: Satan kauft bei Edeka
Heavy Metal hören und böse sein bildet ungemein: Wüsste man sonst, dass 6,66 Euro nichts als Gefahr bedeuten?
„Macht 6,66“, sagt die Kassiererin zu mir, „müssen sie mir einen ausgeben jetzt – das ist übrigens schon das zweite Mal hintereinander!“, deutet sie, ohne sich umzudrehen, mit einer Salatgurke lässig über ihre Schulter hinweg auf den Kunden vor mir. Der nickt bestätigend und lächelt scheu. Er sieht sich unversehens im Mittelpunkt und fühlt sich dementsprechend unwohl in seiner Haut. Ich mich auch – ich weiß schließlich, was 666 bedeutet: Das ist „the number of the beast“, „die Nummer von dem Tier“ – das weiß ich von „Iron Maiden“.
Heavy Metal bildet ja ungemein: Früher habe ich das gerne gehört, als ich noch ganz hart und böse war. Den ganzen Tag bloß böse sein und Bier trinken, das war’s. Und wenn ich in den Spiegel blickte, erschrak ich fast zu Tode – also guckte ich nicht mehr in den Spiegel, jahrelang nicht, obwohl ich durch die langen Haare sowieso nichts gesehen hätte.
Auf diese Weise wurde ich immer böser und härter. Ich wurde innen und außen so hart, dass es härter nicht mehr ging. Bis ich eines Tages ein einschneidendes Erlebnis an einer Bushaltestelle hatte, in dem eine Packung Spaghetti, ein struppiger, kleiner Hund sowie der heranbrausende 104er die entscheidenden Rollen spielten. Das machte meine Seele wieder so weich und geschmeidig, wie sie heute ist. Ich räumte die Krachmusik ganz nach hinten, kaufte grünen Tee und pisste fortan nur noch im Liegen, doch die Nummer von dem Tier behielt ich vorsichtshalber – man kann ja nie wissen, ob man nicht mal höllischen Beistand benötigt.
„Das ist doch irgendwas Satanisches“, kläre ich die Verkäuferin auf. „Ja“, deutet sie freudig erregt auf ihren Kopf, „gucken Sie mal, wie mir hier gleich kleine Hörnchen aus ’m Kopf wachsen! Na, jetzt ham Se aber Angst, wa?“ – „Nein, ich hab keine Angst“, antworte ich zögerlich, aber durchaus gewitzt – seit diesem Improtheater-Schnupperkurs neulich bin ich extrem spontan und schlagfertig geworden.
Auch meine Aufmerksamkeit hat sich geschärft. So ist mir fast, als veralbere sie mich – sie scheint sich des Ernsts der Lage nicht im Geringsten bewusst zu sein. Dabei war es doch ihre Registrierkasse, aus der die Nummer von dem Tier gekrochen kam. Und es ist bestimmt kein Zufall, dass das Ganze ausgerechnet hier bei Edeka passiert. Wenn man von Edeka den letzten Buchstaben um eine Position nach vorne rückt und die anderen vier Buchstaben behutsam ersetzt, dann ergibt das: Satan!
Mich schaudert. Ich will nur noch raus hier aus dieser Einkaufshölle, nichts wie raus! Ich zähle ihr 6 Euro 66 genau auf die Hand. Es ist wie verhext – wieso habe ich das Geld plötzlich passend? Die Sache wird immer gespenstischer, und die Kassiererin hat offenbar noch immer nichts bemerkt. Ja, muss hier denn erst ein grunzendes Monster seinen mit drei Kisten rauchendem Schwefel bepackten Einkaufswagen an ihr vorbeischieben, bis sie endlich begreift, in welcher Gefahr wir sind? Oder ist sie selbst gar ein Sukkubus, der mit dem Fürsten der Finsternis buchstäblich unter einer Decke steckt? Nein, das kann nicht sein: Die haben hier jetzt sogar am Samstag noch bis 18 Uhr auf – da bleibt dem Personal nun wirklich keine Zeit für aufwändige Nebenbeschäftigungen.
„Danke“, sagt sie, „schön’ Feierabend – wollen Sie Ihre Quittung?“ Erst will ich sie nicht, doch dann stecke ich sie, nur um einen Beweis in der Hand zu haben, in mein Portemonnaie hinter das Foto von dem struppigen Hündchen. Friedlich sieht er aus, wie er zusammengerollt auf der Seite liegt, so als würde er schlafen, der kleine Höllenhund.
ULI HANNEMANN