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„Schauen Sie hin!“

Stefanie Hinz will „nichts beschönigen und nichts unter den Teppich kehren“. Vielmehr verspricht die Landes­polizeipräsidentin die „vollumfängliche ­Aufklärung“ der Vorwürfe von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Es geht um Baden-­Württembergs ranghöchsten Polizisten.

Demo gegen Sexismus am Tag der Arbeit 2019 – hier mit Blick auf die Polizei. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Johanna Henkel-Waidhofer↓

Die Ziele bleiben hochgesteckt. Mit der Kampagne „Nicht bei uns“ wollten und wollen die Ver­ant­wortlichen „das Be­wusst­sein stärken für eine respekt­volle, profes­sio­nelle, im Einklang mit den Beamtenpflichten stehende Kommunikation“. So soll ein Zeichen gesetzt werden gegen Diskriminierung und Extremismus. Ausdrücklich verlangte die frühere Spitzenbeamtin im Wirtschaftsministerium zum Auftakt vor einigen Monaten, „gemeinsam einen inter­nen Wertewandel anstoßen“, einschlägige interne Vorgänge nicht zu vertuschen und öffentliche Vorwürfe transpa­rent aufzuarbeiten.

Jetzt wird aufgearbeitet: Von Inspekteur Andreas Renner wird berichtet, eine Untergebene in einer Weise bedrängt zu haben, die jedenfalls dazu führte, dass Hinz sofort durchgriff. Der 48-Jährige wurde mit einem Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte belegt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist eingeschaltet, das Disziplinarverfahren läuft. „Natürlich gilt, wie für jeden Verdächtigen oder Beschuldigten, auch hier der Grundsatz der Unschuldsvermutung“, schreibt die Präsidentin in ihrem Mitarbeitendenbrief am 23. November. Sie halte es aber für ihre Pflicht zu informieren. Und dann schlug die Präsidentin den Bogen zu „Nicht bei uns“. Die Polizei Baden-Württemberg habe sich nicht nur klar positioniert, sondern: „Diese Werte und Grundsätze sind nicht nur schöne Worte, sie werden bei uns gelebt.“

Die Haltung hat Konsequenzen. Aus Singen wurde bekannt, dass Beamte im Februar, so der Landesverband Deutscher Sinti und Roma, spielende Kinder kon­trol­liert, rassistisch angegangen und einen Elfjährigen in Handschellen abgeführt haben. Aus Lörrach und Sigmaringen sind Übergriffe bekannt geworden. Jetzt gehe die Sorge um, sagt einer der Altgedienten bei der Stuttgarter Polizei, dass „immer mehr Kollegen den Wertewandel ernst nehmen und Vorstöße melden“. Andere Bundesländer sind auch nicht eben Vorbilder. Im August hat ein hessischer Beamter in der „Frankfurter Rundschau“ über Frauenfeindlichkeit und Sexismus unter Kollegen berichtet und darüber, dass „fast jeder“ Einschlägiges auf seinem Handy habe.

Frauenhass und gewaltsexuelle Perversionen

„Ob das stimmt, lässt sich nicht überprüfen“, schreibt die FR. Tatsache sei aber nach Einsicht in einschlägige Postings, dass Frauenverachtung in jenen Chatgruppen eine Rolle spielte, für die sich die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen der Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen und wegen rassistischer Hetze interessiere. Der sexistische Teil rücke in der öffentlichen Debatte in den Hintergrund. Im Juli hatte eine Expertenkommission der Polizei in Frankfurt nach der Chat-Auswertung „eliminatorischen Frauenhass, verbunden mit gewaltsexuellen Perversionen“ angeprangert.

Sie halte es für ihre Pflicht zu informieren, sagt Stafanie Hinz. Foto: Jens Volle

Für Baden-Württemberg warf ein Schlaglicht darauf, wie der Polizistinnen-Alltag sein kann, die Aussage einer Zeugin im ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags über die Zustände im Stuttgarter Innenstadt-Revier rund um einen Beamten, der sich dem Ku Klux Klan zugehörig fühlte. Als sie sich gegen verächtlichmachende und rassistische Sprüche verwahrt habe, sei nicht der Kollege belangt, sondern sie selber geschnitten worden. Zuständig gewesen sei für ein Disziplinarverfahren Martin Schairer, zuerst Polizeipräsident, später Bürgermeister für Recht, Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt, der aber die Vorgänge so lange in seinen Aktenstapeln lagern ließ, bis alle Fristen verstrichen waren.

Für das, was die MacherInnen der Wertekampagne bekämpfen wollen, stehen auf dialektische Weise die „Präventiv­clips zur Aufklärung und Sensibilisierung“. Beamte bekommen menschenverachtende Nachrichten aufs Handy, ein Kollege fotografiert eine sich bückende Kollegin und lügt auf ihre Frage, ob er ein Bild von ihr gemacht habe. Ein Polizist mit Migrationshintergrund muss sich am Rande einer Demo fragen lassen, ob er seine Landsleute heute nicht im Griff habe. „Wir zeigen klare Kante“, heißt es im Abspann der von der Filmakademie Baden-Württemberg produzierten Kurzgeschichten, „Verstöße werden verfolgt, egal ob sie im Dienst, im Privaten oder in den sozialen Medien stattfinden.“

In einer von der SPD beantragten nichtöffentlichen Sondersitzung hat sich der Innenausschuss des Landtags mit den Vorwürfen gegen den Inspekteur befasst. „Sollte sich der Tatvorwurf durch die Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei Heidelberg bestätigen, wäre das nicht nur eine verächtliche Straftat, sondern würde einen erheblichen Machtmissbrauch darstellen“, so die stellvertretende Vorsitzende Andrea Schwarz (Grüne). Sie hob ebenfalls die Unschuldsvermutung hervor, betonte aber zugleich auch das hinter verschlossenen Türen gegebene Versprechen von Innenminister Thomas Strobl (CDU), dass dieser Vorfall nun „zügig, konsequent und ohne Ansehen der Person“ aufgeklärt werde. Zumindest indirekt wurde deutlich, dass auch die Sinnhaftigkeit der Sensibilisierung durch „Nicht bei uns!“ und Hinz’ Aufforderung an alle PolizistInnen „Schauen Sie hin!“ in Zweifel gezogen wird. Mehrere RednerInnen, so wird aus der Sitzung berichtet, hätten daraufhin dringend appelliert, die Kampagne weiterzuführen anstatt über ihre Notwendigkeit zu diskutieren.

Die Landespolizeipräsidentin hat keinen leichten Stand

Der zuständige Innenminister Thomas Strobl (links) spricht sich für Aufklärung ohne Ansehen der Person aus. Foto: , Joachim E. Röttgers

Genau das hat die Landespolizeipräsi­dentin, die erste Frau an dieser Stelle in Baden-Württemberg, angekündigt. „Als Juristin, die nicht aus dem Apparat kommt, hat sie keinen leichten Stand“, weiß ein hochrangiger Stuttgarter Beamter. Was die 49-Jährige aber gerade nicht davon abhält, weiter um mehr Transparenz zu kämpfen. Die im Raum stehenden Vorwürfe seien für sie persönlich „sehr enttäuschend“, sagte Stefanie Hinz, und es bleibe dabei, dass „für Sexismus jeglicher Art wir in unserer Polizei keinen Platz haben“. Grünen-Fraktionsvize Oliver Hildenbrand springt ihr bei: Das sei „eine Haltung, für die wir danken und die wir ausdrücklich unterstützen“.

Nicht nur die Opposition verlangt nach weiterer Aufklärung, zum Beispiel dazu, ob und welche Kritik an Renner Hinz schon vor dem jetzt das Disziplinarverfahren auslösenden Vorgang zu Ohren gekommen sei. Von der „Gerüchteküche“ bei der Polizei soll sie selber im Ausschuss gesprochen haben, ohne aber Einzelheiten preiszugeben. Auch Grünen-Abgeordnete verlangen nach Details. Vor allem aber bereitet die SPD-Fraktion einen parlamentarischen Antrag vor, in dem das Innenministerium aufgefordert wird, über alle Personalentscheidungen Auskunft zu geben, die in Renners Amtszeit gefallen sind.

Denn der war zu allem Überfluss Leiter der Beurteilungskommission und damit maßgeblich mitverantwortlich für die Karrieren von KollegInnen. Ein wesentlicher Teil der aufgenommenen Ermittlungen rankt sich um den Vorwurf, der Hauptkommissarin sei ein schnellerer Aufstieg in Aussicht gestellt worden – immer unter der Voraussetzung, sie zeige ihrem Vorgesetzten nicht die kalte Schulter.

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