Schauspieler Burghart Klaußner: "Ich habe gelernt, mich zu mäßigen"

Schauspieler Burghart Klaußner über den Choleriker in sich, Theoriebildung, seine Rebellenphase und die vielen Väterrollen.

"Nur Goodwill-Movies": Burghart Klaußner. Bild: dpa

Burghart Klaußner: Ah, dass ich auch endlich mal mit der taz sprechen kann. Wie schön!

taz: Nicht einschleimen, Herr Klaußner!

Mein ganzes Leben ist ja eine einzige Schleimspur. Nur Goodwill-Movies. Immer nur mit den Herrschenden mitgelaufen. Genau das wars, was ich immer schon wollte.

Leben: 1949 geboren, Spross einer Dynastie von Kneipenwirten, Schauspielausbildung an der

Max-Reinhardt-Schule

Spielen: Neben zahlreichen Theaterrollen machte sich Klaußner, beginnend mit "Kinderspiele" (1992), einen Namen als Charakterdarsteller, u. a. in "Good Bye Lenin!" und "Requiem".

Jubeln: Deutscher Filmpreis für "Die fetten Jahre sind vorbei" (2005) und "Das weiße Band" (2010), Silberner Leopard in

Locarno für "Der Mann von der Botschaft" (2006)

Haben Sie eine besondere Verbindung zur taz?

Was habe ich für eine Verbindung zu Zeitungen? Indem ich sie lese.

Auch noch aus Ihrer wilden Zeit?

Da gabs die taz noch nicht (trommelt triumphierend mit dem Kaffeelöffel auf den Tisch). Hahaha! Die taz gibts doch erst …

31 Jahre. Mein Fehler! Man sieht Ihnen Ihr Alter eben nicht an, Herr Klaußner. Und um weiter zurückzuschleimen: Ich freue mich sehr auf unser Gespräch, weil ich Sie als Schauspieler sehr mag und denke, dass das vielen Leuten so geht. Haben Sie dieses Gefühl auch?

Manchmal beschleicht mich dieses Gefühl in letzter Zeit auch. Und dann wundere ich mich, weil viele Rollen, die ich spiele, ja überhaupt nicht dazu geeignet sind, gemocht zu werden. Ich bilde dann Theorien, warum das so sein könnte. Ich neige sowieso zum ständigen, ununterbrochenen Theoriebilden und freue mich, dass ich inzwischen gelernt habe, die sofort in der nächsten Sekunde selbst wieder zum Platzen zu bringen.

Was ist der letzte Stand Ihrer Theoriebildung, was den Zwiespalt zwischen Ihren Rollen und der Wahrnehmung Ihrer Person angeht?

Ein Kollege von Ihnen hat mich gerade gefragt, wie es ist, wenn man sich selber auf der Leinwand sieht. Nur diesen einen Satz würde ich gern wiederholen. Ich habe gesagt: Ich beneide die Zuschauer, die vollkommen frei sind und einfach sagen können "Großartig!" oder "Grauenhaft, unerträglich!", während man selbst diesen Abstand zu sich selbst und seiner Leistung einfach nicht hat.

Glauben Sie, dass Ihre Ausstrahlung etwas mit Ihrem Alter zu tun hat, einer gewissen erworbenen Gelassenheit?

Oh my god! Wie soll ich das beurteilen?! Was Sie jetzt beschreiben, ist ja ein Konstituens der Figur Hardenberg in "Die fetten Jahre sind vorbei". Wie schnell sich der nach seiner Entführung erholt und beim Kartenspielen die Entführer kleinmacht und anfängt zu kochen und mitzukiffen - das ist natürlich extrem charmant. Ob das allerdings auch auf den Schauspieler Klaußner zutrifft, weiß ich nicht.

Auch Sie wirken nicht wie jemand, der oft an die Decke geht.

Ja, stimmt, es ist besser geworden. Eigentlich bin ich leider wirklich ein Choleriker, aber ich komme so selten dazu. Dabei macht das natürlich einen irrsinnigen Spaß. Ein Choleriker ist ja auch ein Hedonist, ein Genussmensch, der seinen Wahnsinn genießt. Und dann denkt, die anderen genießen das auch - aber weit gefehlt! Die finden das nur zum Kotzen. Und weil das so wenig produktive Resonanz hat, habe ich gelernt, mich zu mäßigen.

Hat das damit zu tun, dass Sie inzwischen auch Regie führen und in dieser Position eine Produktion leichter gefährden können als als Schauspieler?

Nee, damit hat das überhaupt nichts zu tun. Interessant, dass Sie das vermuten. Es ist nämlich genau umgekehrt. Als Schauspieler bin ich ruhiger, weil langsam die Gewissheit wächst, dass das, was man IMMER angestrebt hat, seit Jahrzehnten, jetzt mal gesehen wird. Als Regisseur dagegen ist es mir bis jetzt noch nicht wirklich gelungen, dieselbe Gelassenheit an den Tag zu legen. Schon nach meiner ersten Arbeit ist mir klargeworden, dass die große Leistung eines Theaterregisseurs darin besteht, zu verschwinden. Je mehr du quatschst, desto weniger produktiv ist es.

Erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie dachten: Jetzt läuft der Laden, jetzt komme ich dahin, wo ich immer hinwollte?

Nein, einen bestimmten Moment gab es da nicht, aber es war an einem bestimmten Punkt meiner Karriere wichtig für mich, Filmangebote zu bekommen, ein bisschen Abstand vom Theater zu gewinnen. In Deutschland, wo das Theater so hoch subventioniert ist, gibt es nämlich die Möglichkeit, sich in vielen schlechten Verhaltensweisen endlos zu produzieren und sich einzurichten in einer gewissen unproduktiven Destruktivität. Beim Film hat man selbst in unserem Land, wo auch Film hoch subventioniert ist, weder die Zeit noch das Geld, um sich das zu leisten. Die Umgangsformen beim Film, das muss man deutlich sagen, sind bessere. Ich war sehr froh, auch mal unter normalen Umständen Kunst machen zu können, ohne endlose Grabenkämpfe. Ich genieße diese Abwechslung sehr.

Wo Sie sich gerade schon als Choleriker geoutet haben …

Klaußner gluckst belustigt

Sie hatten ja auch eine starke Rebellenphase. George Tabori nannte Sie "Always No". Wogegen genau haben Sie rebelliert?

Gegen meinen Vater und die deutsche Gesellschaft der nachnationalsozialistischen Zeit. Während der Pubertät, bis zum Eintritt ins Berufsleben, war der Eindruck übermächtig, dass man nicht frei war, sondern von unendlich vielen Zwängen eingeengt, von Vorschriften, von Bevormundungen, von Gewalttätigkeiten der Gesellschaft, der Politik, verbunden mit dem Gefühl, dass man nur zu sich selbst kommt, wenn man ein großes Strecken vornimmt. Wie so oft im Protestantismus, nicht nur in dieser kleinen westdeutschen Nachkriegserfahrung, auch im religiösen Protestantismus, führt das leider auch dazu, dass sich der Protestierende selbst beschneidet. Und das ist das Bittere. Ich war gerade in den Ferien in Polen und habe da die katholische polnische Gesellschaft fröhliche Urständ feiern sehen, die waren wie eine große Familie am Strand und haben sich in dieser Gemeinschaft prächtig amüsiert, wie ich mir das hierzulande überhaupt nicht vorstellen kann. Eine Erklärung dafür ist eben die Vormacht des Protestantismus, eines aufklärerischen Gestus, der irgendwann zur Erkältung führt, zum Beschneiden von Sinnlichkeit und Lebenslust. Dekonstruktivismus, Ironie und Sarkasmus haben eben viel mit nicht gelebter Freiheit und Selbstverwirklichung zu tun. Umso mehr freut es mich, dass mir bei jungen Leuten das Interesse für das Nichtprotestantische, das Nicht-protest-anti-sche, stark gewachsen zu sein scheint. Das ist eine gute und wichtige Gegenreformation.

Woran machen Sie die fest?

Puh, dünnes Eis - aber ich glaube, dass viele Leute heute den Abstand zu den Dingen verkürzen wollen und nicht vergrößern, weil man auf der Suche ist nach einer Nähe zu und einem größeren Verständnis der Dinge, und dieses Verständnis sucht man eben nicht über den Abstand und den kalten, fremden Blick, sondern man versucht es mehr durch Identifikation und Liebe. Das nannte man früher auch "induktiv" und "deduktiv", eine Sache von innen anschauen oder eine Sache von außen anschauen. Für einen Schauspieler ist es unumgänglich, in der Lage zu sein, eine Sache von innen anzuschauen, um sie dann von außen anschaubar zu machen. Wenn man sich dessen nicht bewusst ist, wird die Darstellung einer Figur immer uninteressant bleiben, weil man nur abbildet, was ohnehin jeder erwartet. Und die Gegenreformation besteht nun darin, dass man versucht, den Dingen wieder mehr von der Innenseite nahezukommen. Ich kann und will jetzt aber nicht mehr sagen dazu … - weil ich es auch nicht besser weiß.

Ist es die Ironie Ihrer Geschichte, dass Sie ausgerechnet in Väterrollen so reüssiert haben?

Nee, das ist nicht die Ironie, es ist die Konsequenz. Dass man auf der einen Seite die Chance hat, sich an einem problematischen Vater abzuarbeiten, und auf der anderen Seite die Möglichkeit, einen Gegenentwurf zu entwickeln. Es lässt sich ja nicht leugnen, dass mich mein Vater auf eine merkwürdige Weise doch immer sehr interessiert und beschäftigt hat. Dadurch, dass er, Jahrgang 1909, durchs ganze 20. Jahrhundert gelaufen ist, konnte ich immer so viel deutsche Geschichte ablesen an seinen Erzählungen und vor allem den Verhaltensweisen, an allem, was ich so mitbekam.

Sie haben mal gesagt: "Wenn man Rollen spielt, kann man Menschen besser verstehen." Gilt das auch für Ihren Vater?

Ja, auf jeden Fall. In "Das weiße Band" spiele ich ja auch einen sehr autoritären Vater. Mir war das alles sehr vertraut, was Haneke geschrieben hat. Ich kenne solche Menschen - weil viele noch in meiner Jugend nach diesen Maximen gelebt haben. Also habe ich das auch wie ein Fisch im Wasser spielen können - sogar mit großem Vergnügen, weil ich merkte, das entwickelt so ein eigenes Leben. Aus dem Erinnern solcher Menschen. Als ich den Film dann aber zum ersten Mal sah, war ich zutiefst erschrocken, weil mir da erst wieder bewusst wurde, wie furchtbar solche Menschen sind. Ich hatte das vergessen. Ich hatte nur gesehen, was ich von ihnen wusste, wie ein Bekannter, wie ein Verwandter, den man gar nicht mehr reflektiert - wie ein Vater, von dem man gar nicht merkt, was er eigentlich anrichtet, weil es ein Stück von einem selbst ist.

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