Scharf beobachtet: Sommer in New York City

" ... und tat alles mit jener großen, irren Freude, die einen überkommt bei der Rückkehr nach New York City" (Jack Kerouac). Stadtszenen

Eine Yoga-Gruppe feiert die Sommersonnenwende auf dem Times Sqare Bild: dpa

Im Bahnhof Grand Central Station. Eine gigantische Halle mit Säulen und Balkonen unter gemaltem Sternenhimmel. Ein Mädchen wird geschminkt, sie ist groß und blond und geduldig. Steht unbeweglich da. Kameras, Licht, Personal. Andere gehen wie zufällig um die Modeaufnahmen herum. Der Mann nicht. Er ist klein, nicht alt, sieht wie ein Italiener aus, trägt an einem Metallstab einen Spiegel vor sich her, wie ein großer Rückspiegel, und in der anderen Hand an noch einem Stab eine gelbe Blume.

Er geht zügig durch die luftige Halle, den Spiegel vor sich, in den er hineinschaut und ruft: "You are so beautiful." Dann sieht er die Mode-Aufnahmen, er geht stracks auf das Mädchen zu, ruft ihr zu: "You are so beautiful, look, look", dreht ihr den Spiegel hin, sie solle hineinschaun: "You are so beautiful."

Das geduldige Mädchen reagiert nicht, den Mann irritiert das nicht. Ist das eine Performance oder eine Psychose? Wer weiß das schon in New York. Der kleine Mann geht nun auf eine Asiatin zu, die ihren täglichen Weg durch den Bahnhof geht, zielstrebig diagonal durch die Halle. "You are so beautiful." Sie sucht das Weite.

Rose Champagne

In der Bar im South Gate am Central Park hängen hunderte verschieden großer Spiegel, kantig schräg zueinander gedreht. Von einer Designerin in SoHo. Zwei Männer reden aufeinander ein. Der eine ein Mexikaner. Dicke Uhr, betrunken. Der andere Ami, ein Hotelgast im Haus, ein Jumeirah-Hotel, teuer.

Altes: Chelsea Antiques Building, 110 West 25th Street, tgl. 10-18 Uhr. Zwölf Stockwerke voller Antiquitäten, Trödel, Sammlerstücke und Kitsch. Nicht die billigste Adresse, aber gut sortiert.

Neues - Shops großer (amerikanischer) Namen:

Calvin Klein, 654 Madison Ave. and 60th St.

Carolina Herrera, 954 Madison Ave. and 75th St. www.carolinaherrera.com

DKNY, 420 West Broadway, 655 Madison Avenue

Ralph Lauren, 867 Madison Ave. and 72nd St., www.polo.com

Einer der aufsehenerregendsten Läden in SoHo ist der Prada Shop, erbaut von Rem Kohlhaas, eine gigantische Freitreppe führt ins Untergeschoss. Eine wellenförmige Struktur aus tropischem Zebraholz verbindet im Zentrum die beiden Stockwerke. (575 Broadway and at Prince St.)

Die Apple-Stores werden bei günstigem Euro-Kurs von Europäern gestürmt. Dann kosten iPods, iPhones und iMacs das in Dollar, was sie bei uns in Euro kosten. Soho, 103 Prince St., zw. Greene and Mercer St., # 226-3126,401 W 14th Street, # 444-3400, 767 Fifth Ave., # 336-1440, www.apple.com

Century 21, 22 Cordtland St., der Preisknüller. Die teuersten Markenteile kann man hier zu einem Bruchteil des ursprünglichen Preises finden. No fakes! Es ist die Ware der letzten oder auch der vorvorletzten Saison, meist sind es nur Einzelstücke.

Der Amerikaner sagt, sein Freund sei gerade gestorben. 53 war er, wir kannten uns aus der Highschool. Wir hatten gar nicht mehr viel Kontakt. Der Mexikaner schaut eine Frau an, sie kommt zur Bar, er ruft: "My name is James! James Bond!" Streckt ihr die Hand hin.

Ein Spaß, er heiße Javier. Die Frau stöckelt weiter. Der verstorbene Freund habe ihm einen Brief geschrieben. Da sei er schon sehr traurig gewesen. "Wahrscheinlich waren wir mal gut befreundet, versucht er sich zu erinnern."

Der Mexikaner sagt zur Frau hinterm Bartresen "I love rose Champagne. Bring mir noch einen." In dem Brief habe gestanden, dass er ihm sein Auto vermacht habe. "Very sad, very sad", sagt der Mexikaner nun zeitverzögert. Es sei ein Traum von einem Auto, ein Augapfel, eine 83er Corvette. Gepflegt, 1a. Dann sagt er zum Mexikaner: "Und, wie hat Ihnen der Film gefallen?" Der Mexikaner schaut verständnislos.

Kleiderberge

Im Outlet-Shop Century 21. Vollgestopft mit Kleiderständern und Kundinnen. Unübersichtliches Schieben, Tafeln mit Markennamen schreien nach Aufmerksamkeit. Eine Frau möchte etwas sagen, stutzt. Ob sie mal vorbei dürfte, fragt sie auf Englisch. "Aber natürlich!" Sie sagt erleichtert: "Ich wusste nicht, in welcher Sprache ich fragen soll, es gibt so viele Nationen hier. Ich meine, das ist toll, dass so viele herkommen."

Am Geländer bei den Rolltreppen lehnen Männer. Geparkt mit stoischem Gesichtsausdruck, über den Armen Kleider, Jacken. Hinter einer Wand verbergen sich gut zwanzig Umkleidekabinen. Davor stehen Frauen Schlange. Berge von Kleidung auf den Armen, im Korb. Am Eingang zur stickigen Hölle mit den Spiegeln stehen Verkäuferinnen, stämmige schwarze Frauen. Mit der Geduld eines Erzengels und der Stimmgewalt eines Zeitungsverkäufers ordnen sie die Welt.

"Madame, Sie können nicht mehr als sieben Teile mitnehmen. Madame, Sie dürfen nicht mit einem Korb in die Kabine. Madame, hier ist nur der Eingang, Ausgang auf der anderen Seite." Endlos dieselben Sätze. Und der Strom teilt sich, sortiert sich. Es ist dieselbe Szene, dieselbe ordnende Macht wie am Flughafen JFK. Taxi-Dispatcher und Tax-free-Dispatcher.

Europäischer Appetit

Mittag im Le Pain Quotidien in Soho, Gäste setzen sich an die langen Tische. Sitzen Fremden gegenüber, nah beieinander. Dies soll eben ein europäisches Lokal sein. Das tägliche Brot ist 100 Prozent organic, für fünf Dollar bekommt man einen Korb voller Walnussbrot, Körnerbrot, dunklem Brot, Baguette. Es gibt Bioschinken, Bioobst. Zwei Models sitzen nebeneinander. Ihre Arme sind so grazil wie die Beine frisch geborener Giraffenbabys.

Ein New Yorker sonnt sich im Washington Square Park. Bild: dpa

Wie alle anderen Gäste telefonieren sie, lesen Mails, sie warten auf eine Freundin, sie bestellen schon. Man muss hinsehen. So eine glatte Haut, große Augen, schöne Lippen. Sie sprechen Englisch mit unterschiedlichem Akzent, Italienisch und Tschechisch vielleicht. Sie sind sehr jung. Der Kellner bringt Platten von Brotscheiben, belegt mit Schinken, Salat, Käse, sie stellen alles vor sich hin, das dritte Mädchen kommt. Auch sie eine Giraffe, im Stehen, lange Gliedmaßen, feines Gesicht.

Alle drei zupfen mit ihren Fingern an den Broten herum. Greifen hiervon etwas, davon etwas. Essen Wurstbrote wie Bauernmädchen. Sie haben einen ganz europäisch tüchtigen Appetit. Sie werden sich doch danach nichts antun.

Buddha-Bar

Samstagnacht im Meatpacking District. Sommerabend. Alle Straßen voll, Autos dicht an dicht. Schwarz gekleidete Menschen dazwischen, auf den löchrigen Bürgersteigen, beim Schlangestehen an den Clubs, den Restaurants. B&T-Volk. Das sagen die aus Manhattan, die am Samstagabend zu Hause bleiben. B&T, Bridge and Tunnel, jene, die das Nachtleben erst nach einer Fahrt über eine Brücke oder durch einen Tunnel erreichen, die aus New Jersey oder gar Staten Island in den Meatpacking District kommen, am Samstagabend. Kurz vor Mitternacht, nicht früh, nicht spät.

An den Türstehern der Buddha-Bar kommt nur vorbei, wer einen Tisch reserviert hat. Marco hat reserviert. Der Tisch ist ein größerer Hocker, auf dem stehen Karaffen mit Tomatensaft, Orangensaft und Wasser, ziemlich viele Gläser. Eine Tischreservierung bedeutet: gut tausend Dollar für zwei Flaschen Champagner und eine Flasche Wodka. Zwei Mädchen in kurzen Röcken bringen die Flaschen, mit Wunderkerzen und einem Lachen, als wäre dies ein besonderer Moment. Unbeschreiblich laute Musik. Gold-rot strahlt eine zwei Stockwerk hohe Buddha-Statue.

Um die kleinen Tische stolpern andere, überall Beine, alles voll. Alles voll. Eng. Marco und seine argentinische Frau haben Besuch aus der Schweiz. Zwei junge Frauen, sie sind heute angekommen. Sie tragen Jeans und Blusen und sind schon über dreißig Jahre alt.

Kaum jemand hier ist so alt. Die anderen Mädchen tragen weniger Stoff, edle Fetzen. Die Schweizerinnen blicken stoisch, weggebeamt vom Jetlag und vom Lärm. Sie sind aus Sils und cool. Stehen da, nippen am Champagner, zum Reden lässt das Getöse keinen Raum. Stehen da, schauen.

Gott in der U-Bahn

Auf der Holzbank in der U-Bahn-Station. Drei beleibte weiße Frauen, Popelinejacken, beige Hosen, ihr Tonfall klingt nicht, als wären sie aus New York. Bible-Belt. Die in der Mitte spricht nun. "Jetzt sind wir in New York. Der Lord brachte uns nach New York. Wohin wird er uns als nächstes führen?" Sie redet, als spräche sie vor der Gemeinde. Als müssten die anderen nach jedem Satz ein Halleluja skandieren. Was sie nicht tun.

"Ein hartes Jahr war das damals. Die Mutter starb, die Großmuter starb, eine Tante starb, der Bruder starb fast. Genauer gesagt: Der Bruder war schon tot, aber er kam zurück. Er lag in der Klinik, Ärzte um ihn, dann sah er ein Licht, das helle Licht, und er wusste sofort, das ist Jesus. Und es war so schön.

Aber er wusste doch, wie schlecht es uns ging. So sagte er zu Jesus: Listen, meine kleine Schwester ist noch in der Highschool, die andere arbeitet, ich muss mich doch um Vater kümmern. Lass mich zurück. Und da ließ Jesus ihn wieder gehen. Und die Ärzte hatten schon gerufen: Wir haben ihn verloren!" Die beiden anderen Frauen nicken. Andere Zuhörer zucken zusammen ob der blasphemischen Inbesitznahme.

Grundrauschen

Hotelzimmer in der 55. Straße. Späte Nacht. Der Verkehr auf den Straßen verebbt nie ganz. Es bleibt laut in der Stadt, ohne dass einzelne Geräusche zuzuordnen wären. Es brodelt. Ein Grundrauschen.

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