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■ ScheibengerichtSoinari

Folk Music from Georgia today (Wergo/Weltmusik SM 1510-29)

Georgien liegt an der Naht zwischen Orient und Okzident. Obwohl durch die Religion seit dem 4. Jahrhundert dem christlichen Abendland verbunden, hat es bis Ende des 18. Jahrhunderts starke muslimische Einflüsse erhalten, da es zeitweise ein arabisches Emirat war und dazu annährend 200 Jahre unter osmanischer oder persischer Herrschaft stand. Vor allem im weltoffenen Vielvölkergemisch seiner Hauptstadt Tiflis war die arabisch-persische Kultur immer gegenwärtig – auch in der Musik, die sich, was das Instrumentarium und den Musizierstil anbelangt, an den vielfältigen Traditionen des Morgenlandes ausrichtete. Mit dem Anschluß an Rußland im 19. Jahrhundert nahm die Westorientierung zu. Tiflis erhielt ein Opernhaus und lernte Verdi kennen, die russischen Romanzen kamen in Mode, wobei die orientalischen Klänge mehr und mehr verblaßten und heute vom Verschwinden bedroht sind.

Drei Ensembles repräsentieren auf dieser Produktion jeweils eine andere Stilart der georgischen Volksmusik. Im Soinari-Quintett wird der Gruppenklang vom quäkenden Ton der Kurzoboe bestimmt, die, mit Zirkulationsatmung geblasen, erst eindringlich, dann aufdringlich wirkt. Im Gegensatz dazu sind die anderen beiden Formationen hauptsächlich Vokalensembles, wobei es sich bei Mzetamze um eine reine Frauengruppe handelt, Mtiebi dagegen ein Männerchor ist. Ihr Repertoire spannt einen weiten Bogen und spiegelt die vielfältigen Mischformen, Überlappungen und Polaritäten der Musikkulturen am Schwarzen Meer wider. Manchmal fühlt man sich an heimische Männergesangvereine erinnert, so vertraut klingt die Melodie, ein andermal zeigt die enge Intervallführung der Stimmen Verwandtschaftsbeziehungen zu Gesangstechniken des Balkans. Eines haben allerdings alle drei Gruppen gemeinsam: Durchgehend wird nach dem Modell der staatlichen Folklore- Ensembles musiziert, das heißt viel zu gebildet, viel zu fein und viel zu gesittet. Zu Vorzeige-Kunst aufpoliert, verliert traditionelle Musik einiges von ihrem ursprünglichen Charme.

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