: Satt und verkalkt
■ betr.: "Cannabis - eine Alltagsdroge", taz vom 18.3.92 und "Lübecker Cannabisrichter unter Polizeischutz gestellt", taz vom 19.3.92
betr.: „Cannabis — eine Alltagsdroge“, taz vom 18.3.92 und „Lübecker Cannabisrichter unter Polizeischutz gestellt“, taz vom 19.3.92
Das Politiker wegen des Lübecker Drogenurteil so aufgeheult haben, hat seinen Grund nicht in der Furcht, der Suff könnte nun verboten werden. Das Bundesverfassungsgericht wird kein weltfremdes Urteil fällen. Auch sind die ablehnenden Reaktionen nicht unbedingt ein Zeichen von Heuchelei. Angst quält die Herrschaften. Angst vor Bedeutungs- und Machtverlust. Und diese Angst bestimmt für viele Politikbereiche die Aussagen.
Denn ob Drogenpolitik, die Verkehrs-, Energie- oder Migrationspolitik, um ein paar Beispiele zu nennen, immer geht es schnell mit stupiden Argumenten ums Grundsätzliche. Sind es ja auch Themen, die in der Öffentlichkeit große Beachtung finden, und die seit Jahren, teilweise schon Jahrzehnten, diskutiert werden, ohne das durchgreifende Lösungen auch nur angestrebt werden konnten. Die Politik dreht sich im Kreis, die Argumentation auf niederem Niveau auch.
Doch eben darin liegt das Problem. Die etablierte politische Kaste in Bonn und in den anderen Provinzen hat sich hoffnungslos in Sackgassen hineingeredet. Jahrelang wurden monströse Wolkenkuckucksheime aufgebaut, die für viele Menschen inzwischen als Orientierung dienen.
Glauben die Politiker doch, sich mit diesen Wolkenkuckucksheimen als Personen profiliert zu haben, die zu „klaren Aussagen“ fähig sind. „Freie Fahrt für freie Bürger“ in der Verkehrspolitik, „Wir sind kein Einwanderungsland“ in der Migrationspolitik und in der Drogenpolitik das Dogma „Kiffer sind kriminell“.
Nun aber plötzlich aus besserer Einsicht neue Wege gehen, ja genau das Gegenteil durchzusetzen, was bislang propagiert wurde? Unmöglich. Niemals. Denn das kann diese Kaste nicht (mehr).
Das schwächste Glied bestimmt die Haltbarkeit einer Kette; in der Politik bestimmen die dümmsten Argumente, die in der Öffentlichkeit ankommen, das Niveau der politischen Auseinandersetzung. Damit aber auch — über die Jahre gesehen — die Kompetenz, Probleme zu lösen. Nun sind die Menschen „draußen im Land“ gar nicht einmal so dumm, wie sie von den Parteizentralen eingeschätzt werden. Die Leute sehen, daß die „da oben“ nichts mehr zu stande bringen. Und das führt zunehmend zu unkalkulierbaren Konsequenzen.
Vor Jahren wurde geklagt, die Polizei müsse (bei Demonstrationen) die Fehler und Unterlassungen der Politiker ausbügeln. Auch wurde festgestellt (und das Lübecker Urteil, wie auch das „130-km/h“ Urteil bestätigt dies), daß zunehmend die Judikative gezwungen wird, politische Entscheidungen zu fällen, obwohl das eigentlich zur Aufgabe der Gesetzgebende Gewalt gehört. Die Leute fragen also „Wozu sind Politiker noch gut?“ Verdrossenheit und Resignation macht sich breit. Einerseits suchen viele Menschen nach Leuten, die ihnen endlich die Wolkenkuckucksheime realisieren und landen konsequent bei den Rechtsextremisten. Und die anderen ziehen sich ins Private zurück.
Unverhofft findet sich also die politische Kaste in einem ihre Existenz bedrohenden Spagat. Sie wissen, das sie kaum eine andere Wahl haben, als an den Phrasen festzuhalten, in der Hoffnung, der „Rechtstrend“ ließe sich so aufhalten. Denn in die andere Richtung gehen können sie nicht. Da fehlt ihnen außer dem Mut auch die intellektuelle Fähigkeit. Sie sind einfach satt und verkalkt. Sie wissen genau, würden sie diese Richtung einschlagen, sich damit auch ganz schnell die Frage nach den besseren und geeigneteren Leuten stellen würde. Klaus Dieter Schley, Wallenhorst
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