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■ ScheibengerichtChico Buarque / Caetano Veloso / Ney Matogrosso

Auf der Suche nach Chico Buarque wurde man bisher vorwiegend im Buchladen fündig. Während sein Roman „Der Gejagte“ schon vor Jahren ins Deutsche übersetzt wurde, fand eine Werkschau des Songwriters erst jetzt den Weg in die Plattengeschäfte. Unverständlich, denn Chico Buarque de Holanda zählt, neben Gilberto Gil und Caetano Veloso, zu den ganz großen Namen der Musica Popular Brasileira. Der Sproß einer angesehenen Intellektuellenfamilie – der Vater, ein Philologe, verfaßte das Neue Lexikon der Portugiesischen Sprache – ist seit mehr als dreißig Jahren im Geschäft. 1966 gewann er einen der damals populären, im TV live übertragenen Songwettbewerbe mit „A Banda“ – längst ein Klassiker. Als Oppositioneller flüchtete er vor der Diktatur ins Exil nach Rom, kehrte aber 1970 nach nur zwei Jahren wieder zurück. Zwischen den Zeilen schlug sich die beklemmende Stimmung der Diktaturjahre bis in seine Liebeslieder nieder, und seine doppelbödigen Texte brachten häufig Ärger mit der Zensur. Allgegenwärtige Propagandaslogans à la „Dies ist das Land, das vorausmarschiert“ persiflierte er mit einem Samba, der nach vorne schreitet, um am Ende wieder am Anfang anzukommen. „Chico Total“, eine Zusammenfassung seiner Polygram-Jahre, ist nicht weniger als ein Stück brasilianischer Geschichte.

„Um Brasileiro“ ist eine weitere Kollektion von Buarque-Kompositionen, allerdings in der Interpretation von Ney Matogrosso. Der Ex-Schauspieler und exaltierte Sänger aus São Paulo gibt Klassikern wie „A Banda“ und „Roda Viva“ einen manchmal etwas theatralischen Dreh, doch auf „Até O Fim“ hat er sogar das MPB-Idol an seiner Seite.

„Chico Total“: „Manchmal denke ich, daß es mein Beruf ist, Chico Buarque hinterherzujagen“, offenbart auch Caetano Veloso im Booklet über das Verhältnis zum Kollegen, zu dem ihm stets ein Konkurrenzverhältnis nachgesagt wurde. Kürzlich versuchte auch er sich als Buchautor, weswegen das neue Album „Livros“ heißt – nach fast sieben Jahre die erste Platte mit Eigenkompositionen. Mit dem Eröffnungsstück, einem langsamen Samba, erweist er Buarque seine Reverenz. Darüber hinaus fließen allerlei Modetrends, von Samba-Reggae bis Drum 'n' Bass, dezent in die akustische Textur ein, ohne daß das Gewebe ausfranst. Die komplexen Arrangements bleiben transparent, der Sound wirkt nie überladen – ein Umstand, der nicht zuletzt dem Einfluß Jaques Morelenbaums zuzuschreiben sein dürfte. Morelenbaum, Cellist und Arrangeur, der auch bei Ney Matogrosso mitwirkte, verleiht Velosos Unternehmen eine symphonisch kühle Note.

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