Schießerei in Tennessee: „Das Leben ist kurz und bitter“
Ein Mann hat vier Soldaten erschossen und starb bei der Schießerei selbst. Er hatte ein Rekrutierungs- und ein Trainingszentrum der Armee angegriffen.
Die Justiz in Tennessee sprach – anders als bei den vorausgegangenen Massakern – umgehend von dem Verdacht auf „Terrorismus“. Schon am Mittag, als weder der Name des Schützen noch etwas über seinen Hintergrund oder seine Motive bekannt war, erklärte Staatsanwalt William Killian: „Wir ermitteln wegen heimischem Terrorismus“. Die großen Fernsehsender unterbrachen ihr Programm, und ihre „Experten“ erörterten einen möglichen Zusammenhang mit Drohungen der Terrorgruppe IS gegen Soldaten der USA.
Mohammad Youssef Abdulazeez war gegen 10.45 Uhr auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Chattanooga vorgefahren und hatte von dort aus das zwischen Geschäften und Schönheitssalons gelegene Rekrutierungszentrum der Armee beschossen. Dabei wurde ein Polizist verletzt. Anschließend fuhr der Schütze rund sieben Meilen weiter zu einem Trainingszentrum der Navy. Die Polizei verfolgte ihn. Und eröffnete ihrerseits das Feuer. Nach Ansicht von Augenzeugen sollen „Hunderte“ von Schüssen gefallen sein.
Am Ende waren vier Mitglieder der Elite-Navy-Truppe Marines sowie der Schütze tot. Wessen Kugeln wen getötet haben, war zunächst unklar. Die Ermittler erklärten zwar, sie hätten den Schützen „neutralisiert“. Doch FBI Special Agent Ed Reinhold sagte, er könne noch nicht sagen, ob er sich selbst erschossen habe oder von der Polizei erschossen wurde.
Flüchtling aus Kuwait
Der 24-jährige Schütze kam als Kleinkind in die USA, als seine Eltern nach Beginn des ersten Golfkriegs aus Kuwait flüchteten. Er wuchs in einem gediegenen Mittelschichtstadtteil von Chattanooga auf, betrieb Ringkampf als Freizeitbeschäftigung und absolvierte nach der High School ein Studium als Elektroingenieur. Anschließend hat er unter anderem bei dem großen staatlichen Energieunternehmen „Tennessee Valley Authority“ ein Praktikum gemacht. So weit bekannt hatte er die US-amerikanische Staatsangehörigkeit.
Dem FBI war Abdulazeez bis zum Donnerstag nicht bekannt. Hingegen hatte die örtliche Polizei ihn im April festgenommen, weil er betrunken Auto gefahren war. Auf dem Polizeifoto trägt er einen Vollbart, über dessen Bedeutung seit Donnerstag in den USA gerätselt wird. Bis kurz vor seiner alkoholisierten Festnahme soll Abdulazeez sein Gesicht glatt rasiert haben. Am Ende seiner Schulzeit schrieb der beliebte und von ehemaligen Mitschülern als witzig und kontaktfreudig beschriebene Junge in das Jahrgangsbuch: „Mein Vorname versetzt die nationale Sicherheit in Alarmzustand. Wie steht es mit Deinem Namen?“
Gegen Ende seines Lebens scheint er sich in einem Blog mit Religion befasst zu haben. Die Ermittler haben zwei Blogeinträge von ihm gefunden, die er am 13. Juli – vier Tage vor der Schiesserei – veröffentlicht hat. Darin schrieb er unter anderem zwei Dinge: „Das Leben ist kurz und bitter.“ Und Muslime sollten sich „Allah unterwerfen“.
Im Weißen Haus nahm Barack Obama wenige Stunden nach der Tat in Chattanooga ein Video auf, in dem er – nur vier Wochen nach dem Massaker von Charleston – erneut Angehörigen sein Beileid aussprach. Und in dem er erneut die ganze Nation zum Beten für die Opfer aufforderte. Der Präsident sagte auch, dass es sich nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen um einen Einzeltäter handele.
Selbstverteidigung und Islamismus
Doch die üblichen Verdächtigen in Medien und Politik wollten bereits mehr wissen. Der rechte Kommentator Charles Krauthammer sagte auf Fox News: „Aller Wahrscheinlichkeit nach ist hier der radikale Islam am Werk.“
Gleichzeitig ereiferten sich zahlreiche US-Amerikaner in Online-Foren und auf den Leserbriefseiten der Zeitungen gegen die Regel, dass „Marines“ in ihren Dienststellen in den USA keine Waffen tragen dürfen. Tenor: „Sie kämpfen für unser Land und dürfen sich zuhause nicht einmal selbst verteidigen.“
Die „Islamic Society“ in Chattanooga verurteilte die Tat umgehend auf die „strengst mögliche Art“. Auch zahlreiche andere muslimische Gruppen in den USA reagierten schnell und mit einer Mischung aus Wut auf den Täter und Sorge wegen der Schießerei. In New York verfasste die Aktivistin Linda Sarsour, die gegen Islamophobie und andere Formen von Rassismus aktiv ist, einen bitteren Tweet: „Gerade wenn Du spürst, dass Du zehn Schritte voran gekommen bist, haut es Dich bis zum Anfang zurück“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich