Schaulaufen der Wichtigen: Eine Welt für sich
Am Ende des Jahres versammeln sich die Ehrbaren Kaufleute. Es gibt keinen Sekt, keine Häppchen. Nur eine Rede und das Bewusstsein der eigenen Bedeutung.
HAMBURG taz | Man könnte meinen, dass hier etwas Erwartungsvolles in der Luft liegt, während große, sehr große Autos vor dem Säulenportal der Hamburger Handelskammer halten und Menschen in dunklen Tuchmänteln Bekannte begrüßen. Sie kommen zur „Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“, der offiziellen Jahresabschlussveranstaltung der Handelskammer, und es sind formvollendete Menschen, einige unter ihnen zumindest, wenn man am verwaisten Fahrradständer eine Plastiktüte fallen lässt, ist da sehr schnell ein Herr, der sie für einen aufhebt. Sogar die Presseleute erscheinen in Anzug oder Kostüm.
Aber warum kommen über 2.000 Menschen am Silvestermittag zu einer Versammlung, bei der sie eine über einstündige Rede zuhören müssen und es weder vorher noch nachher Häppchen gibt?
Der Name „ehrbarer Kaufmann“ suggeriert Tradition, aber auch Gleichheit. Doch die endet beim VIP-Vorempfang im Columbus-Saal im ersten Stock. Links neben der Tür hängt ein Stich mit einer nackten langhaarigen Frau, die einen Federschurz trägt und mit einem Fuß auf einem Männerkopf steht, während von oben eine engelartige Figur ein Kreuz herabhält. „Allegorische Darstellung Amerikas um 1600“ steht auf der ausführlichen Erklärung darunter, und dass die Frauenfigur gleichermaßen Züge von Eva, einer Jagdgöttin und einer Amazone trage, während der Männerkopf auf mutmaßlichen Kannibalismus verweise. Die Wurzeln der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns reichen zurück bis 1517, da lag die Entdeckung Amerikas gerade mal 25 Jahre zurück. Die Tradition taucht heute beständig in den Reden auf, und vor einiger Zeit hat man in der Handelskammer die alten Uniformen der Börsenoffizianten wieder eingeführt, deshalb sitzt jetzt ein Angestellter in einer Jacke mit Goldknöpfen, Kappe und weißen Handschuhen neben der Rednertribüne.
Die Frau im Federschurz
Das Verhältnis der Handelskammer zur Tradition scheint eng und nicht von Zweifeln angekränkelt, deshalb ist es interessant, dass sie bei dem Bild der Frau im Federschurz so etwas wie eine Einordnung versucht. Im Raum, zu dem sie hineinführt, sind nur wenige Frauen und die haben es aus unterschiedlichen Gründen schwer. Der Columbus-Raum ist klein und jetzt sehr voll und laut. Man sieht den katholischen Weihbischof Jaschke, man sieht Dietrich Wersich, den CDU-Spitzenkandidaten bei der anstehenden Bürgerschaftswahl mit überschaubaren Erfolgsaussichten, man sieht Detlef Scheele, den Sozialsenator herumstehen und denkt, dass man auch als VIP-Gast verloren sein kann.
Katja Suding, die FDP-Vorsitzende, ist eine der wenigen, die nicht gedeckte Farben, sondern ein schwarz-rosa-weiß gemustertes Kleid trägt, sie ist nicht verloren, sondern in wechselnde Gespräche vertieft und später wird man hören, wie sie zu einem Anzugträger, der etwas von einer CDU-Mitgliedschaft murmelt, sagt, dass man doch dennoch etwas für eine andere Partei tun könne. Man sieht Olaf Scholz mit seiner Frau, sie wirken ein bisschen fremd unter den hanseatischen Kaufleuten, ihre Frisur ist zu ungeordnet und er auf unbestimmbare Art zerknittert, aber er ist Bürgermeister, also ist er hier.
Wer hier ist, das sollen alle erfahren
An der Wand hängt eine Liste mit dem Sitzplan, vor dem Saal ist sie noch einmal größer ausgestellt und es ist dieser Hauch des Zuviel, der verrät, dass dies das Herz der Veranstaltung ist: Wer ist hier, das sollen die Gäste erfahren, sie sollen sehen, dass alle gekommen sind, die in dieser Stadt von Bedeutung sind, und die Wichtigen, die Senatoren und Senatorinnen, Fraktionsvorsitzenden, Staatsräte, Landgerichtspräsidenten, Konsuln, sie sollen sehen, dass der Verein der Ehrbaren Kaufleute ein Gastgeber ist, dessen Einladung die Bedeutsamen folgen. Gelegentlich sind die Ehrbaren da nicht wählerisch, auch Roger Kusch, Ex-Senator und nun Sterbehelfer mit zweifelhafter Berufung, steht auf der Gästeliste.
Es heißt, dass die Reden, die beim Jahresempfang des Ehrbaren Kaufmanns gehalten werden, deutlich seien. Vor einigen Jahren hat der Präses der Handelskammer die rot-grüne Koalition in Berlin gerupft wie ein Huhn, während die damalige Hamburger Koalition aus CDU, FDP und der rechtsstaatlichen Offensive von Ronald Schill gut davonkam. Diesmal kommt der SPD-Senat gut weg, so gut, als sei die Handelskammer sehr gewiss, mit wem sie es den nächsten vier Jahren zu tun haben wird. Die Rede des Präses, Fritz Horst Melsheimer, ist lang, 21 eng bedruckte Seiten, und kommt erst relativ spät zur Handelskammer selbst und ihren Problemen – Parteienkämpfe, die eines ehrbaren Kaufmanns nicht würdig seien, so sagt es Melsheimer. Es heißt, dass die Grünen mitgemischt hätten bei der Offensive für mehr Transparenz in der Handelskammer, vielleicht deshalb das fröhliche Lachen, als der Präses ihnen später attestiert, „an der Regierungsfähigkeit zu arbeiten“.
Der Radfahrer als Problem
Aber dann geht Melsheimer zur zentralen Forderung über: mehr Infrastruktur, schließlich landet er bei der Papenhuder Straße, wo durch Bus- und Radspuren 40 Parkplätze wegfallen. Als er das geißelt, erhält er viel Beifall, und, das ist das Verstörende an dieser Versammlung der Ehrbaren Kaufleute, weit mehr als bei allen Forderungen nach Bildungsoffensive oder Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt, die er davor vorgebracht hat. Der Radfahrer scheint ein besonders lästiges Problem des ehrbaren Kaufmanns, immerhin so gravierend, dass auch der Abschlussredner noch einmal darauf verweist, dass Hamburg nicht vom Rad abhänge.
Es ist interessant, was in den langen Reden nicht auftaucht: die Kultur, außer in drei Sätzen zum Musical, und die Linke. Zuvor hatte Melsheimer den Hafen, den Außenhandel und die Versicherungen die „Seele unserer Stadt“ genannt. Für diese Seele, so muss man annehmen, sorgt der Ehrbare Kaufmann. Der sei weltoffen, heißt es. Vielleicht ist er vor allem selbstbewusst, so unerschütterlich selbstbewusst, dass es einen gleichermaßen fasziniert und graust.
Beim Hinausgehen bedankt sich einer für die große Rede beim Präses, einer erzählt von Leuten, die nach Sylt fahren, andere sind in New York. Eine Frau sagt zu ihrem Begleiter: „weltoffene Geister“, dann ist sie nicht mehr zu verstehen, nur noch ein Bruchstück, „muss nicht überall bekannt sein“. „Dafür gibt es andere Leute“, sagt der Mann.
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