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Schavans Dissertation„Sie versteckt sich hinter Formalien“

Die Dissertation der Bildungsministerin ist nicht leicht zu beurteilen, sagt Norman Weiss vom Doktorandennetzwerk Thesis. Aber sie müsse sich endlich inhaltlich äußern.

Hält sich bedeckt: Annette Schavan. Bild: dpa
Bernd Kramer
Interview von Bernd Kramer

taz: Herr Weiss, haben Sie auch schon Angst, wegen irgendwelcher Nachlässigkeiten Ihren Doktortitel zu verlieren?

Norman Weiss: Ich kenne tatsächlich einige, die sich im Zuge der Schavan-Debatte ihre Dissertationen noch einmal genau angesehen haben. Wahrscheinlich findet man durchaus irgendwo ein Haar in der Suppe. Bei 400 Seiten, die man über vier Jahre schreibt, kann hier und da mal versehentlich eine Fußnote wegfallen. Die Frage ist: Welches Ausmaß nimmt das Ganze an, und steckt Absicht dahinter?

Fast alle Delikte verjähren – außer Mord und Schummeleien bei der Doktorarbeit, oder?

Das Wissenschaftssystem basiert auf Ehrlichkeit. Stellen wir uns vor, jemand fälscht Daten in einer Medikamentenstudie, Menschen kommen zu Tode. Strafrechtlich wäre das irgendwann verjährt. In der Wissenschaft sind die Kriterien anders, und das ganz zu Recht. Der Doktorgrad ist nicht einfach ein Berufsabschluss, sondern die Eintrittskarte ins Wissenschaftssystem. Deswegen sollte der Titel in so einem Fall selbstverständlich entzogen werden. Auch nach 30 Jahren. So jemand hat in der Forschung nichts mehr zu suchen.

Hat Schavan betrogen?

Der Fall ist nicht so klar wie der Fall Guttenberg. Ich habe mich erst richtig einlesen müssen und wage bis heute kein endgültiges Urteil darüber abzugeben, ob sie betrogen hat oder nicht.

Bild: Petra Coddington
Im Interview: NORMAN WEISS

ist Vorsitzender des Netzwerks Thesis - Interdisziplinäres Netzwerk für Promovierende und Promovierte e. V. Er lehrt Mathematik und Informatik an der Uni Hildesheim.

Der Gutachter der Uni Düsselsoll von einer „leitenden Täuschungsabsicht“ ausgehen.

In der Arbeit lassen sich zwei verschiedene Plagiatstechniken finden. Einmal das sogenannte Bauernopfer, das heißt: Ich übernehme ein Zitat, mache das kenntlich, aber die übernommene Textstelle ist wesentlich länger, als es die Anführungszeichen signalisieren. Als Zweites findet sich die Verschleierungstaktik: Ich übernehme Schlussfolgerungen und Zitatquellen von einem anderen Autor, ohne diesen selbst zu erwähnen. Möglicherweise hat Frau Schavan einige der Werke, die sie zitiert, nie selbst gelesen und kennt sie nur aus zweiter Hand, ohne das eindeutig kenntlich zu machen. Aus heutiger Sicht sind beide Techniken eindeutig Plagiate.

Aber?

Die Arbeit liegt über 30 Jahre zurück, damals waren die Gepflogenheiten eventuell anders. Wenn man von einer Absicht zur Täuschung spricht, muss man das berücksichtigen.

Sie sehen keine Täuschung?

Ob sie täuschen wollte, ist gar nicht so entscheidend. Eine Wissenschaftsministerin sollte zumindest die heute gängigen Zitierregeln kennen und sich zu ihnen bekennen. Das hat sie nicht getan und sich immer nur herausgeredet. Das kreide ich ihr an.

Stattdessen kommt sie der Universität Düsseldorf mit dem Anwalt …

Als die Vorwürfe aufkamen sagte sie, sie rede nicht mit anonymen Kritikern. Jetzt soll das Verfahren diskreditiert sein, weil das Gutachten vorab durchgesickert ist. Frau Schavan verteidigt sich immer mit dem Verweis auf Formalien. Sie muss endlich inhaltlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen.

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14 Kommentare

 / 
  • W
    wauz

    Politik - nichts sonst!

     

    Frau "Dr." Schavan ist 2012 in allererster Linie Politikerin und deswegen ist es auch zuerst eine politische Frage, wie man die Angelegenheit bewertet. Ungekennzeichnete Zitat sind gefunden worden - es gibt also eine sachliche fundierte Kritik an ihrer Person. Interessant ist, wie die Politikerin Schavan auf die Vorwürfe reagiert: sie bemüht institutionelle macht, die Sache niederzubügeln. Das hat schon bei vuz G. nicht funktioniert und darf auch diesmal nicht durchgehen.

     

    Schavan muss weg, mit oder ohne Doktor!

  • G
    gegendiktatur

    Die Schutzbehauptung - vor 30 Jahren waren die "Gepflogenheiten eventuell anders" - ist sehr ärgerlich. http://gffstream-8.vo.llnwd.net/c1/m/1350464283/radio/tagesgespraech/wdr5_tagesgespraech_20121017_1000.mp3

  • A
    Analyst

    Frau Schavan sollte endlich Klartext reden und sich nicht über Anwälte mit der UNI streiten. Als Bildungsministerin sollte sie sich vorbildgerecht verhalten und für Offenheit sorgen.

  • S
    saalbert

    "Ich kenne tatsächlich einige, die sich im Zuge der Schavan-Debatte ihre Dissertationen noch einmal genau angesehen haben." - Na, das werden aber wenige seien, die "Dissertationen" geschrieben haben, denn die meisten begnügen sich mit einer "Dissertation".

    "Der Gutachter der Uni Düsselsoll..." - Schöne Uni, die in "Düsselsoll".

  • VR
    Verantwortung + Respekt

    Hiermit erkläre ich, dass ich nur noch respektvolle, verantwortlicvhe Menschen in unserer Regierung sehen und hören will.

     

    Außerdem erkläre ich, dass ich will, dass nur solche Leute über das schulische Leben meiner Kinder bestimmen.

     

    Diese Erklärung gebe ich ab als freier, verantwortlicher Bürger und Wähler über mein Schicksal.

     

    So sei es.

  • A
    Aussitzen

    Was sollen eigentlich diese andauernden Nebelkerzen von Euch, taz?

     

    Haben sich wissenschaftliche Inhalte nach 30 Jahren geändert? Hat eine Dissertation ein Verfallsdatum?

    wenn ja, dann sollte auch der Dr.-Titel verfallen!

     

    Indem Ihr Hanseln bei der Vernebelungstaktik mitmacht, unterstützt Ihr Titel-Betrüger.

  • VB
    Volker Birk

    Zurücktreten ist aus der Mode gekommen.

     

    Heute kann eine Wissenschaftsministerin so eine Sache am Hals haben, und trotzdem weitermachen als sei nichts geschehen.

     

    Schavan wird wohl, genau wie ihr Ex-Kollege Guttenberg, bis zur letzten Patrone kämpfen, und denkt gar nicht daran zurück zu treten.

     

    Was das für ein Vorbild ist, spielt keine Rolle mehr. Das galt nur früher, als das Zurücktreten noch en vogue war.

  • G
    gegendiktatur

    Vor 30 Jahren waren das auch eindeutig Plagiate.

  • B
    bauesel

    1. Inhaltlich Stellung nehmen.

    2. Sich mit den gleichen Maßstäben messen lassen, mit denen sie in anderen Fällen gemessen hat.

    Wahrscheinlich bleibt ihr in beiden Fällen nur der Rücktritt, und da ist zu zu unehrlich oder zu feige dazu, was ihn umso notwendiger macht.

    Ein verheerendes Vorbild für die Jugend, auch deshalb muss sie zurücktreten.

  • B
    bastapapsta!

    Jetzt hat sie der Uni einen Maulkorb verpasst. So wie es aussieht will Schawan ( sollte der Titel aberkannt werden ) der Öffentlichkeit die Wahrheit vorenthalten. Wenn es sich rausstellt dass ein Arbeitnehmer bei einer urkundlich bescheinig

    ten Qualifikation gepfuscht hatte , verliert er diese und wohl auch den Job. Frau Schaven verlangt aber eine extra Wurst.. Peinlich, dass so jemand dem Ministerium für Bildung vorsteht... Es reicht nicht auf Staatskosten zu Ratzinger zu fliegen und dort zu beichten. Die Öffentlichkeit hat auch ein Recht darauf die Wahrheit zu erfahren !

  • M
    magy

    Es haben ja schon andere gesagt nicht gekupfert zu haben und später stellte sich heraus sie haben es doch getan.

  • S
    Sarina

    In den Geisteswissenschaften dient (in der Vor-Bologna-Zeit) die Magisterarbeit dazu, nachzuweisen, dass man korrekt und sauber wissenschaftlich arbeiten kann - das heißt, sich einen Überblick über die Quellenlage zu verschaffen, diese zusammenzufassen und daraus eigene Schlüsse zu ziehen.

     

    Die Promotion dient als nächster Schritt dazu, nachzuweisen, dass man in der Lage ist, eigene Forschungsarbeit zu leisten.

     

    Wer also Arbeiten mit fehlenden Quellenangaben abliefert, hat bereits das Magisterniveau verfehlt, unabhängig davon, ob Täuschungsabsicht vorlag oder nicht. Dabei ist sicherlich nicht über ein oder zwei Falsch- oder ganz fehlende Zitate zu richten, aber wer solche Fehler in größerer Menge macht, dem steht schlicht kein Doktortitel zu.

  • A
    André

    Bei Schavanplag wird auch auf Bücher verwiesen, die sie verwendete ohne darauf überhaupt hinzuweisen. Für mich reicht es zumindest für eine Feststellung: Die Arbeit ist mit erheblichen Mängeln behaftet und das bedeutet, dass sie wahrscheinlich den Titel verliert. Andererseits gab's kaum eine Bundesministerin, die so einen auf Sauberfrau gemacht hat wie Annette Schavan. Da fällt dann die Einsicht in ihre eigenen Fehler wohl schwer, aber alles andere wäre ziemlich würdelos.

  • MP
    Michael Prescher

    Norman Weiss hat mit seinen wesentlichen Aussagen ja Recht. Insbesondere ist seiner Aufforderung an Anette Schavan bezupflichten, sich endlich einmal der Diskussion um ihre Arbeit zu stellen und die zu Tage liegenden Ungereimtheiten zu erklären. Allerdings bringt auch er ein mögliches Entschuldigungsargument ins Spiel, dass ich für absurd halte: dass vor 30 Jahren "die Gepflogenheiten

    eventuell anders" waren. Was soll das heißen? Ich höre da die These heraus, dass man vor 30 jahren in der Geisteswissenschaft grundsätzlich nachlässiger gearbeitet hätte, weil es im Vor-PC-Zeitalter noch nicht die Überprüfungsmöglichkeiten durch flächendenckendes Textscannen gab. Das ist offenkundig die Unterstellung eines Jungwissenschaftlers, der sich früheres Arbeiten ohne PC nicht mehr vorstellen kann, zumindest nicht ein ehrliches, das sich mit Selbstverstand an

    die Regelen wissenschaftlicher Argumentation hält. Tatsächlich aber wird doch aus meiner Erfahrung - die eines älteren Semesters - umgekehrt ein Schuh daraus: gerade in diesem prähistorischen Schreibmaschinenzeitalter war doch mehr Sorgfalt der Standard, der Ungeist des Copy und Paste stand noch vor den Türen. Ich würde mal sagen: Solche Textmogeleien wie die von Schavan hat es vor 30 Jahren in der Breite eher weniger gegeben als heute.