: Schildkrötenseufzer
Rebecca Horns Installationen im neuen Haus der hannoverschen Kestner-Gesellschaft ■ Von Michael Stoeber
Das schönste Museum der Welt“, schwärmte die weitgereiste Künstlerin über das neue Domizil der Kestner-Gesellschaft. Und Direktor Carl Haenlein verkündete stolz: „Die Kunst von Rebecca Horn bringt die Möglichkeiten des Hauses voll zur Entfaltung.“ Tatsächlich erfordern die maschinellen Objekte und raumgreifenden Installationen der Berliner Künstlerin, die jetzt in der Goseriede 11 zu sehen sind, eine raffinierte technische Infrastruktur, wie sie das alte Haus in der hannoverschen Warmbüchenstraße niemals hätte bieten können – von den 1.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche ganz zu schweigen.
Das erste klassizistische Haus des renommierten Ausstellungsinstituts, das 1916 von kunstsinnigen Bürgern der Stadt gegen den reaktionären Kunstverein gegründet worden war, lag an der hannoverschen Königsstraße und wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Dort gab es sogar ein Künstleratelier, in dem unter anderem El Lissitzky lebte und arbeitete und wo er als Jahresgabe für die Mitglieder seine berühmte „Prounen-Mappe“ schuf. Unter den Nazis löste sich der Verein selbst auf und kam so der drohenden Schließung zuvor. 1946 fing die Kestner-Gesellschaft in dem neusachlichen Haus an der Warmbüchenstraße wieder an.
Viele der Ausstellungen, die dort stattfanden, sind heute legendär wie die Werkpremieren von Schwitters, Duchamps oder Warhol. Nur ließen die Größendimensionen des Hauses eigentlich immer nur Kammerspiele zu, nie die große Kunstoper.
Angesichts spektakulärer Museumsneubauten im norddeutschen Raum wie in Bremen, Hamburg, Wolfsburg oder Emden, angesichts auch wachsender Versicherungssummen für bedeutende Kunstwerke und des damit verbundenen Zwangs, für große Projekte zahlende Ausstellungspartner zu finden, war Expansion für die Kestner-Gesellschaft irgendwann eine Frage des Überlebens. Der Umzug in die Goseriede folgt also nicht eitler Großmannssucht, sondern der Einsicht, daß man manchmal die Dinge ändern muß, damit sie dieselben bleiben können.
Auf das neue Haus hatte Carl Haenlein ein befreundeter Architekt aufmerksam gemacht. Das 1905 zum „Wohle der Bürger“ errichtete Jugendstilbad war 1982 stillgelegt worden, weil die Heizanlage des Hallenbades hoffnungslos veraltet war und der Stadt für eine neue Installation die fälligen sieben Millionen Mark fehlten. Haenleins Traum vom neuen Haus erfüllte sich in vier glücklichen Etappen: Als der Zeitungsverlag Madsack die Goseriede erwarb, signalisierte er Bereitschaft, ihm den linken Flügel, das alte Damenbad also, zu einem moderat mäzenatischen Mietpreis zu überlassen. Dann erklärte sich das Land Niedersachsen einverstanden, für die nach dem Umzug fälligen höheren Betriebskosten der Kestner-Gesellschaft einzustehen. Die NordLB finanzierte einen internationalen Architekturwettbewerb zur Ermittlung eines optimalen Um- und Ausbauentwurfs, und als Haenlein schließlich die notwendigen Sponsoren fand, allen voran die Stiftung Niedersachsen, Totto- Lotto und zahlreiche Banken, konnte er die für das Projekt erforderlichen elf Millionen Mark zusammenbringen.
Für die Eröffnung im neuen Haus hat Rebecca Horn, Trägerin zahlreicher Kunstpreise und Professorin in Berlin, neue Arbeiten geschaffen, die sie unter dem Titel „Glance of Infinity“ zusammen mit Werken aus den letzten Jahren vorstellt. Das Ensemble ergibt einen beeindruckenden Ausstellungszirkel aus Objekten, deren Animismus aus Bewegung, Licht und Klang sich auf der Antriebskraft von Maschinen gründet. Von ihnen ist die 53jährige Künstlerin fasziniert, seitdem sie als Studentin in den sechziger Jahren beim Experimentieren mit Polyesterskulpturen schwere Vergiftungen erlitt und dabei unmittelbar die Hinfälligkeit ihres eigenen Körpers erfuhr.
Eine der schönsten Arbeiten, die die Künstlerin für Hannover geschaffen hat, trägt den Titel „Der Zwilling des Raben“. Zwei Metallkonstruktionen aus halbkreisförmig angeordneten schwarzweißen Federn stehen einander wie ein Spiegelbild gegenüber. In diesem Zustand erinnern die wie Räder aufragenden Federn an die berühmte stählerne Pfauenmaschine von Horn, die 1982 zum ersten Mal auf der Kasseler documenta zu sehen war. Wenn eine lange Zeit verstrichen ist, zieht sich das eine Federrad zusammen, knickt nach vorn ein und legt sich im buchstäblichen und übertragenen Sinne dem anderen Federrad in ganzer Länge zu Füßen. Das Gegenüber wiederum vollzieht eine ähnliche Bewegung, so daß es zu einer Art unendlich zarter, schutzsuchender und schutzspendender Vereinigung kommt, bis sich beide nach kurzer Zeit voneinander lösen und in den ursprünglichen Zustand zurückkehren – ein wunderbares Sinnbild der Liebe, des Wechsels von Autonomie und Verschmelzung.
Andererseits bezieht Rebecca Horn durchaus die zerstörerische Seite der Zuneigung mit ein. In Hannover sind es zwei Pistolen, die sich da im verschlingenden Showdown suchen und aufeinanderrichten. Bei anderer Gelegenheit zielten im Hornschen Theater der Gefühle schon einmal zwei Gewehre aufeinander.
Zu den spektakuläreren Werken gehören im Obergeschoß der hochragende „Turm der Namenlosen“, ein Memorial des Jugoslawienkrieges, der 1994 erstmals in Wien gezeigt wurde, und der mächtig ausladende „Schildkrötenseufzerbaum“. In seinen kupfernen Zweigen und trichterförmigen Extensionen sind die mehrsprachigen Jeremiaden von Freunden und Bekannten der Künstlerin gespeichert. Seine Existenz trägt dem Eindruck der Horn Rechnung, daß ein allgemeines Klagen sich um den Erdball zieht, das als Daseinsgefühl die Menschen zunehmend beherrscht. Der Baum wurde zum ersten Mal vor drei Jahren in New York gezeigt und soll in jeder neuen Ausstellungs weiter wachsen. In Hannover hat er bereits beträchtlich zugelegt und füllt mit seinen krakenartigen, erstickenden Armen die Ausstellungssituation im Parterre ganz prächtig. Hin und wieder sackt er in sich zusammen, als könne er das ganze Elend nicht mehr tragen. Dann geht ein mächtiges Stöhnen durch das neue Haus.
Rebecca Horn, bis 27.7., in der Kestner-Gesellschaft Hannover, Goseriede 11. Der sehr schöne, retrospektiv angelegte Katalog kostet 68 DM.
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