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Schachweltmeisterschaft der FrauenMeisterin außer Konkurrenz

Die Schachweltmeisterin Anna Uschenina ist nur die zweitbeste Spielerin der Welt. Die Beste spielt schon seit Jahren nur noch gegen Männer.

Ein Gegner, kein Opfer: Judit Polgar konzentriert sich gegen Viswanathan Anand. Bild: imago/Alfred Harder

BADEN-BADEN taz | Leichte Aufgaben? Die scheut Judit Polgar definitiv. Die Ungarin wäre ansonsten zur Frauen-WM ins russische Chanty-Mansijsk gefahren und hätte dort 60.000 Dollar eingesteckt. So darf sich jetzt die Ukrainerin Anna Uschenina mit dem Weltmeistertitel schmücken. Polgar bereitete sich lieber auf das Turnier in London mit den besten männlichen Großmeistern vor.

Der 37-Jährigen sind Frauen am Brett einfach zu langweilig. Bereits als Zwölfjährige übernahm sie die Führung der Frauen-Weltrangliste, die sie bis heute anführt. Während Polgar schon unter lauter Männern in den Top Ten der Gesamtweltrangliste rangierte und mit der die Spielstärke bezeichnenden Elo-Zahl von 2.705 derzeit die Nummer 41 ist, liegt die neue Weltmeisterin mit 2.452 Elo da nur auf Platz 1.292! Demnach würde Polgar Uschenina in einem Match über zehn Partien wohl mit mindestens 8:2 schlagen.

Es ist lange her, dass sich Polgar mit Frauen gemessen hat. Mit ihren Schwestern Susan und Sofia holte sie als 12- und 14-Jährige für Ungarn Gold bei der Schach-Olympiade. Ihr Vater und Privatlehrer Laszlo, der seine Mädchen nicht zur Schule schickte, hatte damit bewiesen, dass „Genies machbar“ sind. Der umstrittene und bewunderte Pädagoge wählte Schach als Experimentierfeld nur, weil es dank der Elo-Zahlen – anders als in der Mathematik – messbare Leistungen bietet.

Judit, die Jüngste der Familie, profitierte von den Erfahrungen ihrer Schwestern. Bereits mit 13 stand das Mädchen in den Top 100 der Welt und brach im Alter von 15 Jahren und vier Monaten den legendären Weltrekord von Bobby Fischer als jüngster Großmeister aller Zeiten – nachzulesen in ihrem soeben auf Englisch erschienen Buch „How I Beat Fischer’s Record“ (Quality Chess, 384 Seiten, 24,99 Euro). Weitere Werke, „Vom Großmeister in die Top Ten“ und das doppeldeutige „Ein Spiel der Damen“, sollen folgen.

Gedanken über ihre Sonderrolle machte sich die Angriffsspielerin mit dem attraktiven Stil kaum: „Für mich war es ab dem fünften Lebensjahr normal, dauernd gegen erwachsene Männer zu spielen“, erzählt sie. Chauvi-Sprüche von anderen Großmeistern perlen an ihr ab. Befinden Männer, sie sei die Ausnahme, die die Regel bestätige, widerspricht Polgar: „Ja, bis jetzt bin ich einzigartig, aber das ändert sich in den nächsten Dekaden! Frauenschach wird stärker, viele junge Mädchen, vor allem in China und Indien, spielen Schach“, argumentiert Polgar und fördert mit einem Programm selbst die Entwicklung.

Mutter oder Meisterin?

Den eigenen Traum vom WM-Titel – dem der Männer – hat sie mittlerweile abgehakt. Beim WM-Turnier 2005 musste sie früh alle Hoffnungen begraben und weiß, dass eine zweifache Mutter zwar ein „reiches Leben“ führen kann, aber nicht mehr genügend Zeit für permanente Eröffnungsvorbereitung aufbringt. Weltmeister Viswanathan Anand kann ein Lied davon singen – seit er Vater wurde, reißt er nicht mehr viel.

Beim Treffen der absoluten Spitze in London haben den beiden Ausnahmekönnern andere den Rang abgelaufen. Polgar remisierte nur eine ihrer drei Partien, der 42-jährige Inder musste sich mit drei Friedensschlüssen bescheiden. Ganz anders der neue Superstar Magnus Carlsen. Der Norweger wandelt in den Spuren großer Vorbilder: Mit 13 Jahren und drei Monaten Großmeister, Weltranglistenerster mit 20 – und nun sorgte das Ausnahmetalent für einen weiteren Meilenstein.

Nach drei Siegen und einem Remis gegen seinen russischen Verfolger Wladimir Kramnik (8 Punkte aus vier Partien) liegt Carlsen im Olympic Conference Center mit 10 Zählern in Front. Damit steigerte der 22-Jährige seine aktuelle Elo-Zahl auf 2.857 und wird den besten je erreichten Wert des in die russische Politik abgewanderten Garri Kasparow in der Januar-Weltrangliste um 6 Punkte übertreffen.

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9 Kommentare

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  • M
    mir
  • A
    anke

    Erstaunlich! Wie kann ein "Pädagoge", der die eigenen Kinder als "Experimentierfeld" benutzt, "umstritten" sein, ja sogar "bewundert" werden? Dieser Mann hat das Leben dreier Kinder an einer Wertungszahl ausrichtet! Er hat sie dem eigenen Ehrgeiz so gnadenlos unterworfen, dass sie nie eine echte Chance auf ein eigenes Leben hatten! Natascha Kampus wollte wenigstens noch fliehen. Eine Schach-Göttin, die mit 15 auf dem Gipfel der Macht steht, will nicht einmal mehr das.

     

    Wenn man mich fragt, gehört Vater Polgar vermöbelt, nicht bejubelt. Aber wenn die "Zielprämie" hoch genug ist, scheint so gut wie alles erlaubt zu sein. Dass ein "gemachtes Genie" womöglich todunglücklich ist, sobald die Scheinwerfer ausgehen, scheint nicht einem der Kommentatoren in den Sinn zu kommen. (Was wisst ihr eigentlich über Bobby Fischer, Leute?) Und dass jedes "geglücktes" Experiment dieser Art ein paar tausend missglückte Geschwister hat – was soll’s? Hartmut Metz jedenfalls scheint berauscht vom Erfolg. So sehr, dass er ganz vergisst, was Journalismus ist und was Hofberichterstattung.

     

    Das weibliche Gegenstück zum rein männlichen Genius hieß übrigens Juno und galt als Göttin der Geburt, der Ehe und Fürsorge. Wenn wir schon zu den alten Römern zurückkehren, dann doch bitte richtig!

  • N
    Normalo

    @Micha

     

    Es ist wie auf vielen Gebieten (sogar Kochen):

    Dass die Besten der Besten eines Faches überwiegend Männer sind, heißt genau nicht, dass Männer generell besser darin sind. Sie besetzen nur eher die Extreme. Das hat meist mehr mit dem investierten Einsatz als mit angeborenen Fähigkeiten zu tun. Das Klischee "Männer machen Alles ganz, ganz genau" (vor allem mit dem Zusatz "oder eben gar nicht") hat schon in Teilen seine Berechtigung.

     

    carla hingegen in ihrem Kommentar weiter unten beschreibt sehr anschaulich eine - mutmaßlich bei Frauen stärker verbreitete - Mentalität, die mit der Konzentration auf Inselbegabungen und Topleistungen nicht im geringsten kompatibel ist. Alle Menschen, die das genau so sehen, kommen als Schach-Großmeister, Spitzenköche, Weltkonzernlenker etc. mangels entsprechender Motivation schon mal nicht in Frage, egal wie "gut" sie möglicherweise sind.

  • O
    ole

    Obwohl der Mittelwert der Intelligenzquotienten von Frauen und Männern gleich ist, zeigen die Intelligenzwerte der Männer eine breitere Streuung. Dies bedeutet, dass es bei Männern sowohl mehr Hochbegabte als auch mehr Fälle mit besonders geringem IQ gibt

     

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Hochbegabung

  • N
    Nemo

    Der Grund für die Probleme, die Kommentare Nummer 1 und 3 ansprechen, sind so dämliche Kommentare wie Nummer 2.

  • M
    Micha

    Will die taz uns mit diesem Artikel sagen, dass Männer besser Schach spielen als Frauen?

    Warum ist das so?

  • N
    Normalo

    Wie? Soll das heißen dass es unter den Top 100 im Schach nur EINE Frau gibt??

     

    Das ist völlig inakzeptabel und muss sofort per ordre mufti geändert werden. Frau Reding, übernehmen Sie.

  • C
    carla

    Eine Frau, die das Schachspiel der Frauen boykottiert.

    Und so ein enormer Ernst wegen dieses Spiels.

    Anna Uschenina sollte sich Zeit für

    die Vielfalt an Bildung, Kultur und Natur nehmen

    und das Leben in seiner Vielfalt genießen.

    Sie hat auch nur dieses eine Leben.

    Ob Sie nicht selbst auch die Frauen unterschätzt.

    Statistiken sollten eigentlich bei einem

    Endspiel egal sein.

    Denn Prognosen basierend auf Statistiken treffen hinreichend häufig nicht zu.

    Warum sollte frau es ablehnen zu gewinnen und

    sich selbst für ihre jahrelange Arbeit zu belohnen?

    Diese junge Frau sollte ihre weibliche Seite

    wiederentdecken und etwas mehr Sport treiben!

  • J
    Jörn

    Warum beim Schach nach Geschlechtern getrennt wird, ist mir nicht verständlich. Dies würde doch bedeuten, dass Frauen intellektuell den Männern unterlegen wären?

    Dies erscheint wie eine Quotenregelung eigener Art (Neben einem Schachweltmeister muss es auch eine Schachweltmeisterin gegeben - egal wo die auf der Weltrangliste steht).

    Die wirklich guten Frauen meiden dieses Quotensystem und begeben sich in den nicht geschlechterdiskriminierenden quotenfreien Wettkampf. Es ist schön aber auch symptomatisch dass es möglich ist, dass Frauen in den Männerkategorien starten. Schliesslich ist men only verpönt während women only als politisch korrekt gilt.