Schanzenfest am Wochenende: Entspannte Feierstimmung
Der Bezirk Altona duldet die nicht kommerzielle Feier mit Flohmarkt. Die Polizei weist ein Gefahrengebiet aus und bereitet sich mit 2.500 Beamten auf die ritualisierte Randale vor.
Das Karo- und Schanzenviertel, St. Pauli sowie Teile von Altona und Eimsbüttel sind von der Polizei für die Nacht von Samstag auf Sonntag zum "Gefahrengebiet" erklärt worden. Es gilt nach dem Ende des traditionellen Schanzenfestes um 23 Uhr bis fünf Uhr morgens.
Damit wird erneut ein polizeiliches Ausnahmerecht angewendet, obwohl gegen diesen umstrittenen Passus im "Polizeigesetz zur Datenverarbeitung" eine Klage beim Verwaltungsgericht anhängig ist. Einen polizeilichen Belagerungszustand wie am frühen Vorabend des 1. Mai, wo ab 19 Uhr fast 1.300 Personen kontrolliert wurden, wird es wohl nicht geben. "Das Fest ist ja total friedlich, das will ja niemand beeinträchtigen", sagt Polizeisprecherin Karina Sadowski.
Nur für den Fall, dass es im Anschluss nach Abbau der Bühne aber wieder die "Feuerchen" gebe und "Randale" ausbreche, wolle die Polizei dieses Mittel zur Hand haben, sagt Sadowski. Dann stehen auch 2.500 Polizisten parat.
In Gefahrengebieten kann die Polizei verdachtsunabhängig Personen überprüfen und mitgeführte Sachen kontrollieren, Platzverweise erteilen und Aufenthaltsverbote aussprechen oder Personen in Gewahrsam nehmen. Dabei gehen die Polizisten vor allem nach Outfit und Alter vor.
Im Visier sind Personen, die "nach äußerem Erscheinungsbild dem linken Spektrum" zuzurechnen sind oder Personen zwischen 16 und 35 Jahren, wenn sie als Gruppe zu erkennen sind oder einen Migrationshintergrund haben. Dabei wird oft die Frage nach der konkreten Gefahr, die Grundlage für den Grundrechtseingriff sein sollte, gar nicht mehr gestellt.
Obwohl das Schanzenfest unter dem Motto "Gefahrengebiet? Mietenwahnsinn!" offiziell nicht angemeldet ist, hat das Bezirksamt Altona angekündet, das Fest und den Flohmarkt wie in den Vorjahren zu dulden. Hauptthema des nicht kommerziellen Festes sind steigende Mieten und Leerstand. "Die Umwandlung nimmt im Schanzenviertel ebenso zu wie der Leerstand und die Luxussanierung sowie die Verdrängung und Vertreibung", heißt es im Aufruf.
Aber auch die polizeiliche Repression wird Thema sein. "Zwei bis drei Male im Jahr wird das Schanzenviertel zum Gefahrengebiet erklärt", kritisieren die Organisatoren. "Der Begriff besitzt für uns eine Surrealität, die wir auf dem Schanzenfest aufgreifen und darstellen wollen".
Unterdessen sind an vielen Orten Plakate geklebt worden, die einer "polizeilichen Bekanntmachung" zum Gefahrengebiet verblüffend ähnlich sehen und polizeiliches Handeln karikieren. "Bei Beschwerden vor Ort, Widerworten, Widerstand und Nachfragen nach Dienstnummern sind unsere Einsatzkräfte angewiesen, rigoros vorzugehen", heißt es im Text. "Wenn Sie in Gewahrsam genommen werden, haben Sie das Anrecht auf ein richterliche Überprüfung nach Paragraph 13 SOG (Sicherheits- und Ordnungsgesetz d. Red.). Aus zeitlichen Gründen wird diese jedoch nicht durchgeführt", so der Wortlaut.
Oder: "Nach Paragraph 13 SOG können Sie unverzüglich eine Vertrauensperson benachrichtigen. Leider hat sich das in der polizeilichen Praxis nicht bewährt." Und weiter: "Im Zweifelsfall kann die Freiheitsentziehung bis zu zwei Wochen dauern. Bitte tragen sie ausreichenden Vorrat an Medikamenten und Hygieneartikeln bei sich".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau