Schärfere Klimaziele für die Wirtschaft: In Brüssel ja, in Berlin nein
Für die EU fordert Deutschland nach langem Zögern jetzt „Klimaneutralität“ bis 2050. Auf nationaler Ebene vertagt die Koalition das Thema.
Nach langem Zögern hatte am Wochenende auch die deutsche Bundesregierung signalisiert, dass sie das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 unterstützt. Vorausgegangen war ein wochenlanger Streit mit Frankreich und den Benelux-Staaten. Sie hatten schon vor der Europawahl Ende Mai mehr Ehrgeiz gefordert.
Doch erst nach der Wahl und dem Erfolgen der Grünen signalisierte Berlin ein Umdenken. Trotz Vorbehalten aus dem Wirtschafts- und dem Verkehrsministerium unterstützte der deutsche Botschafter in Brüssel ausdrücklich die Forderung, das Jahr 2050 als Ziel für eine klimaneutrale EU in den Textentwürfen für die Abschlusserklärung des EU-Rats am Donnerstag und der Strategischen Agenda der EU zu benennen („fair transition to a climate-neutral EU by 2050“).
Bisher verfolgt die EU das Ziel, die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Klimaneutralität würde deutlich darüber hinausgehen: Treibhausgase müssten weitestgehend vermieden werden; jene Emissionen aus Landwirtschaft und Industrie, die unvermeidbar sind, müssten durch CO2-Bindung in Wäldern und Böden oder durch technische Speicherung von CO2 kompensiert werden.
Es ist mehr Geld gefragt
CAN-Direktor Trio zeigte sich zufrieden. „Die Klimakampagnen und die ‚Fridays for Future‘-Bewegung haben die Europawahl beeinflusst“, stellte er fest. Neben den Grünen hatten sich auch Sozialdemokraten und Liberale für eine ehrgeizigere Klimapolitik ausgesprochen. Nur die Konservativen um den deutschen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) zögern noch. „Er ist nicht voll an Bord“, kritisierte Trio.
Doch auch das könnte sich noch rechtzeitig vor dem EU-Gipfel ändern. Im Europaparlament arbeiten Sozialdemokraten, Liberale und Grüne zusammen mit Webers Europäischer Volkspartei an einer Art Koalitionsvereinbarung. Der Klimaschutz soll dabei ganz weit oben stehen. Und da Weber das Amt des EU-Kommissionschefs anstrebt, steht er nun ebenfalls unter Druck, sich in Sachen Klimaschutz zu bewegen.
Allerdings ist noch offen, wie konkret das Bekenntnis des Parlaments und des EU-Gipfels ausfällt. Er erwarte keine detaillierte Festlegung, so Trio. Dabei sei jetzt schon klar, dass die Klimaneutralität nicht ohne zusätzliche Anstrengungen zu erreichen wäre. Vor allem Landwirtschaft, Gewerbe und Verkehrssektor müssten sich mehr als bisher anstrengen. Auch sei mehr Geld gefragt.
Die Regierung vertagt das Thema
Nach einer Darstellung des WWF sperren sich nur noch Bulgarien, Polen und Tschechien gegen das neue Klimaziel. Sie könnten versuchen, ihre Zustimmung mit Entlastungen an anderer Stelle oder EU-Hilfen zu erkaufen.
Immerhin ist der Widerstand bisher noch so stark, dass es noch nicht möglich war, das Jahr 2050 in den Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen aufzunehmen. Der Wortlaut könne noch „angepasst“ werden, „um die Diskussion des Gipfels zum Klimawandel widerzuspiegeln“, heißt es in einer Fußnote.
Auf nationaler Ebene gab es in Berlin derweil keine Fortschritte beim Klimaschutz: Der Koalitionsgipfel am Sonntag vertagte das Thema und erklärte lediglich, das im September ein Gesamtpaket vorgelegt werden solle.
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