Schildaismus: Briefkästenmanie
■ Bremens Baukultur gipfelt im Namens-schildchenwesen / Kurzstudie des noch unbekannten Urbremer Phänomens
Die Mutter aller Fragen: Was ist schön? Der Neffe aller Antworten: Jener elfstöckige Fels, den ich mein Heim nennen darf, ist schön. Mit verwegener Majestät thront er an der Bürgermeister-Smidt-Straße, gleich neben dem Parkhaus. Schön sind die leerstehenden Läden im Parterre – seit Ewigkeiten Symbole buddhistischer Kontemplation. Schön ist das liebliche Grauschleierweiß der Fassade, vom Zahn der Zeit zärtlich gebissen. Schön ist der delikate Beigeton der Fliesen. Diese entzückenden Fliesen verleihen dem tunnelartigen Eingangsflur einen seriös-sanitären, fast möchte man sagen niedlich-neutralen Badezimmercharme. Ganz besonders schön aber sind Briefkästen. Wie bei meines Onkels Zinnsoldatensammlung reiht sich Stück an Stück, dienstvoll, diskret, diszipliniert, Dutzende, Hunderte – remember: 11 Stockwerke!
In ihrem Gewand aus Aluminium schimmern sie lieblich wie die Morgensonne. Doch ach. Auf den glücklichen Briefkästen lauern Schlitze. Und in diesen Schlitzen stecken Namensschildchen! Namensschildchen aber sind die Tanten aller Übel. Denn Namensschildchen sind die verborgenen Brutstätten der Anarchie. Handgeschrieben ist zwar im ganzen Haus kein einiges Schildchen, schließlich sind wir hier nicht in Suaheliland, harhar. Doch ich und zwei weitere Delinquenten haben ihren Namen per Computer auf Papier gedruckt. Zwar sitzt das Papier gar straff und wellenfrei in den Schlitzen, doch die charakterliche Veranlagung von Papier scheint bedenklich. Es ist weich und labbrig, just so wie der Charakter dieser Penner vom Bahnhofsplatz. Doch wegen der delikaten Bahnhofsnähe meines schönen Heimes, muss jede Bahnhofsassoziation unterbunden werden. Strikt. Und sofort.
Also beschloss die Hauseigentümerversammlung: Der Name muss auf Plastikschildchen, der erste Buchstabe hat sich groß zu halten, die folgenden Buchstaben üben Demut in Kleinschrift. Deshalb werde ich hiermit schließen, den Arbeitsplatz verlassen und alle erforderlichen Maßnahmen einleiten, um meinen kleinen Beitrag zur Bereinigung des Namensschildchenchaos zu leisten. Und wenn ich auf meinem Weg zum Schildchenmacher an Teerhof, Sögestraße, Schümann-Bau vorbeiflaniere, werde ich jubelnd ausrufen: Juche, all diese schöne Architektur ist erbaut von Meistern des Namenschildchenwesens. Und in späteren Bremer Architekturgeschichten wird nach Renaissance, Barock, Historismus, Bauhaus nicht die Postmoderne erscheinen, nein, sondern der Schildaismus. bk
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