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Scheinehe beschädigt Hamburger SPDFall eines Hoffnungsträgers

Bülent Ciftlik galt als Shootingstar der Hamburger SPD. Jetzt steht er wegen Anstiftung einer Scheinehe vor Gericht. Das könnte das Ende des "Obama von Altona" sein.

Bülent Ciftlik erwartet am Freitag im Amtsgericht St.Georg, Hamburg. Bild: dpa

Eigentlich hätte Olaf Scholz Grund zur Freude. Nur gut ein halbes Jahr hat der ehemalige Bundesarbeitsminister gebraucht, um als neuer Chef der Hamburger SPD den darniederliegenden Landesverband wieder auf Vordermann zu bringen. Erstmals seit Jahren liegt die SPD in einer aktuellen Wahlumfrage wieder vor der CDU und Scholz in der Gunst der Hamburger gar vor Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der seit Jahren an der Elbe viel beliebter ist als seine Partei.

Doch Scholz Freude ist getrübt. Grund dafür ist ein Genosse, als dessen Mentor und Ziehvater Scholz lange galt: Bülent Ciftlik. Seit Monaten steht der 38-Jährige im Fokus der Justiz. Seinen Job als Sprecher der Hamburger SPD musste er bereits an den Nagel hängen, sein Mandat im Landesparlament ruhen lassen.

Am heutigen Montag steht der Sohn türkischer Einwanderer erneut vor dem Amtsgericht St. Georg. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Politiker vor, seine frühere Geliebte Nicole D. zu einer Scheinehe mit dem Türken Kenan T. angestiftet zu haben, um diesem einen gesicherten Aufenthaltstitel zu verschaffen. Während Ciftlik den Vorwurf bestreitet und nicht müde wird zu beteuern, er habe die Verbindung für eine Liebesheirat gehalten und rein gar nichts zu deren Gelingen beigetragen, belastet ihn die Mitangeklagte schwer. Nach ihren Ausführungen habe Ciftlik die beiden Eheleute bekannt gemacht und die Scheinehe eingefädelt. Ciftlik soll sie später sogar zu einer falschen eidesstattlichen Versicherung gedrängt und planmäßig Beweismaterial vernichtet haben, das geeignet gewesen wäre, den Anklagevorwurf zu verifizieren.

Diese Vorwürfe, die seit Monaten durch die von der Staatsanwaltschaft gut munitionierte Hamburger Presse geistern, führten dazu, dass Scholz sich inzwischen massiv von dem einstigen Hoffnungsträger der Hamburger SPD abgrenzt: "Wenn der Abgeordnete Ciftlik verurteilt wird, hat er keine politische Zukunft mehr in der SPD und in der Bürgerschaft", teilte der SPD-Landesvorsitzende Anfang Mai mit.

Ciftliks Aufstieg kam schnell, sein Fall rasant. Noch Anfang 2009 schien ihm steile Parteikarriere gewiss. Seit 2004 war der Politologe Hamburger SPD-Sprecher, 2008 zog er nach engagiertem Wahlkampf, in dem er hunderte Hausbesuche absolvierte, überraschend in die Bürgerschaft ein. Dort wurde der Newcomer Fachsprecher für Migration und Ausländer. Wie kaum ein anderer Nachwuchspolitiker verstand er es, sich öffentlich zu präsentieren. Als "Obama von Altona" wurde der karrierebewusste Deutschtürke in den Medien gefeiert. Die Frauenzeitschrift Brigitte beschrieb ihn - auf der Suche nach Deutschlands schönstem Politiker - gar als Mann "zum Niederknien".

Als Ende Mai 2009 die Staatsanwalt Ciftliks Privaträume im Rahmen der Scheinehe-Ermittlungen durchsuchen ließ, begann Ciftliks Absturz. Wenige Tage später verlor er sein Sprecheramt, weil er den damaligen SPD-Landeschef Ingo Egloff nicht von dem Ermittlungen informiert hatte.

Im November tauchten dann Polizeivermerke auf, die seine Abgeordnetenkollegen Mathias Petersen und Thomas Böwer der Denunziation Ciftliks bezichtigten. Die angeblich amtlichen Papiere erwiesen sich aber als Fälschung und brachten Ciftlik die nächste Hausdurchsuchung ein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob Ciftlik für die gefälschten Papiere verantwortlich zeichnet.

Von interessierten Genossen und einigen Medien wurde zudem immer wieder der Verdacht auf Ciftlik gelenkt, er könnte etwas mit den bei einer SPD-Urabstimmung verschwundenen Stimmzetteln zu tun haben, deren Diebstahl 2007 Mathias Petersen seine Bürgermeisterkandidatur kosteten. Auch steht gegen Ciftlik der unbewiesene Verdacht im Raum, bei seiner Wahl zum Bürgerschaftsabgeordneten 2008 hätte es Manipulationen bei den Briefwahlunterlagen gegeben.

So zieht der Fall Ciftlik seit Monaten immer weitere Kreise. Vergangene Woche geriet sogar Ciftliks Fraktionskollege Metin Hakverdi in den Strudel der Affäre. Weil er als Anwalt am Zustandekommen des Scheinehe-Vertrags mitgewirkt haben soll, musste er sein Mandat vorläufig niederlegen. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Beihilfe-Ermittlungen gegen Hakverdi gegen Verhängung einer Geldbuße eingestellt, die dieser trotz Beteuerung seiner Unschuld akzeptierte, um sich nicht monatelang den karriereknickenden Vorwürfen ausgesetzt zu sehen.

Dies hat Ciftlik bereits hinter sich: Während der Richter der Wahrheitsfindung noch auf der Spur ist, haben die meisten Medien und viele Genossen ihr Urteil über den einstigen SPD-Shootingstar längst gefällt.

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8 Kommentare

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  • J
    Johannes

    Bülent Ciftlik ist das letzte Symptom einer unheillvollen Ansammlung bestimmter Menschen in der SPD. Da war auch noch der Kandidat Ilkhanipour, der über Monate die Meinung in Hamburg auseinandertrieb und keinerlei Talent hatte, Größe zu zeigen und infolgedessen einen wichtigen Wahlkreis für die SPD verlor. Ciftlik wird aus dieser Miesere nicht wiederauftauchen, aber die SPD hätte alle Chancen in der Stadt, schließlich schwächelt die CDU und es gibt eigentliche die ideale Gemengelage für die SPD.

    Aber: Die Linkspartei sitzt in der Bürgerschaft und die wird bei der nächsten Wahl eventuell noch gewinnen. Dann könnte es wie in NRW kommen: Nix geht ohne Links oder große Koalition.

    Mit oder ohne Ciftlik - Misstrauen gegen Politiker und Parteien besteht sowieso, für die SPD ist das allerdings ein Schaden zur falschen Zeit, weil der Wähler langsam die Nase voll hat ...

  • MN
    Mein Name

    Hallo,

     

    warum erwähnt die TAZ nicht, das Hakverdi eine Strafe zaht, um ein Verfahren zu vermeiden?

    http://www.mopo.de/2010/20100505/hamburg/politik/scheinehe_hakverdi_zahlt.html

     

    Ich finde im übrigen den Straftatbestand der Scheinehe auch nicht sinnvoll. Die Leute sollen, wenn sie wollen, heiraten wen sie möchten, aus Gründen, die keinen was angehen.

  • R
    reblek

    "Doch Scholz Freude ist getrübt." Nur so ganz am Rande: Gibt es keinen Genitiv von "Scholz"? Doch, nicht wahr? Er lautet "Scholz'".

  • J
    Joseph

    Klischees, die sich in der Wirklichkeit massiv bestätigen, sind dann keine Klischees mehr, sondern Wirklichkeit.

  • S
    Sch

    Das erste Mal,

    dass ich von Scheinehe irgendetwas hoere oder lese.

    Es wird wohl in die ZDF-Krimi-Roman-Reihe passen...

     

    Nicht immer muss wegen Sex geheiratet werden,

    schliesslich was sind 30 Sekunden oder 30 Minuten

    oder ...

    gegen den Rest des Tages, der Woche, des Monates,

    des Jahres, des Jahrzehnts?

     

    Eine/r will Karriere machen, ein anderer ein Haus bauen, ein dritter ein persoenliches Ziel erreichen,

    und andere eben nicht mehr den Makel des Singlestandes tragen.

    Ob das Liebe ist?

     

    Oder eben dem falschen Partner entrinnen.

    Ob der naechste besser ist, steht wo?????

     

    Aber der Artikel liest sich interessant.

    Welche Machtgier braucht man/frau,

    um ueber etliche versch. Stadien mehrere

    Dokumente verschwinden zu lassen

    oder Ergebnisse im voraus (nachhinein?)

    zu veraendern?

     

    Wie arm ist Deutschland, sozial gesehen.

    Keine soziale Sicherheit mehr...

    noch niemals.

  • S
    Susanne

    und was bitte spricht gegen eine scheinehe? schließlich kann man dadurch zahlreichen menschen ein besseres leben bieten oder sogar das leben retten.

  • R
    riotqueer

    Sollte Ciftlik Menschen beim Eingehen der Scheinehe unterstützt haben, so ist dies nur begrüßenswert. Dies ist eine gute Möglichkeit nationalistische Ausschlussprinzipien zu Umgehen und Menschen die deutsche Staatsbürger_innenschaft bzw. ein Aufenthaltsrecht zu gewährleisten.

     

    Bei einem Staat dem das Abschieben und Ausgrenzen zum Hobby geworden ist, erscheint dies als eine mehr als legitime Handlung.

     

    Dass auf der taz-Seite Kommentare wie der von "Maria", die vorverurteilen (Artikel bis zum Ende lesen empfiehlt sich da) zeugt davon, dass die Leser_innenschaft sich dem taz-Journalismus anpasst.

    Kritische Artikel waren mal; heute reproduziert man den Mainstreambullshit.

  • M
    Maria

    Ich bin wirklich enttäuscht von ihm, und das Schlimmste ist dass er das Klischee von Scheinehen bei Türken auch noch am Leben hält.