Schlagloch Polit-Clowns: Der Zirkus zieht weiter
Wenn Politik nur dazu dient, Reiche reicher und Arme ärmer zu machen, helfen nur noch Clowns. Doch hierzulande lebt die kryptorassistische Niedertracht.
I n einem meiner Lieblingsfilme unter den Western all’ italiano, „La collina degli stivali“, wird die Herrschaft eines babygesichtigen Erzkapitalisten geschildert, der mit seiner terroristischen Bande und mithilfe windiger Advokaten und korrupter Gesetzeshüter alle Leute von ihrem Grund und Boden vertreibt. Wer sich seinem Willen nicht beugt, wird umgebracht oder verjagt. Die Organe von Gesetz und Ordnung sind schwach, korrupt oder profitieren von der Herrschaft des Kapitalisten. Niemand kann sich seiner Gewalt entgegenstellen.
Niemand? Ein Zirkus kommt in die Stadt, mit Akrobaten, schönen Frauen und vor allem mit Clowns. Mit dem Zirkus kommen ein Pistolero, ein Haudrauf und ein befreiter Sklave. Der Kapitalist, der gerade wieder einem eingeschüchterten Landbesitzer seinen Boden abgenommen und ihn durch Drohungen mundtot gemacht hat, um ihn sogleich als mies bezahlten Lohnarbeiter wieder einzustellen, zeigt sich großzügig und lädt alle, seine Opfer, seine Mittäter und die ohnmächtigen Zeugen, zu einer Vorstellung des Zirkus ein.
Doch die Clowns spielen ein derbes Stück. Sie spielen das Stück vom Terror-Kapitalisten. Sie sprechen im Namen der Opfer. Und sie spielen den Aufstand, so lange, bis der Terror-Kapitalist sein wahres Gesicht zeigt. Dann kommen der Pistolero, der Haudrauf und der freie Sklave zum Einsatz. Das Volk, das in der Zirkusarena endlich nicht mehr ratlos war, befreit sich. Was nach der Revolte kommt, bleibt offen. Nur so viel ist klar: Ohne die Clowns würde der babygesichtige Terror-Kapitalist noch heute herrschen. Beziehungsweise genau das tut er.
ist freier Publizist und Kinoexperte. 2012 erschien von ihm „Wir Untote! Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction“ (mit Markus Metz).
Vollendeter Opportunist
Wenn staatliche Gewalt, ökonomische Interessen, das Gesetz und der Alltag eine Einheit gebildet haben, um die Menschen von ihrem Land, aus ihrem Leben und aus ihren Rechten zu vertreiben, wenn Leute, die sich ihre Rechte nicht nehmen und ihre Solidarität nicht abkaufen lassen wollen, mit Gewalt bedroht werden, wenn der Umbau der Demokratie mit freiem Markt in eine staatskapitalistische „marktkonforme Demokratie“ vorangetrieben wird, wenn Gesetz und Politik nur noch dazu dienen, die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen, dann helfen nur noch die Clowns.
Die Clowns sind die Einzigen, die dem Herrschaftssystem ein fundamentales Nein entgegensetzen können. Und nicht umsonst gibt es den Clown in zwei Ausprägungen. Da ist der weißgesichtige Clown mit seinem Glitzeranzug, ein vollendeter Opportunist, der sich Autorität angemaßt hat und der im Namen der Ordnungen und der Interessen und der furchtbaren Normalitäten spricht. Und da ist der dumme August, rotnasig und in viel zu großen Schuhen, der erfindungsreich die Selbstinszenierung des weißen Clowns sabotiert.
Der Kampf zwischen Berlusconi und Grillo etwa ist so eine Auseinandersetzung. Das große, glitzernde und clownesk übertriebene Ja zu allem, was Neoliberalismus und Postdemokratie an Niedertracht zu bieten hat, und das fundamentale, polternde, kindische und poetische Nein. Um diese beiden wuseln die „Zwerge“, die Kleinwüchsigen, die in ihren kleinen Feuerwehrautos unterwegs sind, sich mit Kanonen davonschießen lassen oder aus Koffern purzeln. Die kleinwüchsigen Clowns sind nicht komisch, weil sie so klein sind, sondern sie sind so komisch, weil sie das Klein-Sein ihrer Zuschauer repräsentieren. Alle gegen den großen weißgesichtigen Clown.
Poetische Gewalt des dummen August
Wer am Ende gewinnt? Die Zwerge sind, wenn sie dem Großen einmal die Instrumente geklaut haben, dann doch mehr übereinandergefallen; die poetische Gewalt des dummen August richtet sich schließlich gegen ihn selbst. Er kann ja nichts anderes als Nein zu den Verhältnissen sagen. Er muss stolpern über sein Nein.
Wenn Peer Steinbrück von den zwei italienischen Clowns gesprochen hat, glaubte er wohl, wie die Gäste im Zirkus am Hügel der blutigen Stiefel, kein Teil ihres Spiels zu sein. Reden wir nicht von Respekt oder Ignoranz: Wenn jemand das Spiel der Clowns so wenig versteht, dass er nicht einmal erkennt, wie das System gemeint ist, das er repräsentiert, dann bleibt ihm höchstens noch eine Zwergenrolle.
Die Clowns haben auf die unterschiedlichste Art die Wahrheit über die Welt gesagt. Danach kommen die Leute, die die Manege aufräumen und jemand, der die Leute nach Hause schicken muss. Aber wie können wir heimkehren, als wäre nichts gewesen?
Die Perspektive der Nutznießer
Dies ist jedoch die deutsche Lösung, scheint es. Ein fundamentales Nein ist hier nicht zu hören gegen den Neomerkantilismus des Merkel-Staates und gegen eine mediale Verblendung, die von „uns“ spricht und den Menschen im Nachbarstaat längst das Häuschen neidet und den Schafskäse auf dem Brot, der nicht von Lidl stammt. Es lebe der Nationalkapitalismus! Es lebe die kryptorassistische Niedertracht! Die Zyprioten sollen sich nicht so haben; wenn wir ihnen helfen sollen, müssen sie schon was hergeben dafür.
Wir haben uns in Deutschland auf eine Art der Alltagsclownerie verständigt. Da es eine fundamentale Kritik der, na ja, freien Presse nicht mehr gibt (erwähnten wir, dass der Terrorkapitalist im Film natürlich auch die Zeitung in seiner Gewalt hat?), haben wir den Clowns und Kabarettisten die Aufgabe übertragen, Nein zu sagen. Aber nur so, dass wir danach heimgehen dürfen und weitermachen wie vorher.
Ein politisches System wie der Berlusconismus wäre niemals möglich ohne die willfährige Hilfe eines Heeres von „Medienarbeitern“, die nichts dabei finden, als Stimme ihres Herrn zu lügen. Ein politisches System wie der Merkelismus, dessen Europäisierung uns nicht aus der Perspektive der Opfer, sondern aus der der Nutznießer erzählt wird, wäre nicht möglich ohne die willfährige Hilfe eines Heeres von „Medienarbeitern“, die nichts dabei finden, „für uns“ zu lügen. Wer, wenn nicht die Clowns, könnte noch die Wahrheit über die Menschenfeindlichkeit des deutschen Staatskapitalismus sagen?
Der Zirkus zieht weiter. Wir kehren an den furchtbarsten Ort der Welt zurück. In die politische Normalität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften