Schau im Bauhaus-Archiv: Die Kunst des Code of Cool
Mit "Leben im Hochhaus" wird im Bauhaus-Archiv Berlin an die Werkbundsektion auf dem Salon der Société des artistes décorateurs 1930 in Paris erinnert.
Man trifft sich an der Bar. Zwangsläufig, bildet doch die geschwungene Theke den zentralen Ort dieser kleinen, bemerkenswerten Schau. Hinabgesunken in poliertes Stahlrohr nippt man an einer Orangina, dem kugelflaschigen, retrosüßen Trendgetränk. Und bestaunt eine mondäne Moderne. Sieht fein aus. Und vor allem: Fühlt sich gut an. Fast vergisst man das Museum und imaginiert sich eine Lounge. Einen Gesellschaftsraum, wie das damals, 1930, hieß.
Walter Gropius hätte das vermutlich gefallen. Genauso hatte er sich das erdacht. Moderne Menschen in modernen Möbeln. Imaginiert anlässlich der ersten Einladung zum Pariser Salon der Société des artistes décorateurs, der Vereinigung der französischen Inneneinrichter, die dem Deutschen Werkbund nach dem Ersten Weltkrieg ausgesprochen wurde. Deutsches Design war zurückgekommen in die Welt.
Und deshalb steht nun eine Stahlrohrtheke im Bauhaus-Archiv am Berliner Landwehrkanal, das selbst ein Entwurf von Walter Gropius ist, 1976 nach Plänen des sieben Jahre zuvor verstorbenen Bauhausdirektors realisiert. Sie steht dort, weil der Deutsche Werkbund, dieser Wegbereiter und -begleiter von guter Form und standardisierter Dingkultur, in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert. Und weil die Ausstellung von Paris in der Geschichte des Werkbundes genauso einmalig wie funkelnd ist. Davon erzählt schon ihr Personal: László Moholy-Nagy, Marcel Breuer, der Grafiker und Ausstellungsgestalter Herbert Bayer und eben Walter Gropius - der Werkbund hatte das Bauhaus nach Paris geschickt.
Zwar hatte Letzterer die Leitung der Dessauer Hochschule zwei Jahre zuvor abgegeben, doch bereits zu diesem Zeitpunkt waren Gropius und das Bauhaus längst zu Synonymen geworden. Er war der Architekt des Bauhauses, im doppelten Wortsinn. In der Ausstellung, damals in Paris wie heute in Berlin, steht das raumgreifende Architekturmodell des von ihm entworfenen Gebäudes. Und gleicht einem lichten Manifest. Man hatte der Welt das Hochhaus mitgebracht, Stahlbetonskelett, frei stehende Fensterfronten, lichte Austritte, atmende Geschossübergänge, visionär nach innen wie außen.
"Leben im Hochhaus" also. So nennt das Bauhaus-Archiv seine Schau, die zu großen Teilen eben eine Rekonstruktion der "Section Allemande" der Pariser Ausstellung von 1930 ist. Die von Herbert Bayer dreidimensional in den Raum platzierten Architekturfotografien, die die Werkbundsiedlung in Stuttgart-Weißenhof oder Erich Mendelsohns Schocken-Kaufhäuser plastisch wirken lassen. Die von der Decke herabgleitenden Stuhlreihen, Entwürfe von Marcel Breuer oder den Gebrüdern Luckhardt, die den Rhythmus der industriellen Warenproduktion feiern. Und die Schönheit der seriellen Form.
Man betritt einen Raum und steht mitten in einer, so Gropius, "totalen, die gesamte Umwelt der Menschen berücksichtigenden Gestaltung". Das Sein als Design, Freigeister in Freischwingern. Globus und Fernsprechapparat inszenierte die Originalausstellung als Accessoires eines neuen, urbanen Lebensstils. Weltkarten für Weltbürger schmückten die Wände, darauf eingezeichnet interkontinentale Schiffs- und Luftschiffspassagen.
Hatte noch der Jugendstil, aus dessen Geist sich der Werkbund 1907 gegründet hatte, das Haus als eine manifeste Burg inszeniert, sind die visionären Räume der ausgehenden Zwanzigerjahre flüchtig geworden. Filigrane Stahlbetonraster hatten die Fassaden aufgebrochen, stellten das Verhältnis von Privatem und Öffentlichem zur Disposition. Der Entwurf, den Walter Gropius mit nach Paris gebracht hatte und zu dem auch der eingangs erwähnte Gesellschaftsraum gehörte, trug diesen architektonischen wie gesellschaftlichen Wandel bereits im Namen. "Wohnhotel" nannte er den handtuchschmalen, zehngeschossigen Querriegel, ein temporäres Heim für umherschweifende Menschen, entrümpelt vom Ballast bürgerlicher Sesshaftigkeit. "Erlebnisräume jenseits der Kleinfamilie", auch so etwas wurde bereits 1930 formuliert.
Und so fühlt man sich beim Gang durch das Bauhaus-Archiv plötzlich zurückgeworfen in die Gegenwart. Wittert spätmoderne Gesellschaftsentwürfe unter dem Dach einer radikalen Moderne. Ein Peter Behrens, Formgeber der ersten Werkbund-Generation, hatte noch Fabrik- und Turbinenhallen entworfen. Von Gropius selbst stammen die epochalen Fagus-Werke in Alfeld an der Leine, der Aufbruch in der Moderne aus dem Jahr 1911. Nun aber plante er für eine postindustrielle Klasse. Seine Möbel sind der Schreibtisch und der Sessel, sein Haus nicht mehr Ort der Produktion, sondern der (produktiven) Kommunikation. Räume sollen es sein, die "durch eine elastische und unbeschwerte Atmosphäre die Lebendigkeit des Geistes begünstigen". Auch deshalb ist ein Wellnessbereich zentrales Moment seines Entwurfes wie beider Ausstellungen. Mit Swimmingpool und Sprossenwand, dazwischen ein Paar schweinslederne Boxhandschuhe als geschickt drapierter Code of Cool.
"Die Heimatlosigkeit wird ein Weltschicksal", formulierte Martin Heidegger 1947 in seinen "Brief über den Humanismus". Walter Gropius, der die eigene Heimatlosigkeit nach 1933 schmerzlich erfahren musste, entwarf wiederum ein und für ein Menschenbild, dass diese Scholle längst verlassen hatte. Vielleicht auch, um der Vertreibung zuvorzukommen. Um die Welle zu reiten, um ein Motiv von Gilles Deleuze aufzugreifen, anstatt in ihr unterzugehen.
Ein letztes Zitat von Walter Gropius begleitet die Besucher nach draußen. "Die neue Zeit ist eine Tatsache. Sie existiert, unabhängig davon, ob wir 'Nein' oder 'Ja' sagen." Drei Jahre nach der Pariser Ausstellung sollte in Deutschland eine neue Zeit anbrechen, deren architektonische Rückbesinnung auf einen ackerfurchenschweren Heimatstil noch das geringste Problem war. Das Bauhaus verschlug es in die Welt, den Werkbund zerschlug das NS-Regime. Schlechte Zeiten waren angebrochen, für gute Formen wie für freie Geister.
Bis 7. April, Bauhaus-Archiv Berlin
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