piwik no script img

SchlaglochPossierlicherNebenwiderspruch

Von Friedrich Küppersbusch

Das Schlimmste, was man Jörg Haider antun könnte, wäre: fair zu ihm zu sein

Der allerorts geforderte „Videobeweis“ lag vor: Helmut Markwort als Knallcharge in einem nackten, nackten, nackten Peinlichporno. Die Details waren sauber recherchiert, der Moderator souverän gelassen im Wissen um vollständig erledigte Hausaufgaben. Einwände enttarnte er als Ausflüchte; riss in den Zusammenhang, was als rausgerissen abgewehrt wurde; blieb im Ton verbindlich und gönnte den Schlussapplaus dem schweißnass geschwitzten Gast.

Nicht lang danach durfte Roger Willemsen keine politischen Gäste mehr interviewen. Ein unmutiges Räuspern des damaligen Kanzlers Kohl – Willemsen hatte dessen Doktorarbeit nach Lektüre als „Leistungsverweigerung“ vorgestellt – soll dabei noch eine Rolle gespielt haben. Schwer zu richten, wer unglücklicher reagierte: das ZDF, das sich einen politischen Moderator leistete, um ihm politisches Moderieren abzugewöhnen; oder der Betroffene, der fortan darauf vertraute, dass das Politische privat sei und umgekehrt. Und das Publikum klug.

Was Willemsen damals mit Markwort veranstaltete, war bis aufs Pixelchen exakt das, was man neuerdings als fiktives „richtiges“ Haider-Interview fordert. Und so ähnlich müsste ein gutes „Focus-TV“-Interview aussehen, wenn es denn Ähnlichkeit mit seiner PR-Strategie erlangen sollte. Mach alles, wofür du normalerweise mit „Daumen runter“ im Rundfunkrat rechnen kannst, und du bist plötzlich gut.

Das stellt die übliche Sozialisierung auf den Kopf; für den Alpenalb Haider wird eine Interviewtechnik und – mehr noch – eine redaktionelle Vorbereitung gefordert, die man alltags als rausgeschmissenes Geld mal linkes Gelaber geteilt durch gepuderte Eitelkeit ausgetrieben bekommt.

„Die Medien haben ihre Aufgabe hervorragend gelöst“, lobt einer ihrer innigsten Freunde, SPD-Veteran Hans-Jochen Vogel, bei einer Christiansen-Runde zum Spendenskandal. „Das ist eine unglaubliche journalistische Fehlleistung“, schäumt zeitgleich Vogels Genosse Clement, als sich die hervorragende Lösung der journalistischen Aufgabe „WestLB-Skandal“ gegen ihn wendet.

Natürlich schmückt sich der so getadeladelte Spiegel im nächsten Artikel mit Clements Diss. 30 Seiten weiter hinten, im Beitrag über das Krisenfernsehen, kommt das Blatt aber schnell wieder zur selbstkritischen Vernunft: „Und immer schneller müssen die Medien berichten ... Zeit zum Nachdenken wird Mangelware, populistische Vereinfachungen drängen sich auf.“ Für die einen ist es ein Schlusssatz, für die anderen die längste Hausmitteilung der Welt.

„Biedenkopfs Kardinalfehler war, dass er den Menschen an Rhein und Ruhr unter dem populären Schlagwort ‚Filzokratie‘ ein Problem einreden wollte, das es so gar nicht gibt.“ Aber wir arbeiten dran: Diese Wahlanalyse schrieb Wolfgang Clement am 5. 10. 1976 als Chefredakteur der Westfälischen Rundschau. Weitere fünf Jahre früher lobte er gar den Spiegel, weil er von den „Machenschaften der Erhardt-Regierung den Schleier zog“.

So vergeht einem manches, auch die Zeit. Inzwischen ist der Journalist selbst filzgeschmähter Politiker, im Austausch bekommt die ARD Gauck und Herzog als Talkmaster, Friedman und Antwerpes für die Dritten, Späth und Eggert bei n-tv; und wenig überraschend: Die machen das oft genug gar nicht so schlecht. Du brauchst ein gewisses Grundvertrauen der Gäste in deine Gesprächsführung, ein detailliertes Wissen darüber, „wo’s weh tut“, und eine aus tiefer Resignation genährte Einsicht in die Not zur Vereinfachung gerade im Fernsehen.

Die Karriere eines Provinzbürgermeisters Richtung Kanzleramt scheitert heute gegebenenfalls schon beim verstotterten Live-Interview mit dem Lokalfunk; die des potenziellen „Tagesthemen“-Moderators an gleicher Stelle genauso. Im WDR-Archiv schlummert ein Filmstreifen mit gut 20 Klappen, also abgebrochenen Versuchen, einer TV-Weihnachtsansprache des damaligen Kanzlers Erhardt. Der Mann hätte heute Schwierigkeiten, via und trotz Medien ein Landtagsmandat zu erobern.

Maßstäbe, die heute an Politiker wie Journalisten angelegt sind, ähneln einander ungehörig, also gehörig: Ausschussmitglieder sollten leyendeckeresk gut recherchieren können; TV-Gastgeber sollten mal ein Auge zudrücken können, wie man es von anderen Parteifreunden schließlich auch verlangen kann. Beide Seiten eint ein gewisses Interesse an Politik, das ist so verbreitet nicht mehr, als dass man bestimmte Gruppen vom Diskurs ausgrenzen könnte.

Das Wesen des gegenwärtigen News-Booms ist weder besonders guter noch Aufsehen erregend demütiger Politjournalismus. Das Besondere ist das Interesse, auf das er trifft, und dies wiederum nährt sich aus dem schlichten „Hab ich mir doch gleich gedacht, dass das so läuft.“

Mit Köfferchen voll Schmiergeld auf dem Supermarktparkplatz, mit der wagemutigen Unterstellung, jemand in Bonn habe Sex mit jemandem in Bonn gehabt; und schließlich der lang gereiften Vermutung, dass Helmut Kohl ist, wie er ist, wie er isst. Der Kern der CDU-Spendenaffäre, wie sie sich heute darstellt, stand 1995 in einem Artikel von Klaus Wirtgen, worauf Siegfried Weischenberg, Chef der Journalistengewerkschaft DJV, am Rande der Debatte hinweist. Es gilt also leider auch den Gedanken zu wagen, dass es erst Gewicht bekam, nachdem die Hauptdarsteller die Macht verloren hatten.

Kluge Politiker erkennt man zur Stunde am Ruf nach endlich wieder programmatischer, inhaltlicher Debatte. Das klingt idealistisch, und noch toller – es heißt im Klartext: „Lasst uns endlich wieder Pressekonferenzen machen, wo selbst Phoenix nach fünf Minuten aussteigt.“ So wird das leidige Thema bald ausgefriedrichmerzt, und zwar großkoalitionär: Der Drohmechanismus „Aufhören, oder wir zerlegen euch den Rau“ scheint interkonfessionell zu greifen.

Für den politischen Journalismus aber bleibt eben jener possierliche kleine Nebenwiderspruch erinnernswert, wie mal alle kritischen Journalismus teils einforderten, teils lobten und jeder jeweils den Journalismus meinte, der ihm nutzt: Nichts Neues.

Ludwig Erhardt hätte heute Schwierigkeiten, ein Landtagsmandat zu erobern

Haider übrigens nutzt es am meisten, schlecht befragt und bösartig vorverurteilt zu werden. Die Christiansen-Ausgabe mit ohne Haider unterschied sich in nichts von den meisten anderen; ein- oder ausgeladen wird vernünftigerweise, bis der Vorspann läuft, nur diesmal wurde es öffentlich diskutiert: eine Million Webhits auf der Homepage der Sendung. Schönen Dank für Ihr Interesse!

Merkposten hier: der vorerst vertagte Showdown zwischen Haider und Westerwelle. Letzterer der deutsche Politiker, der im Mut zum Mantra, in klugem Verzicht auf intellektuelles Geltungsbedürfnis vergleichbar unkalkulierbar daherkommt wie der Exliberale aus Österreich.

Die Mutprobe wäre, mit Haider ein Gespräch zu versuchen, das ergebnisoffen, gut informiert, selbstbewusst und angstlos daherkommt: halt eines, wie es journalistischen Mindeststandards entspricht, die anderntags jeder andere Politiker unerbittlich für sich in Anspruch nimmt.

Das Schlimmste, was man ihm antun könnte wäre: fair zu sein. Aber da muss er sich vorerst keine Sorgen machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen