Schau zur Geschichte des industriellen Bauens: Fertigbauteile mit Kunstwerk-Aura
Die Architekturausstellung "Home Delivery" am New Yorker Museum of Modern Art widmet sich der Geschichte des Fertighauses. Die soziale Dimension der Architektur bleibt außen vor.
Herzog & de Meuron, die momentanen Stars der Architekturszene, haben - wie soll es anders sein - auch in New York gebaut und ein weiteres Luxus- und Investmentobjekt der Premiumklasse in Manhattan fabriziert.
Ihr jüngst fertiggestelltes Appartmenthaus in der Bond Street erfüllt den Traum vom exklusiven Penthouse all jenen, die zwischen 8,5 und 65 Millionen Dollar auf den Tisch blättern können. Klar, das ist viel Geld, aber dafür bekommt man bei einem Herzog-&-de-Meuron-Gebäude immer auch das Bewusstsein mitgeliefert, in einem absoluten Einzelstück zu wohnen. Denn einziger Wiedererkennungswert des Büros ist die radikale Andersheit ihrer Gebäude: Kein Haus gleicht dem anderen.
Ein paar Straßen weiter nördlich steht die komplette Antithese - und das in fünffacher Ausfertigung. Doch leider nur im Museum, genauer: in einer Baulücke neben dem Museum of Modern Art. Unter dem Titel "Home Delivery" zeigt das MoMA hier eine bemerkenswerte Architekturausstellung, die sich mitten in der anhaltenden amerikanischen Immobilienkrise vorfabrizierter Architektur vom Fließband und damit dem alten modernistischen Architektentraum des massenproduzierten Hauses von der Stange widmet.
In dieser Ausstellung ist zunächst einmal viel die Rede vom Erfindungsreichtum der Architekten und Ingenieure, die während der letzten 100 Jahre Bautechniken und Systeme entwickelten, mittels derer das Dach über dem Kopf ähnlich John Fords Automobilen industriell produziert werden kann - billig, schnell und massenweise. Es entstanden Modelle wie Thomas Alva Edisons frühes "Single Pour Concrete System", das aus einer aufgestellten Standardverschalung vor Ort aus Flüssigbeton ganze Häuser goss, oder Walter Gropius sogenanntes "Allkupferhaus", zusammengesetzt aus fabrikproduzierten Kupferelementen.
Formal und ästhetisch reicht das Spektrum dabei von relativ konservativen Anleihen oder strenger Geometrie wie in Le Corbusiers modernistischem Klassiker "Maison Dom-ino" über futuristische Studien wie R. Buckminster Fullers "Dymaxion House" von 1927 oder dessen Nachkriegsfolgemodell, dem "Wichita House", dessen rund-zylindrische Form am ehesten an eine Flugzeugturbine erinnert und ein ausgeklügeltes Belüftungssystem besitzt, bis hin zu biomorphen Formspielereien und Organreferenzen, wie sie Mitte des 20. Jahrhunderts auch nicht zuletzt durch den neuen Baustoff Plastik möglich wurden. Jüngst nun taucht diese Idee des industriell gefertigten Fertighauses wieder aus den digitalen Tiefen eines computerunterstützten Designs auf, das die "Mass-Standardization" der Moderne durch eine nun machbare "Mass-Customization" auf der Basis modifizierbarer Grundelemente ersetzt hat, die den zersplitterten Gesellschaften einer Post-Postmoderne wohl eher entspricht, als gleichgeschaltetes Wohnen.
Die Ausstellung präsentiert all dies in einer Art historischer Überblicksschau mit einer Unmenge an Dokumenten, Fotografien und Plakaten, Skizzen und Entwurfszeichnungen, sowie zahlreichen Modellen. Und es fällt auf, dass viele der hier gezeigten Ideen und Studien vor allem Modelle geblieben sind. Wenn sie doch gebaut wurden, dann längst nicht in der Stückzahl, die ihren Konstrukteuren vorschwebte. Wo industrielle Architektur letztlich in großem Maßstab realisiert wurde, wird sie eher als Inbegriff der Tristesse und der Uniformierung noch des letzten privaten Rückzugraums begriffen, als ein fehlgegangenes Experiment und nicht als verwirklichte Utopie.
All jene riesigen Plattenbautensiedlungen, die den gesamten ehemaligen ideologischen Osten überziehen, wirken wie eine verzerrte Antwort der Realität auf die einmal von Le Corbusier, Gropius und all den anderen in den modernen Raum der Massengesellschaft geworfenen Fragen nach der sozialen Qualität des Bauens unter fordistischen und tayloristischen Prämissen industrieller Fertigbarkeit.
Auch der zweite Teil der Ausstellung in einer Baulücke neben dem Museum krankt an der Diskrepanz zwischen Entwurf und Realisierung. Von den dort aufgebauten und begehbaren fünf zeitgenössischen Fertighausstudien, mit denen ein Fenster in die Zukunft des Themas "Prefabricated Architecture" aufgestoßen werden soll, ist der kleinste Entwurf auch der gleichzeitig überzeugendste: Das sogenannte Micro Compact Home, entwickelt in Kooperation zwischen dem britischen Architekten Horden Cherry Lee und dem deutschen Büro Haack + Höpfner und realisiert mit Unterstützung eines Mobilfunkanbieters, der den gerade knapp sieben Quadratmeter Fläche bereitstellenden Würfel in mehrfacher Ausfertigung in München als Studentenquartier aufstellen ließ.
Ausgestattet mit einer ausgeklügelten Innenarchitektur, eingebauter Kommunikationselektronik und einem Seitenmaß, das den Kompletttransport auf der Straße ermöglicht, besonders aber dank eines verhältnismäßig kostengünstigen Konzepts, erfüllt es als einziges vertretenes Projekt den von der "Prefab Architecture" formulierten Anspruch, schnell, billig und unkompliziert umgesetzt werden zu können. Da kann lediglich "System 3" der österreichischen Architekten Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf, ein nach Modularbauweise stapelbares Holzhaus im langgezogenen Containerformat, mithalten. Anleihen an die klare, modernistische Formensprache der Mitte des letzten Jahrhunderts sind hier unübersehbar. Auch das Interieur aus Tisch, Bett und Stühlen erinnert an eine 2.0-Version skandinavischen Designs der 60er- und 70er-Jahre - hier eben aus Leimholz statt aus teuerem Teak.
Das "Cellophane House" von Kieran Timberlake Associates dagegen, ein komplett durchsichtiges Haus aus PET mit Unmengen von Fotovoltaik-Zellen zur autarken Versorgung des Vollplastik-Boliden, kann dagegen schon nicht mehr mit. Gebaut werden wird das mit einem veranschlagten Preis von 300.000 Dollar relativ teuere Fertighaus wenn, dann nur als bewegbares Feriendomizil für diejenigen, die genug Geld haben, sich auch Rapsölautos zu kaufen.
Die verbliebenen zwei Modelle versuchen, die Möglichkeiten von computergenerierter Architektur auszuloten, obwohl sie am augenfälligsten auf reale Probleme verweisen. "BURST*008" ist ein wild aussehendes Sammelsurium verschiedener Elemente, durch Stelzen hochwasserfest gemacht und sich statisch selbst stützend. Eine Studie zum Wiederaufbau des Hurrikan-verwüsteten New Orleans hingegen kombiniert klassischen Südstaatenveranda-Baustil und digital erzeugte Bodenmuster mit einer Art Lego-Technik-Stecksystem. Dass sich im Innern des XXL-Modells zur Krisenaufarbeitung und Neubebauung in Zeiten des "Katrina"-Traumas ein aufgestelltes Medium-Size-Modell und darin wiederum die Small-Size-Variante befindet, lässt die Präsentation jedoch endgültig im selbstreferentiellen Digital-Orkus CAD-besessener Architekten verschwinden.
Und so stellt sich nach dem historischen Überblick auf der einen und dem Blick ins Futurismusfenster auf der anderen Seite die berechtigte Frage, wo denn diese Ausstellung selbst steht. Warum industriell gefertigte Architektur? Warum jetzt? Und warum hier, an diesem Ort? Genau in New York, dem gefühlten Zentrum eines Immobilienorkans, der eine Investmentbank nach der anderen in den Strudel der Insolvenz zieht. Und in dessen Auge - Manhattan - die Preise für Wohnungen dennoch steigen. Denn nur allzu gerne möchte man dem geschützten Raum des Museums und der kulturell aufwertenden Zwischennutzung einer Baulücke in bester Lage die Situation in der Stadt vor Augen halten.
Mehr noch: Es genügt, auf jene Lücke in der Skyline selbst zu blicken, auf deren Grund die kleinen Fertighausstudien errichtet wurden. Denn diese wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit direkt nach dem Abbau der Ausstellung verschwinden zugunsten des nächsten milliardenschweren Development-Projekts. Während in der historischen Sektion des MoMA die wenigen realisierten Fertigbauteile wie Skulpturen mit der Aura eines Kunstwerks präsentiert werden - will man zynisch sein: abholbereit und museal geadelt für den alles verschlingenden Kunst- und Designmarkt - und sich nebenan Architekten an die modellhafte Realisierung digitaler Träume wagen dürfen, die mit kleinen Ausnahmen dann doch nur für einen minimalen Prozentsatz der Gesellschaft zu erstehen sind, materialisiert sich direkt vor der Tür tatsächlich eine immer drängendere Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum. Die Überblicksausstellung zur Geschichte der Vorfabrikation ist fantastisch, die draußen gezeigten Case Studies interessant.
Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass hier an der Realität vorbeigedacht wurde. So bleibt der Traum vom erschwinglichen Wohnen von der Stange auch im Zeitalter der "Mass-Customization" der Traum weniger und die Spielwiese von Architekten, die ab und an ganz gerne die Grenzen ihres Berufsstandes in Richtung Ingenieurswesen und Produktdesign durchbrechen.
Da mag es symptomatisch erscheinen, dass sich diese Ausstellung viel zu wenig der sozialutopischen Komponente eines billigen Bauens für Jedermann widmet. Dieser Anteil schwingt zwar beständig mit, wird aber letztlich viel zu wenig expliziert und verschwindet hinter der Betonung von innovativen Ingenieursleistungen und ästhetischen Konzepten.
Denn woran es liegt, dass der Transfer in die Realität nicht gelingen mag (und diese Frage muss sich Architektur im Gegensatz etwa zu bildender Kunst gefallen lassen - gerade wenn sie im musealen Rahmen präsentiert wird), das vermag auch diese Ausstellung nicht zu erklären. Vielleicht sollte man sich also doch nach wie vor überlegen, warum die Utopien der Moderne immer wieder zum Scheitern verurteilt sind, als sich in einem erneuten Durchgang in eine Ästhetisierung des Utopischen zu flüchten.
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