühler ein. Aus der Ferne, genauer gesagt aus der Senke unter dem Himbeerstrauch, war unterdessen das zufriedene Schmatzen einer ganzen Formation von Nacktschnecken zu vernehmen.

Das zarte Gemüt von Nachbar Bertholt verträgt dieses Geräusch nicht. Egal, ob nackt oder mit Haus, braun oder schwarz, der Mann haßt Schnecken. Insbesondere, wenn sich die ekligen Kriecher nach einem üppigen Mahl auf dem Rückweg zum Himbeerstrauch noch schnell eine Portion mühsam gereifter Öko-Erdbeeren einverleiben. Ob Kräuter oder Kürbispflanzen, nichts entgeht den gefräßigen Gastropoden, die ihre Reibzunge bekanntlich zum Benagen von Grünzeug aus der Mundöffnung hervorstrecken können. Und: In der Regenzeit tauchen sie gerne in großer Zahl auf.

Nun würde Ökospießer Bertholt niemals zum Äußersten greifen. „Schneckentod“ und andere chemische Keulen sind dem Naturfreund ein Greuel. Stattdessen hat er eine Vielzahl kleiner Joghurtbecher als Bierfallen in den Boden eingelassen. Vom Hopfendunst magisch angezogen, neigen die Schnecken ihre Häupter über den Rand, um sich alsbald berauscht im Gerstensaft schwimmend dem Delirium hinzugeben.

Diese Methode, die die Population allenfalls reduziert, kann der pazifistisch angehauchte Bertholt gerade noch mit seinem Gewissen vereinbaren. Wenn er die gierigen Bauchfüßer auf frischer Tat ertappt, schleudert er sie im hohem Bogen auf das benachbarte Gelände der Frau F.. Die mag der Hobbygärtner noch weniger als die Schnecken. Und ihre ewig bellende Töhle - ein igelmordender Jagdhund - hat viele der letzten natürlichen Feinde der Schnecken gefressen.

Schließlich hatte Nachbar Bertholt die glänzende Idee, seine Kinder auf Schneckenfang zu schicken. Er rüstete seine vier- und sechs Jahre alten Jungen mit Plastiktüten aus und versprach, für jedes eingesammelte Weichtier eine Prämie von zehn Pfennig zu zahlen. Die Kurzen, nicht faul, robbten alsbald durch den Gemüsegarten und richteten dort erheblich mehr Schäden an als alle der Schnecken der Saison zusammen. Außerdem durchkämmten sie das Blumenbeet von Frau F. und einen Park. Stolz präsentierten sie Stunden später eine Rechnung über 3,60 Mark für 36 eingesammelte Schnecken.

Zu dumm, daß die kleinen Bertholts ihre Beute nach dem Abkassieren in die Mülltonne warfen, ohne den Deckel zu schließen. Im Schutze der einsetzenden Dämmerung nahmen 36 ausgehungerte Schleimer alsbald wieder Kurs auf Bertholts Beet...

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen