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Schlagloch Erster WeltkriegZerwühlte Erde, sonst nichts

Kommentar von Mathias Greffrath

Damals, kurz nach 14/18: Über einen Film, der mehr sagt als die kiloschweren Neuinterpretationen der „Urkatastrophe des Jahrhunderts“.

Was bitte soll am 1. Weltkrieg ausgezeichnet gewesen sein? Bild: dpa

A uch wenn der Overkill der Sonderbeilagen sich lange vor dem 1. August erschöpft hat – hier noch ein Beitrag zum Jubiläum über einen Film, der mehr berührt als all die Fotos über Gräben, Bajonette und Stacheldraht: Der Film heisst „En dirigeable sur les champs de bataille“.

Es ist ein stiller Film, kein Poilu und kein General kommen in ihm vor, er kommt ganz ohne Leichen und Worte aus. Er ist sehr leicht, fast heiter. Und unendlich traurig. Er zeigt eine lange Fahrt mit dem Luftschiff über die Westfront, von Dünkirchen bis nach Verdun, 1919 gefilmt, als das Töten ein Ende hatte.

Rostende Panzer auf dem Chemin des Dames; Schlammwüsten, wo gelebt und geerntet wurde; Granatenkrater, mit Wasser gefüllt, kilometerlang die Zickzackschnitte der Gräben, das tote Holz der Wälder – und die Städte. Menschen schauen zu dem Zeppelin hoch, winken, und der Pilot winkt zurück.

Mathias Greffrath

geboren 1945, ist freier Autor für Print und Hörfunk und lebt in Berlin. Zurzeit entdeckt er bei seinen Recherchen in Verdun und im Argonnerwald die Vorzüge nicht hybrid gezüchteter Hähnchen. Jean-Améry-Preis 1988.

Von „En dirigeable sur les champs de bataille (1919)“ gibt es zwei Kopien. Eine Kopie ist im Musée Alfred Kahn, eine in der Mediathek ECPAD des französischen Verteidigungsministeriums. Bei beiden kann man kann sich eine DVD bestellen.

Unten liegt das vier Jahre beschossene Ypern, die Wände der Kathedrale durchlöchert, von den Häusern nicht einmal mehr Grundmauern, nur noch Kellerlöcher. Auf den Straßen haben Händler ihre Stände aufgestellt, Läden gibt es nicht mehr. Nicht weit davon Passchendaele, das Sanctuarium der Engländer, das Dorf, in dem die letzte Offensive der Reichswehr im Jahre 1918 verblutete: zerwühlte Erde, sonst nichts.

Ein Film der Stunde null

Irgendwo da unten, bei Passchendaele, wurde im August 1916 das Regiment aufgerieben, zu dem mein Großvater gehörte, er hat es überlebt, mit Splittern in Arm und Bein und Schulter. Aber nicht deshalb hat mich dieser Film so berührt, sondern weil er eine Momentaufnahme der Stunde null zeigt, die in den historischen Periodisierungen zur interessierten Abstraktion gefriert.

Frieden, das ist nicht vor dem Krieg, sondern wenn der Kampf zu Ende ist. Screenshot: http://www.youtube.com/watch?v=SdFwEfoIM3E

Nicht Gewalt ist zu sehen, nur ihre Spuren, aber fast körperlich spürte ich für einen Moment: den Frieden. Er leuchtet kurz auf in diesem verhaltenen, leicht traurigen Lächeln, mit dem der Pilot sich zum Kameramann umdreht, in dieser knappen Geste, mit der er aus der offenen Gondel den Menschen auf den staubigen Plätzen zuwinkt, die inmitten der Fassaden ohne Häuser in der Sommersonne stehen, reden und nach oben schauen, von wo keine Granaten mehr kommen: Ich stelle mir vor, auch sie lächeln, mit einem Ausdruck, für den Freude ein zu kleines Wort wäre und Erlösung ein zu großes. Frieden, das ist nicht vor dem Krieg, sondern wenn der Kampf zu Ende ist.

Der Kameramann heißt Lucien Le Saint, auf die Reise geschickt vom Bankier Albert Kahn, dem 1860 geborenen Sohn eines jüdischen Viehhändlers aus dem Elsass, der in Paris eine Banklehre begann und abends Philosophie und Jura studierte (Henri Bergson war sein Mentor).

Mit 32 wird Kahn Teilhaber eines großen Bankhauses und sehr schnell einer der reichsten Männer Frankreichs. Er nutzt sein Vermögen, um zehn Kameramänner und eine Kamerafrau erst durch Europa und dann um die Welt zu schicken. Sie machen die ersten Farbfotos im neuen Autochromverfahren, das die Brüder Lumière 1907 auf den Markt gebracht haben; Kahn will ein „Archiv des Planeten“ schaffen, eine fotografische Enzyklopädie vom Alltag aller Völker dieser Welt. 72.000 Farbfotos lagern in seinen Archiven, sie zeigen eine Welt, wie sie vor dem Krieg war; sie zeigen spielende Kinder in den Ruinen von Reims.

Die Macht der Bilder

Kahn glaubt, dass die Völker und ihre Eliten friedlich werden, wenn sie mehr über einander wissen; er glaubt an die Macht der Bilder. Von ihm selbst gibt es nur wenige. Eines, 1914 aufgenommen, zeigt ihn auf dem Balkon vor seinem Büro: ein kleiner, etwas gedrungener Mann mit Glatze, im Anzug mit Weste und einem Spitzbart, schaut die Straße entlang, die Stirn in Falten, als fixiere er eine Bedrohung in der Ferne.

Kahn ist nicht nur kamera-, auch publizitätsscheu, tritt nicht öffentlich auf, legt aber ein luxuriöses Stipendienprogramm auf, das junge Begabte ein Jahr um die Welt schickt: Sie sollen reisen, wohin sie wollen, hinsehen, hinhören, Kontakte knüpfen. In seinem Park in Boulogne-Billancourt empfängt er seit 1916 jeden Sonntag aufgeklärte Gäste aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Industrie: Albert Einstein kommt, H. G. Wells, Husserl, Marie Curie, Thomas Mann, Rabindranath Tagore, Wilson, Briand, Stresemann; in seinem japanischen Pavillon reden sie, spazieren, schauen Filme an. Vielleicht auch den von Lucien Le Saint. In der Weltwirtschaftskrise verliert Albert Kahn sein Vermögen, 1940 stirbt er verarmt im besetzten Paris.

Das alles klingt so märchenhaft, dass der Autor Michael Kleeberg es in seinem Roman „Ein Garten im Norden“ nach Deutschland transponiert hat: Ein Traum von einem Jahrhundert, in dem der Krieg nicht ausbricht, weil die Mächtigen und die Musischen sich auf Einladung eines Bankiers treffen, in einem kleinen Park, dort, wo jetzt das Holocaust-Mahnmal liegt.

Als Kulturstaatsminister Naumann diese Legende eines anderen Jahrhunderts vor gut zehn Jahren deutschen Privatbankern im Schloss Niederschönhausen vortrug, nicht ohne programmatisches Pathos, lächelten die Banker. Es war ein anderes Lächeln als das des Luftschiffpiloten. Der hieß Jacques Trolley de Prévaux, kam aus dem Hochadel, wurde später Admiral und 1944 in Lyon zusammen mit seiner Frau von der SS erschossen; ihr Widerstandsnetz hatte den Alliierten entscheidende Informationen über die Befestigungen am Atlantik zugespielt.

Das kommende Schloss

Das Jubiläumsjahr der „Urkatastrophe“ wird in England und Frankreich als großes patriotisches Fest gefeiert – die britische Regierung lässt es sich 60 Millionen Euro kosten. Unsere wusste nicht so recht, was und wie „wir“ da feiern könnten, und veranschlagte nur viereinhalb.

Aber da es nun schon einmal so märchenhaft zugeht in dieser Kolumne, stelle ich mir vor, sie würde auf hundertzwanzig aufstocken – und in Berlin einen Garten wie den von Monsieur Kahn aufblühen lassen, mitsamt den Stipendien und intimen Gesprächen, in denen die Eliten sich zwanglos zur Verhinderung der kommenden Urkatastrophen verabreden. Vielleicht könnte man ja sogar das neue preußische Schloss entsprechend umplanen.

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17 Kommentare

 / 
  • Ergänz mal - zum Film & YouTube -

    “Am 04.05.2012 veröffentlicht



    Filmed by a French dirigible crew in 1919, this 2 minute segment is only part of the original 78 minute film currently held in France. No commercially available copy of the complete original film is available yet....but we live in hope. The pilot served as a member of the resistance during WW2 and was shot by the Germans in 1944.“



    & Welch feinfurchtbare Ironie -



    “Titel



    Tristan und Isolde



    Künstler



    Kirsten Flagstad, Philharmonia Orchestra, Wilhelm Furtwängler“ 👹

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Zerwühlte Erde, sonst nichts"

     

    - ja ist es denn ein Wunder, im Kreislauf des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies" (unser erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung)?

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @688 (Profil gelöscht):

      1914 war es noch die Euphorie im Hurra-Patriotismus.

       

      Heute ist es das letzte Mittel, der Intrigen, Provokationen, Erpressungen, des "freiheitlichen" Wettbewerbs um ...!?

       

      Vielleicht wird der nächste Krieg der der Neutronenbomben und BC-Kampfmittel, damit kein Stein vom anderen fallen braucht, aber auf jeden Fall wird es die Krönung unserer Dummheit!?

  • Muss man diesen Unsinn immer noch lesen? Kriege sind in jedem Wirtschaftssystem möglich, auch die UDSSR hat Kriege geführt oder andere kommunistische Staaten. Teilweise mit extrem blutigen Bürgerkriegen und sogar Massen- bzw. Völkermord (Kambodscha).

     

    Die Logik des Krieges ist leider etwas komplexer als "ich will Gewinne machen". Daher bitte die alten Propagandaparolen der diversen Ideologien vermeiden und wieder eigenständig ohne Marx oder andere Gurus denken! Danke!

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @Barbara Niem:

      Die URSACHE aller symptomatischen Probleme unseres systematischen "Zusammenlebens" wie ein albernes Krebsgeschwür, ist der im Zeitgeist nun "freiheitliche" WETTBEWERB - es kann nur ein(en) ... geben!?

       

      Der dümmliche KOMPLEX dabei, ist die gleichermaßen gepflegt-manipulierbare Bewußtseinsschwäche in ANGST, GEWALT und somit teils LOGISCH brutal-egoisierende "Individualbewußtsein"!?

  • "in denen die Eliten sich zwanglos zur Verhinderung der kommenden Urkatastrophen verabreden..."

     

    Schön und gut, aber wäre es nicht logisch und effektiver einen Schritt weiter zu gehen, denn die Eliten sind es, die die Kriege begannen, und die Eliten abschaffen?

    Kant hat sich geirrt, als er der Meinung war, dass die Bürgerschaft wenn sie mal an der Macht wär aus rein rationalen Gründen keinen Krieg führen würde. (Zum ewigen Frieden)

    Die Geschichte hat gezeigt, dass er sich geirrt hat.

    Solange Krieg Profit bringt und wir im Kapitalismus leben, wird es Krieg geben, danach wahrscheinlich leider auch noch, aber der größte Teil der Kriege sind heutzutage reine Wirtschaftskriege (z.B.: Mali, Kongo)

  • Danke - beindruckend

     

    und unserer Kriegsministerin nascitura

    La Tuffa -

    auch das Folgende ins Stammbuch:

     

    Verdun

     

    ……

     

    Ist es vorbei –?

     

    Sühne, Buße, Absolution? Gibt es eine Zeitung, die heute noch, immer wieder, ausruft: »Wir haben geirrt! Wir haben uns belügen lassen!«? Das wäre noch der mildeste Fall. Gibt es auch nur eine, die nun den Lesern jahrelang das wahre Gesicht des Krieges eingetrommelt hätte, so, wie sie ihnen jahrelang diese widerwärtige Mordbegeisterung eingebleut hat? »Wir konnten uns doch nicht beschlagnahmen lassen!« Und nachher? Als es keinen Zensor mehr gab? Was konntet ihr da nicht? Habt ihr einmal, ein einziges Mal nur, wenigstens nachher die volle, nackte, verlaustblutige Wahrheit gezeigt? Nachrichten wollen die Zeitungen, Nachrichten wollen sie alle. Die Wahrheit will keine.

    Und aus dem Grau des Himmels taucht mir eine riesige Gestalt auf, ein schlanker und ranker Offizier, mit ungeheuer langen Beinen, Wickelgamaschen, einer schnittigen Figur, den Scherben im Auge. Er feixt. Und kräht mit einer Stimme, die leicht überschnappt, mit einer Stimme, die auf den Kasernenhöfen halb Deutschland angepfiffen hat, und vor der sich eine Welt schüttelt in Entsetzen:

    »Nochmal! Nochmal! Nochmal –!«

     

     

    Ignaz Wrobel

    Die Weltbühne, 07.08.1924, Nr. 32, S. 218,

    wieder in: Mit 5 PS.

    • @Lowandorder:

      Wow. Ich dachte gerade, dieser Low... kann doch wenigstens einen durchgehend sinnvollen Text schreiben. Aber doch nur ein Zitat. Gut ausgewählt dennoch...

      • @Vigoleis:

        Wennse - doch&dennoch - streichen wollen - verrat ich niemanden - daß auch Sie mehrere Gesichter - mindestens aber zwei auf ehra Insel haben.

        unterm—-btw & kleiner Tipp



        An die fünfzig Jahre “…durchgehend sinnvolle Texte…“ aktiv wie passiv - da ist es wunderbar - “…dem 🐎chen den Kopf frei zu geben…“ & sich den Wind um die Nase wehen zu lassen.



        &



        Ihrem - angezogenem Vorbild - 🎭wenigstens etwas sinnvoll die Ehre zu geben - ist ja hier noch reichlich Gelegenheit.



        &



        Masel tov & 🙏 im Voraus.

        & noch dess -



        “Gegen die Vernunft habe ich nichts, ebenso wenig, wie gegen Schweinebraten. Aber ich möchte nicht ein Leben leben, in dem es tagaus tagein nichts anderes gibt als Schweinebraten.“

        Paul Karl Feyerabend (1924-1994), österreichischer Philosoph - Quelle: Brief an Hans Albert, 1970

        …anschließe mich. 😎 - Anything goes.



        So in etwa. Bin gespannt.

        • @Lowandorder:

          Ich bin da nicht so gut drin beim "Pferdchen laufen lassen". Vielleicht liegts daran, dass ich zwar Vegetarier bin, aber Fleisch dazu esse.



          Der Senfhersteller Immanuel Kant schickt dieses Kompliment: "Der wahre Philosoph muss also als Selbstdenker einen freien und selbsteigenen, keinen sklavisch und nachahmenden Gebrauch von seiner Vernunft machen."

          • @Vigoleis:

            Ok. Vergelts Gott.

            Denn Mo— stell ich mal in meine Kantine zu den anderen körnigen.

            unterm—-was ehna das 🍖 - wa.



            Bei den Hottehüüs - mußte aach mit dem Hafer sorgsam umgehen.



            Als die einst noch so Futterbeutel beim Halt auf der Straße umhängen hatten.



            Konntestese immer gut Schnobern hören - den Hafer aus dem Kaff blasen.



            Is mir bis hück eine Lehre.

            Aber - wie unsere alte Dame lebensklug zu bemerken wußte - „wer lange siebt -



            Siebt Kaff.“ Nù. Ooch wieder wahr.

  • Beeindruckend! Noch nie etwas davon gehört. Vielleicht auch, weil ich nicht frz. spreche.

    Den Film konnte ich im net leider nicht finden...schade.

    In einer TAZ-Ausgabe stand dazu kürzlich:

    "Der Film "En dirigeable sur les champs de bataille (1919)" ist im Musée Alfred Kahn oder in der Mediathek Ecpad des französischen Verteidigungsministeriums als DVD bestellbar."

    ( http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F04%2F10%2Fa0139&cHash=40365859bdb2096b1a384c6e30fc5f9c )

    Falls doch jemand einen gültigen Link finden sollte, würde es mich freuen, wenn er hier gepostet wird.

    • @Fury - das 1. Pferd im Weltall:

      Link funktioniert bei mir leider auch nicht, eigentlich hatte ich schon den heutigen Abend eingeplant.

      • @Waage69:

        Folgendes Video habe ich gefunden als ich den Titel des Films eingegeben habe

         

        https://www.youtube.com/watch?v=SdFwEfoIM3E

        • @Christian Stoppoker:

          uups - kurz: keine 2 Stunden und 4 Minuten sondern nur 2 Minuten und 4 Sekunden...

           

          Danke für den Link!

          • @Waage69:

            Ja, ich danke auch für den Link! Leider bissel kurz.