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SchlaglochRechts antäuschen, links überholen

 ■ Von Friedrich Küppersbusch

„Es nützt nichts, über die Arbeitslosenzahlen zu schimpfen. Wir müssen vielmehr die Wirtschaft stärken, nicht von morgens bis abends auf die Reichen eindreschen.“

Helmut Kohl, Januar 1983

Gut geschrödert! Norbert Blüm dagegen patzte damals ungelenk mit der Forderung nach einer „Lohnpause“. Auf schrödeutsch klingt das heute konsenswilliger nach „Einbringung auch der Tariffragen in das Bündnis für Arbeit“. Im übrigen fangen alle interessanten Sätze in letzter Zeit mit „im übrigen“ an. Der Neue verfügt weder über den journalistischen Stilwillen Willy Brandts noch über die technokratische Brillanz Helmut Schmidts. Im übrigen ist im übrigen eine Wendung des Sortierens, des Ranges, des Ordnens. Der Sprecher will betonen, daß er die Prioritäten setze. Vielleicht gibt dies Aufschluß über seine aktuellen Nöte.

Helmut Kohls Regierungsauftakt sog sein bißchen Glanz und Gefühl aus der schieren Tatsache seines Stattfindens; „den ersten Parteitag als Regierungspartei seit 15 Jahren“ karikierte etwa der Spiegel damals als solchen. Franz Josef Strauß ging gerade daran, sich mit dem DDR-Kredit unglaubwürdig zu machen; enttäuschte Anhänger wurden Abgänger, sollten später die „Republikaner“ gründen.

Kohl bekam den Rücken frei. Er forderte seine „geistig-moralische Wende“, die genausolang als leere Hülse verspottet wurde wie ihr Urheber; beides böse Irrtümer. Alfred Dregger füllte den Slogan schon in der Mitte des Jahres 1983 mit dem Wunsch nach einem „unverkrampften Verhältnis zu unserer nationalen Geschichte“. Dregger als der Roman Herzog unter den Martin Walsers. „Eure Armut kotzt mich an“ – schmückten Sticker die BMW-Hecks der mittleren Neunziger; „ich schaue immer weniger hin“ übersetzt Walser dies inzwischen für die S-Klasse-Kundschaft. Wucht, Umfang und Erfolg der geistig-moralischen Wende imponieren. Wie auch die Souveränität, mit der Helmut Kohl seine Ernte nun vom Abgeordnetenstuhl aus auf seine Nachfolger niedergehen sieht. Wie immer man später über den Nichtlinken Schröder urteilen wird; er mußte verdammt weit rechts anfangen.

Den Rentnern kündigte man für 1984 an, daß Krankenkassenbeiträge zu zahlen seien. Das Schlagwort „Sozialabbau“ begann seinen erfolglosen Weg, die Regierung Kohl verlegte sich auf eine Politik der tausend Nadelstiche; am Ende sollten es über 70 leistungsmindernde Einzelmaßnahmen sein, Kleinvieh macht auch Mist.

Der Nichtrechte Kohl hielt sich – wohl unter Schmerzen – seinen katholischen Soziallehrer Geißler, der Partei und Gesellschaft den Frauen öffnen wollte. Kohl las in seiner Regierungserklärung unfallfrei die Trendworte „Waldsterben“ und „Umweltverschmutzung“ vor, man bemühte sich, die Union als die bessere Sozialdemokratie aussehen zu lassen, und verschaffte dem Land eine Phase, von der sich im nachhinein sagen läßt: Man sprach über die Dinge. Statt der „neuen“ hieß das damals auf verquollkohlsch noch „die Mehrheit der politischen Mitte“, gemeint war in beiden Fällen nichts Genaues, also das gleiche.

„Donnernder Einzelapplaus des Abgeordneten Fischer“, notierte die taz im Mai 1983, als Kanzler Kohl in seiner Regierungserklärung die „Turn- und Sportbewegung zur größten Bürgerinitiative unseres Landes“ erklärte. Damals war Fischer noch nicht auf dem laufenden; die größte Bürgerinitiative hierzulande war immer schon der ADAC, und es hat die Grünen viel und im letzten Wahlkampf dann beinahe alles gekostet, das nicht begriffen zu haben.

Reibungsärmer adoptierten die Grünen zwischenzeitlich einen anderen irrlichternden Kampfbegriff der frühen Kohl-Jahre: den der „Elite“, liberal auch „Leistungselite“. Elite war natürlich pfui, es sei denn, man ist selber eine: „Wenn wir schon nicht viele sind, sind wir wenigstens wenige bessere!“ Oder mit Schily: „Wo ich bin, ist vorne.“

Der Innenminister und rübergemachte Grünen-Gründer empört die linke Öffentlichkeit mit seiner „Das Boot ist voll“-Demagogie, während Traditionssozi Scharping aus Bosnien weiter Hilfe für Bürgerkriegsopfer anmahnt.

Vielleicht heißt es, die neue Mannschaft überzubewerten; aber mit Schily rechts antäuschen und mit neuem Staatsbürgerecht links dran vorbeigehen – das könnte sich als das Beste erweisen, was ihr bisher unterlief. Jedenfalls wäre es die Umkehrung der 80er Jahre.

Tja. Über die Feiertage mal in den alten Ordnern wühlen, dann die Zeitungsstapel auf dem Weg zum Altpapiercontainer – im übrigen eine Errungenschaft der in Rede stehenden Epoche – noch mal durchblättern, und dann ist ja bald auch Zeit für diese „Erste 100 Tage“-Artikel. Ein willkürlicher und historisch nicht belegter Brauch: Bismarck verbrachte Jahre seiner Kanzlerschaft fernab und unerreichbar auf seinen Landgütern; dem TV-Politiker dagegen sind 100 Tage ohne Airplay ein lebensbedrohendes Koma.

Jedenfalls schreibt Bild bereits seit Wochen stur vom „Fehlstart“, während Schröder bemängelt, statt der 100 hätte er doch wenigstens gern fünf ruhige Tage nach der Ernennung gehabt. Laut Kanzleramt rechne man ab der Vereidigung am 27.Oktober 1998, dann ist es erst am 4. Februar soweit.

Ein drolliger Streit um die Vorspeise, es sitzen so viele Halbverhungerte mit am Tisch: Der mündige Staatsbürger hat sich zerlegt in ein Heer umtriebiger Teilnehmer an der Schnäppchenmarktwirtschaft einerseits – und andererseits ein paar Rudel journalistischer Betrachter. Politik ist, wenn man hinterher Steuern spart oder aber sowieso schlecht, habe das ja schon lange so kommen sehen. Früher war Politik für den Arsch, heute geht sie uns auch an ihm vorbei.

Die Gastro-Kritik der Menüfolge Schröder wird sich an einer saumäßig gerechneten 620-Mark- Job-Bastelei festmachen; an der neuen Zahlmeister-Offenheit in europäischen Fragen. „Rente!“ „Krankenkassen!“ „Steuerreform!“ schallt und schilt es wie gehabt. Grün-intern wird man das TV-Bild noch einmal durchleiden, wie Fischer stumm dem Schröder- Lob für Clintons Irak-Einsatz beisaß. Das tat weh. Es wird ein paar hinter die Kochlöffel geben, und dann weiter.

Richtig ist, daß beides falsch ist; weder Turner noch Tuner, weder Läufer noch Autofahrer sind die größte Bürgerinitiative des Landes. Die Grünen, als Partei der Bewegungen angetreten, sind sich treu geblieben; mit der Regierung nehmen sie an einer der letzten halbwegs politischen Bewegungen des Landes teil. Auch die tut gut daran, sich dabei nicht erwischen zu lassen.

Gerhard Schröder kann sich diese Woche über eine Stern-Umfrage freuen, nach der er beim Nichtstun wesentlich besser aussieht als Kohl, der zusammen mit Schäuble inzwischen „nahe dem Nullpunkt“ rangiert. Und Joschka Fischer, so heißt es weiter, sei „für Höhergebildete Favorit“. Halloooo! Aufwachen! Jetzt mal machen hier! Ihr seid dra-haaaan!

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