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■ SchlaglochRelevanz-Erosion und die Angst vor dem Kleinen Von Christiane Grefe

„Der Charme des Neuen ist dahin ...“ Daniel Cohn- Bendit über die Grünen

„Wachgeküßt“ sah ich kürzlich im Kino: Eine verlassene Frau sucht ihr neues Ich. Nah an der Kitschgrenze. Doch mich hatte nicht Holly Hunters Selbstfindung gelockt, sondern der wunderbare Danny DeVito. Der muß immer ihm auf den Leib geschriebene Rollen spielen: den lebensklugen Kerl, der schon viele Fehler begangen, Tiefen durchlitten hat und daher auch bei Freunden das Unglück frühzeitig kommen sieht. Alle holen sich bei ihm Rat, alle mögen ihn – doch natürlich hören sie nicht auf ihn. Am allerwenigsten die schöne Frau, für die er insgeheim schwärmt: Auch die weint sich aus, will aber sonst nichts von ihm. Denn Danny ist klein und dick; und er verhält sich auch so.

Ähnlich ist das mit Bündnis 90/ Die Grünen. Nein, jetzt kommt nicht die x-te Anspielung auf Joschkas abtrainierten Leib. Doch ein bedeutender Grund für die Wahlschlappe vom vorvergangenen Sonntag ist – neben zynischem CDU-Populismus und hessenspezifischem grünem Klüngelverdacht – ein bundesweit wirksamer Danny-DeVito-Effekt: Immer mehr grüne Politiker wollen nicht länger die zwar sympathischen, aber unbequemen Warner sein, assoziiert mit Problemen, daher unattraktiv = klein und dick. Um also das Begehren der schönen Frau Wählerin zu wecken, haben sie – mit Ausnahme des Atomausstiegs – die lästige Ökologie zu einem Thema unter anderen degradiert.

„Nicht mehr nur in der Öko- Ecke stehen“: Solch verdruckstes Auftreten grüner Protagonisten ausgerechnet bei ihrem ureigenen Anliegen ist aber nicht nur selbstverleugnend defensiv, sondern vor allem ein fataler, auch verantwortungsloser geistiger Rückschritt: die Preisgabe jenes problemübergreifenden Ökologiebegriffs, der mit analytischem wie ethischem Anspruch zu Politik, Kultur und Wirtschaft integrierender Gestaltung führt. Mit diesem zukunftsträchtigen Identitätsmerkmal verlören die Grünen genau an der falsche Stelle Gewicht: nicht um die Hüften, sondern am Kopf.

Den frischesten Beleg für dergleichen Relevanz-Erosion hat vor ein paar Tagen Dany Cohn-Bendit geliefert: „Was tun?“ so fragte Cohn-Bendit nach den Konsequenzen aus der hessischen „Bruchlandung“. Und bot als Lösung einen Beliebigkeitskonkurrenz-Wettlauf mit der FDP an, die Fünf-Prozent-Todesgrenze entlang: Etscheidend sei, welcher der beiden Kleinparteien es gelinge, „soziale und liberale Traditionslinien“ zu verkörpern und attraktiv zu werden für eine „hedonistisch eingestellte“ junge Generation. Selbstredend ist der Kampf für Bürgerrechte, etwa für das ius loci im Staatsbürgerrecht, Teil des grünen Projekts. Doch Ökologie kommt bei Cohn-Bendit schlicht überhaupt nicht mehr auf dem grünen Weg in die Zukunft vor, sondern nur noch als „Thema der 80er Jahre“ – also Alteisen. Und seine Auseinandersetzung mit dieser Überlebensfrage erschöpft sich allein in der Behauptung, das ökologische Denken niste „längst in der Gesellschaft“ und sei „im öffentlichen Bewußtsein zum selbstverständlichen Bestandteil sozialer Modernisierung“ geworden.

Nun wird ja tatsächlich in Umweltministerien und –abteilungen, in Ingenieurbüros, Ökobanken und quer durch die Parteien fleißig gearbeitet. Aber nicht nur stellen diese Vorreiter noch immer eine Minderheit dar; ihre Bemühungen stoßen sogar wieder verstärkt an die Brandmauern traditioneller Wachstumslogik, die – nicht zuletzt beim roten Koalitionspartner – eine ungeahnte Renaissance erfährt. Wie falsch Cohn-Bendit mit seiner lässigen Öko-Entwarnung liegt, steht täglich in der Zeitung:

Der Pestizidverbrauch steigt auch in der Bundesrepublik wieder an – vor lauter verankertem Umweltbewußtsein? Die Massentierhaltung nimmt – trotz breiter Ablehnung – zu. Gentechnisch erzeugte Lebensmittel stehen in hohem Verdacht, immunschwächend zu wirken. Von der Schiene auf die Straße, lautet die Parole im Gütertransport. Der Energieverbrauch im Verkehr geht beständig nach oben. Vom weltweit bedrohlichen Anstieg der CO2-Kurve zu schweigen; von Umweltflüchtlingen und Ressourcenkonflikten in Afrika oder den auch ökologisch fatalen Wirkungen globaler Unternehmenskonzentration. Nichts mehr zu tun für die Partei? Das Ökologiethema abgehakt?

Kein Fundi-Rückpfiff soll hier ertönen oder, wie Cohn-Bendit das nennt, „bibeltreuer Katechismus“. Daß kleine Koalitionspartner, etwa bei der Ökosteuer, nur begrenzt durchsetzungsfähig sind, ist klar. Aber die Selbstbesch(n)eidung kann doch wohl nicht so weit gehen, daß ein grüner Außenminister in seiner vielbeachteten Rede vor dem Straßburger Parlament keinen Hauch einer grünen Vision für Europa versprüht, ja nicht mal ein Wort verliert zum Beispiel über die Umsetzung des EU-Weißbuchs „Erneuerbare Energien“ oder eine EU-weite Ökosteuer. Wer, wenn nicht die Grünen, soll denn die ökologische Notwendigkeit, aber auch ökonomische Überlegenheit dezentraler Konzepte vorantreiben? Oder sind ihnen biologischer Landbau und sanfte Chemie unter dem normativen Druck der Bonner Kleiderordnung schon peinlich geworden?

Angst vor dem Kleinen? Nicht populär genug? Wer sagt das eigentlich? Die Idee etwa, daß die hessischen Jugendlichen mit dem Entzug ihrer Wählergunst auch den Widerspruch zwischen realer Umweltlage und schwindendem ökologischem Profil der Grünen quittiert haben könnten, scheint Daniel Cohn-Bendit gar nicht zu kommen. Den Hedonismus der Jungen will er integrieren – aber warum nicht deren vielfach belegtes, ebenso ausgeprägtes Bedürfnis nach ökologischer Zukunftssicherung? Sie haben ja nur das tatenlose Lamento über Umweltgefahren satt – aber nach konsequenter praktischer Politik sehnen sie sich.

Und auch sonst liegen diejenigen Grünen, die lieber neue Liberale werden wollen oder denen noch vom Benzinpreis-Einknicken die Knie weh tun, in ihrer skeptischen Einschätzung der öffentlichen Meinung vermutlich daneben. In einer Marketingstudie mit der Frage „Was fasziniert Sie am meisten?“ lagen alternative Energien ganz oben, noch vor Olympiade, Bill Gates und Ferrari. Ein Sympathievorschuß, den sich die Bankenwerbung zunutze macht – aber nicht offensiv auch die Grünen? Die Ökologie sei die Schlüsselfrage des kommenden Jahrhunderts, meint sogar die konservative Zeitschrift Foreign Affairs. Und dann treten diejenigen, die mit genau diesem Thema identifiziert werden, dieses freiwillig ab?

Nein – alles spricht dafür, sich wieder hartnäckig der originären Aufgabe zu verschreiben, Wirtschafts- und Naturkreisläufe zu integrieren, statt sich in eine ideenarme Allparteiengemeinde einzureihen, die zwar Ökologie und Ökonomie versöhnen will – aber ohne die Wirtschaftslogik zu verändern. Auch Danny DeVito – intelligent, ironisch, witzig – wirkte ja sexy, würde er selbstbewußt zu seiner Unverwechselbarkeit stehen: Small is beautiful! Ich bin klein und dick! Oh, Danny .... Die schöne Frau will schießlich eine Wahl haben – und kein Abziehbild.

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