Schiffshebewerk Niederfinow: Ein Fahrstuhl nach Berlin
Seit einigen Tagen laufen die Bauarbeiten am neuen Schiffshebewerk in Niederfinow. Doch noch immer gibt es Zweifel, ob die 285 Millionen Euro für den Neubau richtig investiert sind
Bagger wühlen sich mit ihren Schaufeln durch die Erde und schieben riesige Erdmassen hin und her. In einem künstlichen See wird das Wasser des Oder-Havel-Kanals gefangen, um den oberen Vorhafen "im Trockenen" bauen zu können. Noch steht die Landschaft voller rot markierter Vermessungsstäbe, doch bis spätestens nächstes Frühjahr soll hier eine über zehn Meter tiefe Baugrube mit den Ausmaßen eines ganzen Fußballfeldes ausgehoben werden. Vor wenigen Tagen startete direkt neben dem alten Schiffshebewerk in Niederfinow Ostbrandenburgs größte Baustelle.
Wenn alles nach Plan läuft, geht hier in fünf Jahren das neue Schiffshebewerk in Betrieb, noch größer und schöner als das alte aus genieteten Stahlträgern. Dessen Genehmigung läuft nach über 80 Jahren Betrieb in wenigen Jahren aus und ein Ersatzbau muss her. Doch lange war unklar, ob mit dem seit über zehn Jahren geplanten Neubau tatsächlich begonnen wird. Alte Zweifel bekamen zuletzt neue Nahrung, als bekannt wurde, dass die Grundsteinlegung von Anfang September in das Frühjahr 2009 verschoben wurde.
Denn die explodierenden Stahlpreise des letzten Jahres verteuern den geplanten Neubau von 165 auf 285 Millionen Euro. Bei vielen Beteiligten war die Verunsicherung deutlich zu spüren, ob diese Summe hier richtig investiert ist. Schließlich sprach Ende März Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ein Machtwort und gab nach langer Diskussion grünes Licht für das einzigartige Bauwerk am Oder-Havel-Kanal. Mit einer Art Fahrstuhl überwinden seit 1934 die Schiffe auf ihrer Fahrt von Szczecin (Stettin) nach Berlin in der Nähe von Eberswalde eine Geländehöhe von 38 Metern.
Auch Johannes Siebke, Leiter des Projekts "Neubau Schiffshebewerk Niederfinow", lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Jeden dritten Tag sage jemand, es werde nicht gebaut. Doch Siebke, Mitarbeiter beim Berliner Wasserstraßen-Neubauamt, ist sich sicher, dass gebaut wird. "Ein Grundstein soll dann gelegt werden, wenn wirklich ein Grundstein zu legen ist", so der Projektleiter - also "nicht in eine Sandwüste". Deshalb habe die Verlegung des Termins rein sachliche Gründe. Allerdings hatte noch im Juni Brandenburgs Verkehrsminister Reinhard Dellmann (SPD) auf kritische Nachfragen eines Niederfinower Gemeindeabgeordneten getönt: "Ich bin mir sicher, dass Anfang September erfolgreich der Grundstein gelegt wird".
Nachgedacht wird über ein neues Hebewerk seit 1992. Doch nicht nur einfach ein gleich großer Ersatzbau soll es sein, der Neubau soll gleichzeitig die "maßgebliche Engstelle auf der transeuropäischen Wasserstraßenverbindung" vom Rhein über Hannover und Magdeburg an der Elbe nach Berlin und weiter nach Szczecin/Swinoujscie (Swinemünde) an Oder und Ostsee beseitigen. So wird der Trog des neuen Hebewerks Schiffe und Schubverbände mit einer Länge von 115 statt bislang 82 Metern und einer Breite von 11,45 statt 9,5 Metern aufnehmen können. Und auf der gesamten Wasserstraße von Stettin nach Berlin will das Wasserstraßen-Neubauamt eine Durchfahrthöhe von 5,25 Metern gewährleisten. "Dann kann ein 11,45 Meter breites Großmotorgüterschiff künftig 104 statt heute 27 Standard-Container transportieren!", verkündet das Amt stolz in einer Pressemitteilung.
Bisher werden auf der Strecke jährlich nur rund zwei Millionen Gütertonnen transportiert, vor allem Steinkohle und Schrott. Noch im Jahr 2015 wird nach der Eröffnung des neuen Hebewerks mit einer Verdoppelung des Güteraufkommens gerechnet. Denn laut Wasserstraßen-Neubauamt "verbraucht ein Lkw bezogen auf die Transportleistung siebenmal mehr Treibstoff als ein Binnenschiff". Der Transport eines Containers von Hamburg nach Berlin koste mit dem Schiff 200 Euro, mit der Bahn 300 Euro und mit dem Lkw 400 Euro.
Diese Zahlen bezweifelt Rüdiger Herzog, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag mit Verkehrspolitik beschäftigt. Im Masterplan Güterverkehr und Logistik spiele die Binnenschifffahrt rund um Berlin keine Rolle, "die Musik spielt da auf Rhein und Donau". Zwei Dinge fallen Herzog vor allem auf. Zum einem "wird der Schiffsverkehr immer mit dem Lkw-Verkehr verglichen, doch die wirkliche Konkurrenz ist die Schiene". Und zum anderen plane der Bund zu viele Projekte. "Allein der geplante Havelausbau soll rund eine Milliarde Euros verschlingen".
Da Herzog die vorhandenen Geldmittel aus dem Verkehrsausschuss des Bundes kennt, hält er "nur rund 20 bis 30 Prozent der geplanten Projekte für finanzierbar". Man müsse sich fragen, was wirklich sinnvoll sei. Noch habe der Bund keine Prioritätenliste für Wasserstraßen aufgestellt. "Wegen zwei Schiffen pro Woche über die Havel nach Berlin lohnt sich doch kein Ausbau des Flusses, geschweige denn der weitere Ausbau der Wasserstraßen nach Osten." Außerdem fielen bei den meisten Berechnungen die ökologischen Folgekosten sowie die immensen Unterhaltskosten für eine Wasserstraße unter den Tisch. Herzog befürchtet nun, dass in Niederfinow zwar der Grundstein gelegt wird, damit "nach dem tatsächlichen Baubeginn das Baurecht unbefristet gilt", dann aber lange nichts mehr weiter passiert.
Dies würde Cornelia Behm, grüne Bundestagsabgeordnete, "für verheerend halten, weil schon so viele Gelder in das neue Schiffshebewerk geflossen sind". Inzwischen sei es müßig, über Alternativen zu diskutieren, die politische Entscheidung sei gefallen. Trotzdem hält die Brandenburger Vertreterin im Bundestag an ihrer Kritik fest und zweifelt die Prognosen über angebliche Wachstumsraten des Schiffsverkehrs an. "Es gibt weiterhin kein öffentlich zugängliches Gutachten mit einer Kosten-Nutzen-Abwägung, was der Ausbau der Kanäle bringen soll. Mit den 285 Millionen Euro könnte auch die Eisenbahnstrecke von Berlin nach Szczecin zweigleisig ausgebaut und voll elektrifiziert werden", um die Container dann gut mit der Bahn zu transportieren.
In diese Richtung geht auch der von der Deutschen Bahn wieder ins Gespräch gebrachte und vom Verkehrsministerium vorerst zurückgestellte Plan, die direkte Eisenbahnstrecke nach Swinoujscie (Swinemünde) wieder aufzubauen: Wenn man die in den letzten Kriegstagen gesprengte Hubbrücke bei Karnin wieder aufbaue, könnten die Züge auch direkt von der Ostsee nach Berlin rollen. Und nebenbei würde sich die Fahrzeit für Sommerurlauber von Berlin an die Usedomer Ostseeküste von zur Zeit rund vier auf zwei Stunden verkürzen.
Grundsätzlich drehen sich die Auseinandersetzungen um den Havelausbau, die von vielen Brandenburgern Lokalpolitikern geäußerten Bedenken gegen die Verbreiterung des Sacrow-Paretzer-Kanals bei Potsdam, der Widerstand von Umweltschützern gegen den Ausbau der Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße südlich von Schwedt und eben die Größe und Dimension des neuen Schiffshebewerks in Niederfinow um denselben Konflikt: Passt man die Flüsse und Kanäle den Schiffen an, oder, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) es fordert, "die Schiffsgrößen den vorhandenen Gewässerstrukturen"?
Egal wie der Konflikt ausgeht, in Niederfinow wird es neben der Baustelle noch einige Jahre mit dem alten Hebewerk weitergehen. Rund 20 Minuten dauert eine Schleusung. Dank des Patents der Gegengewichte wird der Trog mit den Schiffen von nichts weiter als vier VW-Motoren angetrieben. Im letzten Jahr passierten 4.688 Güterschiffe, 3.911 Fahrgastschiffe und 3.840 Freizeitboote das Hebewerk, das einen Preis als "historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland" erhalten hat. Rund 150.000 Touristen sehen jährlich den Schleusungen zu, während der Neubauzeit wird mit einer Verdoppelung der Besucherzahlen gerechnet. Für sie ist bereits ein neues Informationszentrum am Fuß des alten Hebewerks errichtet, dessen Eröffnung mit der Grundsteinlegung im nächsten Frühjahr erfolgen soll. Und für alle, denen ein Tagesausflug nach Niederfinow zu beschwerlich ist, hat das Wasser- und Schifffahrtsamt Eberswalde bereits jetzt zwei Webcams freigeschaltet, damit jeder live dabei sein kann.
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