Schachprofi Sergej Karjakin: Wunderkind von der Krim
Er ist nur die Nummer acht der Welt, aber der Russe Sergej Karjakin darf Magnus Carlsen herausfordern – nach einem unerwarteten Erfolg.
Wunderkinder sorgen immer wieder für Aufsehen im königlichen Spiel: Magnus Carlsen wurde im Alter von 13 Jahren und drei Monaten Schachgroßmeister. Damit unterbot er den Rekord der US-Legende Bobby Fischer, eine Marke, die Experten einst für die Ewigkeit gemacht schien, um zwei Lenze.
Aber da gibt es ja noch den 1990 geborenen Sergej Karjakin: Mit zwölf Jahren und sieben Monaten ist er jüngster Großmeister aller Zeiten. Am Ostermontag qualifizierte sich der Russe für das Finale der Schachweltmeisterschaft im November in New York. Titelverteidiger in dem Millionen-Dollar-Match ist Magnus Carlsen.
Der Weg der beiden Wunderkinder verlief recht unterschiedlich. Die Entwicklung des Norwegers ging steil und kontinuierlich nach oben. Im Jahr 2011 übernahm Carlsen Platz eins der Weltrangliste und setzte sich seitdem mit großem Abstand von der Konkurrenz ab. Im Jahr 2013 entthronte er den Inder Viswanathan Anand als Weltmeister. Demnächst erscheint ein Film über den Jungen aus Lommedalen, der schon als Pennäler bemerkte: „Ich bin ganz anders als meine Klassenkameraden!“
Karjakin verbesserte sich zwar auch kontinuierlich, aber weniger rasant. Obendrein schwankte er in seinen Leistungen. Im Jahr 2011 kletterte er auf Platz vier der Weltrangliste, doch seitdem gab es mehr Rück- als Fortschritte. Er schwankte zwischen Rang fünf und zuletzt Platz 13.
Mit fünf Jahren das Spiel gelernt
Beim WM-Kandidatenturnier im alten Telegrafenamt in Moskau hatte ihn daher keiner auf der Rechnung. Dabei versprach die Bilderbuchkarriere Großes: Mit fünf Jahren erlernte der in Simferopol geborene Sergej bereits die Grundzüge des Spiels. Sein ukrainischer Landsmann Ruslan Ponomarjow sorgte 2002 für Erstaunen, als er einen Zwölfjährigen (!) in sein Sekundanten-Team für die Weltmeisterschaft berief. Mit 14 wurde Karjakin bereits mit der ukrainischen Nationalmannschaft Sieger bei der Schacholympiade, die einer Weltmeisterschaft in anderen Sportarten entspricht. Die Turnierveranstalter rund um den Globus rissen sich um das Wunderkind.
Im Jahr 2009 sorgte der Junge von der Krim für Aufsehen, als er die Föderation wechselte: Offiziell wurde verlautet, er sehe keine Entwicklungsmöglichkeiten in der Ukraine und habe sich als Krimbewohner ohnehin stets als Russe gefühlt. Inoffiziell hieß es, der mächtige russische Schachverband habe das Talent finanziell geködert. Vor vier Jahren wurde Karjakin Schnellschach-Weltmeister und im Jahr 2015 Weltpokalsieger.
In Moskau tippten die Experten beim Kandidatenturnier am ehesten auf Fabiano Caruana als Carlsen-Herausforderer. Der 23-jährige Italo-Amerikaner war auch kurz vor seinem 15. Geburtstag Großmeister geworden und nun ausgerechnet Karjakins letzter Gegner in der 14. Runde. Ein Remis hätte Karjakin zum Turniersieg vor dem bis dahin punktgleichen Caruana gereicht, weil die Drittwertung mit drei Siegen gegenüber nur zwei für den Russen gesprochen hätte.
Trotz der Ausgangslage agierte Karjakin ebenso forsch wie sein Gegner. „Als ich das Turmopfer im 34. Zug brachte, war ich mir sicher, dass ich gewinne“, sagte der 26-Jährige. „Ich habe die Berechnung des Turmopfers zu früh abgebrochen“, geißelte sich dagegen Caruana. Acht Züge später musste er aufgeben. „Ich bin natürlich jetzt der glücklichste Mensch auf Erden. Es war ein großartiges Turnier für mich“, sagte Karjakin.
Mit 8,5 Punkten triumphierte der nächste WM-Herausforderer geradezu. Caruana und Exweltmeister Anand folgten mit 7,5 Zählern vor einem Pulk mit ausgeglichener 7:7-Bilanz: Remiskönig Anish Giri – der 21-jährige Niederländer schloss peinlicherweise alle 14 Partien friedlich ab –, Peter Swidler (Russland), Lewon Aronjan (Armenien) und Hikaru Nakamura (USA). Als Prügelknabe fungierte Wesselin Topalow (4,5). Der Exweltmeister aus Bulgarien kassierte fünf Niederlagen. „Ich habe mich nicht gewissenhaft genug vorbereitet“, sagte der 41-Jährige.
Die Partie gegen den Weltmeister scheint für Karjakin derzeit noch weit weg. „Ich schaue nach vorne, aber erst will ich den Sieg feiern“, sagte er nach dem Triumph in Moskau. Allzu ausschweifend dürfte die Party kaum ausgefallen sein. Auf die Frage, was er nun mit dem Preisgeld des Kandidatenturniers von rund 100.000 Euro machen würde, antwortete er: „Ich gebe es meiner Frau, sie weiß schon, was damit zu tun ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour