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■ SchlaglochGott wohnt im Internet Von Klaus Kreimeier

„Click the MORE

button!“

Werbung der amerikanischen Internet-Buchhandlung „Amazon“

Die FAZ und die taz, die Süddeutsche, die Frankfurter Rundschau und die Welt können jubeln. Trotz des Internets werde sich die Nutzung der „klassischen“ Massenmedien auch im kommenden Jahrhundert nicht verändern; die Mehrheit der Nutzer vertraue noch immer am meisten der Tageszeitung. So das Fazit einer Umfrage des Berliner Forsa-Instituts. Der Schönheitsfehler ist nur, daß die Erhebung von der Heidelberger Druckmaschinen AG in Auftrag gegeben wurde.

Die katholischen oder protestantischen Gemeindepfarrer von 1899 haben vermutlich auch davon geträumt, daß die Häufigkeit des Kirchgangs pro Kopf der Bevölkerung im 20. Jahrhundert nicht zurückgehen, womöglich gar kontinuierlich ansteigen werde. Der Kirchenfunk, das neue Berufsbild des Fernsehpfarrers und nicht zuletzt Bild am Sonntag haben jedoch die allwöchentliche Unbequemlichkeit, das Haus verlassen zu müssen, um des Segens teilhaftig zu werden, überflüssig gemacht. Noch ein paar Jahrzehnte, dann werden die letzten Drucker und die letzten Pastoren sich online über die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens unterhalten. Gott wohnt schon heute im Internet. Zur Zeit hat er weit über fünf Millionen Web-Adressen.

„Medienwechsel“, so nennen das die Experten. Allerdings zeigt sich auch, daß kein Medium das andere ganz verdrängt; die alten Kommunikationssysteme leben in den neuen weiter. Selbst die archaische Bilderschrift ist wieder da, sie hat sich der Symbolleisten von Microsoft bemächtigt und zwingt uns erhebliche Dechiffrierungskünste ab. Als „medienkompetent“ gilt, wem es gelingt, mit der Maus auf das richtige Bildchen zu klicken. Weil 41 Prozent der von Forsa Befragten das entweder für zu kompliziert oder einfach für lächerlich halten, ziehen sie noch immer die Zeitungslektüre dem Internet vor, das bisher nur von einem Hundertstel der mediennutzenden Bevölkerung regelmäßig als Informationsquelle frequentiert wird. Dieses „hyperaktive“ Publikum, so eine wissenschaftliche Kapazität der Universität Amsterdam, sei freilich eine Illusion und auch auf längere Sicht nicht mehrheitsfähig.

Das sieht Thomas Middelhoff, der neue Bertelsmann-Chef, ganz anders. Irgend jemand hat für ihn ausgerechnet, daß im Jahr 2015 jeder Deutsche im Durchschnitt eine Stunde und 20 Minuten täglich im Netz herumhängen wird. „Die Kurve“, so Middelhoff im Spiegel- Gespräch, „wird im Fernsehen ein bißchen flacher, bei Zeitschriften und Zeitungen wird es einen kleinen Dämpfer geben.“ Was im Bankengeschäft die Peanuts, das sind für die Medien-Tycoons die kleinen Dämpfer und kaum merklichen Abflachungen in den statistischen Kurven. Bertelsmann muß allerdings schon aus wohlerwogenem Eigeninteresse darauf bedacht sein, daß es bei der Medienrevolution, die der Konzern zumindest für deutsche Verhältnisse selbst in Gang gesetzt hat, keinen allzu dramatischen Einbruch gibt: Zeitungen und Zeitschriften, Druckereien und vor allem Bücher bilden ja das traditionelle Stammgeschäft des Hauses in Gütersloh, das inzwischen zum drittgrößten Medienkonzern der Welt avanciert ist. Verständlicherweise betreibt Bertelsmann, das sich noch immer ein „Inhalte-Unternehmen“ nennt, nun verstärkt den Internet-Buchhandel, um seine noch traditionell zwischen Buchdeckeln schlummernden Inhalte in die elektronische Umlaufbahn zu bringen – die Experten nennen das einen „Synergieeffekt“.

Allerdings hat Thomas Middelhoff gerade in diesem Punkt ein Problem, das „Amazon“ heißt und, ehemals ein ökonomischer Zwerg, im Internet-Buchhandel eine Nasenlänge voraus ist, um nicht zu sagen: denselben weltweit beherrscht. Für den Netznutzer sieht das folgendermaßen aus: Er gibt, zum Beispiel in der fulminanten Suchmaschine „Altavista“, das Stichwort „Gott“ ein, um mit dem allerhöchsten Wesen in Kontakt zu treten, und findet als erstes den Hinweis: „amazon.com. bestsellers. Books about god“. Ziemlich praktisch: Warum soll sich der Gläubige auf fünf Millionen Web- Sites einlassen, wenn er so schnell einen Bestseller findet? Mausklick auf „amazon“ – und schon reduziert sich die Gottsuche auf 11.242 Ergebnisse, mit anderen Worten: 11.242 Bücher, die über Gott handeln und bei Amazon auf dem Wege des Online-Commerce erhältlich sind. Allen vorangestellt: „Conversations with God. An Uncommon Dialogue“, Vol. 3, von einem Mister Neale Donald Walsch, Hardcover. „To see more results scroll down and click the MORE button.“

Damit wäre das ganze Geheimnis des Medienwechsels gelüftet.

Das Mysterium des Internets ist das Mysterium der Globalisierung – es reduziert sich auf das Wörtchen MORE. Es geht, schlicht und einfach, um mehr. Um mehr „results“, um mehr Mausklicks, um mehr Bücher, ganz nebenbei auch um mehr Geld, aber letzten Endes: um mehr Gott. Wir kommen Gott näher – schon darum, weil auf einen Mausklick schlagartig jede Menge Gott zu haben ist. Und wer am meisten Gott und andere Güter anbietet, hat nun einmal die Nase vorn. Bertelsmann hat da schon den richtigen Riecher – man ist zwar noch immer ein richtig deutscher „Inhalte-Konzern“, besitzt aber schon den größten englischsprachigen Buchverlag und startet jetzt, mit Middelhoff, voll durch: „Wir greifen Amazon an, und zwar kraftvoll.“ Ich sage immer nur: Gütersloh!

Was könnten, in diesen Turbulenzen, Zeitungen und Zeitungsleser, Radio und Radiohörer, das Fernsehen und seine Zuschauer oder gar die Heidelberger Druckmaschinen AG noch ausrichten? Sie gehören einer anderen Kultur, einer anderen Zeitökonomie an; im Grunde sind sie ein Relikt des 19. Jahrhunderts. Sie schätzen „die regionale und lokale Berichterstattung sowie fundierte Hintergrundberichte“, so das Ergebnis der Forsa-Umfrage. Sie halten es mit der „Glaubwürdigkeit“. Wer oder was aber ist glaubwürdiger als Gott, zumal wenn er so massenhaft wie im Internet angeboten wird?

Freilich: Alles, was neu ist, bedarf einer gewissen Aktivität. Wir müssen agil sein, hellwach, anpassungsbereit, belastbar, flexibel und dynamisch. Die Experten nennen das Phänomen „Interaktivität“ und meinen damit die Fertigkeit unserer auf die (Schreibmaschinen-)Tastatur gedrillten Fingerspitzen, die uns – kaum haben wir uns versehen – in die neue Galaxis katapultieren. Die Zeitungs-, Radio- und Fernsehfritzen setzen noch immer, so die Forsa-Umfrage, auf Verschlafenheit: Der wesentliche Anreiz zur Konsumption ihrer Medien liege gerade in der Verlockung zur Passivität. Die meisten Leser, Hörer und Zuschauer glotzen nur vor sich hin, „ohne etwas Bestimmtes zu erwarten“. Mit Recht hat Enzensberger daher das Fernsehen eine buddhistische Maschine genannt. Mit diesem Buddhismus ist jetzt endgültig Schluß. Der neue kommt aus dem Internet. Die interaktiven Medien greifen an, und zwar kraftvoll.

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