Satirepreis für Helge Schneider: Anarchische Kunstfertigkeit
Mit dem Göttinger Elch wurde dieses Jahr Helge Schneider ausgezeichnet. Und Schamoni hielt die Laudatio - kurz, anarchisch, gewohnt lustig und trotz der Kürze überbordend.
Er kennt sie alle. Städte wie Detmold, Erlangen, Gütersloh, Hanau oder Görlitz. Er hat sie alle schon gesehen und bespielt, hat in kleinen und mit der Zeit immer größer und besser werdenden Hotels genächtigt, ist mit dem Taxi zum Etablissement gefahren worden und musste anschließend oft genug mit den Honoratioren dieser kleinen Großstädte und großen Kleinstädte, wie es sie in Deutschland unnütz oft gibt, tafeln und trinken. Jetzt war er mal wieder in Göttingen. Dort bekam er, Helge Schneider, Komiker, Musiker, Schauspieler, Krimiautor, Tausendsassa, den sogenannten Göttinger Elch verliehen. Was ein Preis ist. Und sogar ein besonderer, denn er kann sich als "einziger Satirepreis" Deutschlands bezeichnen.
Es passt zu einer Stadt wie Göttingen, die eine bemerkenswerte Geschichte und eine eher trostlose Gegenwart hat, dass ausgerechnet hier ein solcher Preis verliehen wird. Die stadtgewordene Mittelmäßigkeit braucht etwas, das sie von den anderen mittelmäßigen Städten hervorhebt; neben der Geschichte (Mittelalter, Universität, Lichtenberg) eben ein Preis. Und so eine Stadt braucht Humor. Gut also, wenn sich beides verbinden lässt.
Der Göttinger Elch ist ein guter Preis. Er besteht aus der Summe von 3.333 Euro, einem Orden in Elchform und 99 Suppendosen. Er wurde in diesem Jahr zum 12. Mal vergeben und pendelt zwischen Prominenz und ehrbarer Komikschule, oft genug mit festem Halt im südwestlicheren Frankfurt. Chlodwig Poth hat ihn bekommen, F. W. Bernstein und Robert Gernhardt, aber auch Emil Steinberger, Otto Waalkes und jetzt Helge Schneider. Eine Nervtröte wie Mario Barth bekommt ihn vermutlich und hoffentlich nie.
Was am Preisverleihungsabend im schönen Deutschen Theater Göttingen auffiel, ist erstens die Familiarität, die diesen merkwürdigen Preis, diesen Elchen umgibt. Die ehemaligen Preisträger waren fast in Gänze erschienen, inklusive Ehefrauen und Kindern; die obligatorischen Bürgermeisterreden und Sponsorensalbadereien wurden so ins Programm gebaut, dass sich trotz leichten Spotts niemand unwohl fühlen musste, weder vor den Rednern und Gratulanten noch vor den Belobigten oder dem Publikum. Nichts wirkte aufgesetzt, nichts angestrengt.
Helge Schneider hat Rocko Schamoni geladen, die Laudatio zu halten. Und Schamoni hielt sie - kurz, anarchisch, gewohnt lustig und trotz der Kürze überbordend. Er erinnerte an die Anfänge, gab eine Anekdote aus dem Hamburger Pudel Club zum Besten, als Helges erste Platte auf kleinem Label erschien (1989), und sagte Punk, wo Helge Schneider Jazz sagen würde. Wobei sich Punk und Jazz wohl in keinem anderen Künstler so nahe kommen wie bei Schneider.
Was aber als Zweites auffiel, beschaute man sich die Riege der Preisträger: Mit der rüstigen Karikaturistin Marie Marcks (2002) findet sich eine einzige Frau auf der Liste. Gibt es wirklich keine deutschen Satirikerinnen, steckt der deutsche Humor so fest in Männerhand? Ist da nichts jenseits von Anke Engelke und den Misfits? Es scheint so. Schon zur Neuen Frankfurter Schule gingen ja nur höchst wenig Frauen.
Aber egal. Provinz her, Frauenfrage hin, das gediegene Publikum bekam einen launigen Abend geboten, wofür nach Schamoni besonders die Vorjahrspreisträger, die Biermösl Blosn, sorgten. Nach zwei kleinen Stücken inklusive der üblichen Stadtbeschimpfung brachten sie mit urbajuwarischen Mitteln, also Tuba, Akkordeon, dazu Trompete, die Coverversion eines Mozartstücks dar. Die kleinen Gags, die sie in die Intonation einbauten, waren sogar relativ unnötig - Mozart als Volksmusik, das war nicht nur komisch genug, sondern auch hohe Kunst. Sie hauchten dem arm verstorbenen Wiener nämlich tatsächlich wieder Leben ein.
Nach Zeremonie und Pause kam dann der Meister selbst auf die Bühne. Helge Schneiders Kunst besteht in der Mixtur aus Improvisation (Jazz), hoher Kunstfertigkeit (dito) und totaler Anarchie (Punk), was er in einer knappen halben Stunde vorführte. Er spielte einen kleinen Ausschnitt aus seinem letzten Programm, klimperte auf dem Klavier, kam vom Hölzken zum Stöcksken, blödelte dann einfach drauflos, dadate ein wenig, gab sich subversiv, gab sich so subversiv, dass er es selbst kaum merkte, gab sich dann wieder kumpelhaft und launig, führte die Mechanik gewisser einfacher Gags vor und spielte abschließend das Lied vom Meisenmann, der nicht genügend Würmer bekommt, dafür aber einer Turbine ausweicht, das Kind und Kegel, Bürgermeister, den angereisten Stadtjournalisten und das gesamte Publikum für ihn einnehmen musste.
Die Maschen des Manns aus Mülheim/Ruhr sind seit zwei Jahrzehnten bekannt, und tatsächlich scheint er manchmal altersmilde, manchmal eine Spur zu routiniert. Was wie großartig hinimprovisiert wirkt, ist oft genug gut einstudiert, auch das konnte man sehen an diesem Abend. Und trotzdem bleibt Helge Schneider, so viel wurde in dieser verregneten Göttinger Nacht klar, ein herausragender, seinesgleichen vergeblich suchender, tja, äh, Humoriker. Ob er es im Sinne Lichtenbergs, des großen Göttinger Spötters des 18. Jahrhunderts, ob er es im Sinne der Satirekunst der Frankfurter Titanic-Kreise ist, bleibt dahingestellt. Ist tatsächlich auch vollkommen egal. Soll er die 99 Suppendosen mal auslöffeln.
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