: Schaurig-schöner Bilderbogen
„Struwwelpeter“ beziehungsweise „Shockheaded Peter“ als Musiktheater in Oldenburg: Immer noch nichts für die Kleinen, aber viel fürs Auge – wen man sich pädagogisch wertfrei zurücklehnt
Reimerich Kinderlieb. Wäre der Name Programm, könnten Eltern ihre Kleinen bedenkenlos in die Vorstellung „Shockheaded Peter“ schicken. Doch die Wirklichkeit im Oldenburger Staatstheater sieht anders aus.
Die in England ersonnene und titulierte Bühnenfassung der „Struwwelpeter“-Geschichten wirkt ebenso bedrohlich für den Nachwuchs wie die Vorlage des Arztes Heinrich Hoffmann von 1844. Der hatte seine Horrorstories zunächst unter jenem kinderlieben wie irreführenden Pseudonym herausgebracht, ehe ihn Generationen von Pädagogen dafür verteufelten.
Thema damals wie heute: die Abstrafung frecher Kinder. Und so erstehen all die angestaubten Biedermeier-Kinder als frische Haudraufs auf: Daumenlutscher Konrad, der die Warnung seiner Mutter in den Wind schlägt und den der böse Schneider dafür um zwei Daumen kürzer schnippelt. Regenschirm-Robert, vom Wind in die Ferne abgetrieben, der Zappelphillipp, Paulinchen, der Suppenkaspar und nicht zuletzt der struwwelige Peter.
Die ZuschauerInnen freuen sich über das teils blutige Spektakel für alle Sinne. Dramatische Musik unterstreicht die aneinander gereihte Szenenfolge. Zusammengehalten wird der effektvolle Bilderbogen von einem Zirkusdirektor, der in Marylin Manson-Manier durchs „Kinderprogramm“ führt. Stefan Kiefer leuchtet in seiner Darstellung viele Facetten des Grauens aus und gibt dem Schrecken verschiedene Gesichter. Als Direktor mit Zylinder und strähniger Mähne stets wirkungsvoll, agiert er in Gestik und Mimik bewusst überzogen. Das passt.
Zweites Strukturelement: Immer wieder lösen sich die illus-
trierten Grausamkeiten in Wohlgefallen auf. Fröhliche Lieder zum Abschluss der Episoden signalisieren: Das war doch nur Spaß. In bunt-altbackener Kinderkluft hüpfen die SchauspielerInnen über die Bretter wie einst die Vorbilder durchs Buch. Auch das Bühnenbild trägt der literarischen Vorlage Rechnung, ist aufgebaut wie ein Kinderbuch. Zwischen den Geschichten werden hohe Pappwände auf- und zugezogen, waswie ein Umblättern von Seiten im Bühnenformat wirkt. Dabei wird die ganze Tiefe des Raumes ausgenutzt. Stimmige Elemente ergänzen sich in diesem Fall.
Insgesamt ist das Vergnügen kurzweilig und auf Seiten der BesucherInnen. Die sollten sich allerdings pädagogisch wertfrei zurücklehnen und nicht die politisch korrekte Moral in den 158 Jahre alten Geschichten suchen. „Schockheaded Peter“ bietet stets nur scheinbar „Happy Ends“. Lutz Steinbrück
Nächste Termine: 27.11. und 1.12. im Staatstheater
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