Schlamperei im Verfassungsschutzbericht: Schreckensszenario Golfball
Niedersachsens Innenminister Schünemann (CDU) muss zurückrudern: Präparierte Golfbälle dienten nicht als Wurfgeschosse beim Castor-Transport. Grüne sehen noch mehr Ungereimtheiten.
HANNOVER taz | „Erschreckend schlampige Arbeit“ wirft der niedersächsische Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg dem Verfassungsschutz vor. In einer parlamentarischen Anfrage hat seine Fraktion bei Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) Aufklärung über Widersprüche im Verfassungsschutzbericht 2011 gefordert. Doch die Antwort, die Schünemann jetzt nach zweimaliger Bitte um Fristverlängerung vorgelegt hat, werfe neue Fragen auf, statt Erklärungen zu liefern.
Nachgehakt haben die Grünen vor allem beim Kapitel Linksextremismus. Darin führen die Verfassungsschützer nicht nur vermeintlich gewaltbereite Tierschützer und die Linkspartei auf, die sie seit der Regierungsübernahme von Schwarz-Gelb 2003 beobachten. Autobrandstiftungen in Berlin und Hamburg und besonders die Proteste gegen den Castortransport 2011 gelten als Indiz für eine „sinkende Hemmschwelle für Gewalt“ im linken Spektrum.
Von einer „neuen Qualität der Gewalt“ hatte Schünemann im Anschluss gesprochen und als Beleg mit Schrauben gespickte Golfbälle vorgezeigt. „Mit dem Leben der Polizisten“ hätten „die Chaoten“ gespielt, legte sein CDU-Kollege Fritz Güntzler nach, und sie mit eben jenen Golfbällen „attackiert“. Auch im Verfassungsschutzbericht ist von den vermeintlichen Wurfgeschossen die Rede. Verletzt wurde damit allerdings niemand, wie Schünemann jetzt einräumt.
Denn eingesetzt wurden die Bälle gar nicht, sie wurden lediglich in einem Depot gefunden. Laut einem Bekennerschreiben sollten sie nicht als Wurfgeschosse, sondern als Krähenfüße genutzt werden, sagt Schünemann. Angaben, die den Grünen-Politiker Limburg irritieren: „Natürlich ist es wichtig, Gewalt gegen Polizisten anzuprangern“, sagt er. „Für eine ernsthafte Auseinandersetzung ist es aber gerade wichtig, nichts künstlich aufzubauschen.“
Zu vermeintlich linksextremistischen Brandanschlägen auf „Luxuslimousinen“ in Berlin und Hamburg, wie sie im Verfassungsschutzbericht noch erwähnt werden, will sich Schünemann jetzt nicht mehr äußern: Die Brandserien lägen nicht im Zuständigkeitsbereich Niedersachsens. Das sorgt bei der Grünen-Innenpolitikerin Meta Janssen-Kucz für Fragezeichen.
Das gilt auch für die Begründung, warum die Verfassungsschützer Anti-Castor-Initiativen wie „X-tausend mal quer“ und „WiderSetzen“ als „linksextremistisch beeinflusst“ beschreiben, wenn deren Aktionen zugleich als friedlich bezeichnet werden: Die Gruppen lehnten sich an die Graswurzelbewegung an, die die „Zersetzung der Machtzentren“ und die „Abschaffung aller Formen der Herrschaft“ zum Ziel habe, sagt Schünemann. Zudem rufe „X-tausend mal quer“ zum Gesetzesbruch auf – etwa in einem Flyer von 2002. Die Berufung auf ein derart altes Zitat nennt Janssen-Kucz „mehr als peinlich“.
Eine weitere Anfrage haben sie und Limburg bereits angekündigt. „Der Verfassungsschutzbericht ist nicht irgendeine Veröffentlichung“, sagt Limburg. „Er hat in der Öffentlichkeit breite Resonanz und hohe Symbolkraft.“ Gerade deshalb müsse er „sorgfältig recherchiert und frei von Falschberichten“ sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!