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■ SchlaglochDie Rationalisierung des Bildermachens Von Friedrich Küppersbusch

Mit etwas mehr Geld könnte ich jetzt den Mauspfeil drei Zentimeter höher schieben, statt des Word- Programms das für „Video Edit“ anklicken und Ihnen statt Text einen Film basteln. Eben per PC mit ausreichend Festplatte (2.000 Mark), dazu ein Profi-Videorecorder (10.000 Mark) und eine handelsübliche Videokamera (3.000 Mark). Kostet 15.000 Mark. Und neun Arbeitsplätze. Und das kam so:

„Das kannst du vergessen. Da hättest du 'n großen Lichtwagen bestellen müssen.“ Mit dieser Konkursvoranmeldung eröffnet der routinierte Kameramann (1) dem ehrgeizigen Volontär (2), daß das Sechzehn-Millimeter-Filmmaterial in seiner Kamera im nicht vorhandenen Licht des Drehortes den Dienst verweigern werde. Der Assistent (3) und der Tonmensch (4) beenden darauf schlagartig die Entladung des Teamfahrzeugs. Der Fahrer (5) steigt gleich wieder ein.

Der Volontär fühlt, daß die Szene im Klartext heißen würde: „Du Rotzlöffel hast keine Ahnung, wir haben keine Lust, und das paßt gut zusammen: Da können wir alle nach Hause.“ Er wendet also ein, daß er einen Lichtwagen mit Beleuchtern (6, 7) jetzt nicht mehr heranschaffen kann. Zumal die Zentrale Disposition (8) aus Kostengründen entschieden hatte: „Teamlicht reicht vollkommen aus.“

Unter Anordnung und Finanzierung einer länglichen Kaffeepause gelingt es der aufstrebenden Nachwuchskraft, dem väterlichen Kollegen an der Kamera einen Drehversuch abzunötigen. Am späten Nachmittag kommt das so gewonnene Material aus dem Kopierwerk (9). Die Cutterin (10) allerdings weigert sich, das Magnettonband überhaupt an den belichteten Film anzulegen, denn der ist: schwarz. Hat der alte Sack auch noch recht gehabt. Oder jedenfalls so gedreht, daß es aussieht, als hätte er recht.

Beim nächsten Dreh wird der Volontär von vornherein den extra Lichtwagen bestellen, worauf der Kameramann etwas von „rausgeschmissenem Geld“ schimpfen und mit seinen zwei Handlampen prima Bilder abliefern wird. In Wirklichkeit ist er ein Künstler und hat noch bei der UFA gelernt. Völlig zu Recht kotzt es ihn an, im Herbst seiner Karriere jeden Tag irgendwelche Dorfbürgermeister abfilmen zu müssen. Und das unter der Leitung komplett größenwahnsinniger Jungfilmer, die erstens seine Söhne sein könnten und zweitens garantiert die schlechtesten Einstellungen auswählen und aneinanderklatschen. Ohne Sinn und Verstand, Achssprung an Reißschwenk, gegen den erbitterten Widerstand der Cutterin. Die hat damals noch „für Rainer Werners ersten Film die Assistenz gemacht“, bevor im Sender alle Kunst den Bach runterging und nur noch Nachrichtenschrott zwischen ihren weißen Handschuhfingern landete.

So wurde jahrzehntelang bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland produziert. Das ist ein paar Millionen Jahre her, so ungefähr 1984. Ab da ging alles plötzlich sehr schnell. Als erstes verschmelzen Tonmann und Assistent zu nur noch einem Job, weil die neuen U-Matic-Videorecorder Ton und Bild auf einem Träger, der Kassette, aufzeichnen. Der Lichtwagen stirbt hinterher, weil die elektronischen Kameras schnell wesentlich lichtempfindlicher wurden als die träge Emulsion auf dem Film.

Daraus folgt: Wenn der Sender genug Filmkameras ausrangiert, stirbt das hauseigene Kopierwerk – gegen langanhaltenden gewerkschaftlichen Widerstand, wie in fast allen genannten Fällen. Und dann explodiert die technische Entwicklung. Auf das pixelige U- Matic folgt das gestochen scharfe Beta-Format, und bestimmte Schneidetische kann der Sender gar nicht so schnell kaufen, wie sie wieder veralten. Also wird Equipment mit Personal angemietet. Das bedroht den Job der Cutterin. Zwischendurch schrägt's unbemerkt den Fahrer: Der Sender hat ausgerechnet, daß es günstiger ist, dem Kamerateam Fahrtkosten für Privatautos zu zahlen.

„Ein-Mann-Team“ heißt der paradoxe Horror aller Beteiligten inzwischen. US-amerikanische Lokalreporter bauen ihre Kamera auf, stellen sich davor, quatschen rein, packen ein, kleben am Schneidetisch ein Starband vornedran, und fertig ist der Film: „Ich stehe hier & kann nicht anders“, und so sieht das Werk auch aus. Tatsächlich gilt vorerst der Kameramann, inzwischen öfter auch die Kamerafrau, als unersetzbar. Meist auch sein Assistent, der Mensch am Schneidetisch zunächst auch noch. Obwohl die Redaktions-PCs theoretisch schon umzurüsten wären auf Editing, also Bild- und Tonschnitt durch die Redaktion.

Dies Personal aber zu verwalten, gilt manchen als Wasserkopf, zumal angemietete Teams immer billiger sind als Hauspersonal, das man auf vierzig Jahre zuzüglich Pensionskasse kaufen muß. Hinzu kommt, daß angemietete Teams tendenziell auch williger sein müssen, denn sonst war es die letzte Anmietung. Und was bei Volvo vor zwanzig Jahren für die Autofertigung erfunden wurde, hat sich inzwischen bis in die öffentlich- rechtlichen Sendeanstalten herumgesprochen: Der Mensch arbeitet ungern entfremdet. Bewährt sich ein Team aus Autor/Kamera/ Schnitt, bringt es mehr und Besseres billiger zustande als eine Selbsterfahrungsgruppe, die aus den Zufälligkeiten von Dienstplänen und Dispositionslücken zusammenpurzelt. Entschließt sich der Sender aber für derlei autonome Kampfgruppen, wird er Kunde und das Team: Dienstleister. Oder, pfui, Firma.

An dieser Stelle angelangt, möchte ich mich immer aus meiner eigenen Gewerkschaft rausschmeißen. Zumal die ganze Rationalisierung scheinbar auf einen einzigen Job zuläuft, der wohl sicher überlebt: meinen, den redaktionellen. Dann wieder gucke ich mir ein paar Filme aus der Zeit von vor ein paar Millionen Jahren an und muß zugeben: Die waren nicht wirklich besser. Auch von Zeitgeist und Modetrends abgesehen, hat die technische Revolution mehr gebracht, als an großer UFA- Tradition und schöner, alter Filmästhetik verlorenging – jedenfalls im aktuellen Geschäft. Wer mag, kann sich nachts im Dritten die „Tagesschau“ von vor zwanzig Jahren kritisch dazu angucken.

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