piwik no script img

Sarkozys Europa-AmbitionenNapoleon steht vor Brüssel

Im deutsch-französischen Verhältnis kriselt es - so sehr, dass ein Treffen von Sarkozy und Merkel abgesagt wurde. Grund dafür: Sarkozy versucht die EU nach seinem Gusto zu gestalten.

Weiss, wo er lang will: Monsieur le Téléprésident. Bild: rtr

BRÜSSEL taz Glaubt man den Meinungsforschern, dann träumen die Franzosen inzwischen schon von der Ära nach Sarkozy. Die Europäer hingegen haben den umtriebigen Theaterdonnerer noch vor sich, denn Frankreich übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Was ihre Haltung zu Europa angeht, sind die Franzosen aber mit ihrem Präsidenten einig. Laut einer aktuellen Umfrage sind 61 Prozent von ihnen überzeugt, die französische EU-Präsidentschaft werde Frankreichs Einfluss in Europa stärken. Diese "egozentrische Vision von Europa" habe unter Sarkozy stark zugenommen, hat Stéphane Rozès vom Meinungsforschungsinstitut CSA beobachtet.

DER ELYSEE-VERTRAG

Der Élysée-Vertrag wurde vor 45 Jahren von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterzeichnet. In ihm wurden Konsultationen zwischen beiden Ländern verabredet. Trotz gelegentlicher Kälteperioden wurde die Zusammenarbeit enger. 1987 verabredeten Helmut Kohl und François Mitterrand, einen gemeinsamen Verteidigungs- sowie einen Wirtschaftsrat zu gründen.

Seit 2001 finden alle zwei, drei Monate Spitzentreffen ohne feste Tagesordnung statt. Sie werden nach dem Ort der ersten Begegnung zwischen Jacques Chirac und Gerhard Schröder Blaesheim-Treffen genannt. Auch Merkel und Sarkozy trafen sich zunächst regelmäßig, zuletzt im Dezember in Paris.

Das für heute geplante Treffen in Straubing hat Sarkozy abgesagt. Offiziell aus Termingründen wegen seiner Afrikareise, Beobachter meinen aber, dass er sich über Merkels Widerstand gegen die Mittelmeerunion ärgert.

Napoleon vor den Toren Brüssels - schon der Spitzname, den die Zeitungen Sarkozy gegeben haben, zeigt, dass sich die europäischen Partner auf ein Semester der großen Worte einstellen müssen. In den wenigen Monaten seiner Amtszeit hat der "Téléprésident", wie ihn die Franzosen nennen, dafür einige eindrucksvolle Beispiele geliefert. Als Retter des neuen EU-Vertrags will er in die Geschichtsbücher eingehen. Eigener Darstellung zufolge soll er - und nicht Angela Merkel - den polnischen Kaczinsky-Brüdern die Zustimmung zu Europas neuem Grundgesetz abgeschmeichelt haben.

Das EU-Ideal des diskreten Maklers, der hinter den Kulissen Kompromisse möglich macht und die Interessen des eigenen Landes dabei in den Hintergrund treten lässt, sieht anders aus. Sind die Brüsseler Auguren seufzend an diesem Erkenntnispunkt angekommen, ist der Vergleich mit Angela Merkel meist nicht mehr fern. Der Kontrast könnte ja auch größer nicht sein. Die Pariser Tageszeitung Libération beschwor das Bild der wetterfest gekleideten Merkel beim Dünenwandern und des gebräunten Sarkozy auf der Unternehmerjacht, um festzustellen: "Während ihrer Ferien werden sich die beiden wohl kaum über den Weg laufen."

Die zeitweise als mächtigste Politikerin der Welt titulierte deutsche Kanzlerin brachte das deutsche Präsidentschaftshalbjahr ihrer Art entsprechend über die Bühne: unaufgeregt, pragmatisch und kompromissfähig bis zur Selbstaufgabe. Angesprochen auf Sarkozys anmaßende Art, ihre Erfolge für sich zu reklamieren, pflegt sie milde zu lächeln und die Achseln zu zucken. Nicht einmal, als Sarkozys damalige Frau Cécilia mit großem Fernsehaufgebot die bulgarischen Geiseln aus Libyen abholte, war ihr oder Außenminister Steinmeier (SPD), der die diplomatische Vorarbeit geleistet hatte, ein böses Wort Richtung Paris zu entlocken.

Getreu der Methode Merkel

Mit der Methode Merkel wurden fast alle Ziele erreicht, die sich die deutsche Präsidentschaft gesteckt hatte: Die "Berliner Erklärung" blieb zwar inhaltlich im Ungewissen, schwor aber alle EU-Staaten auf Reformen ein, die bis 2009 abgeschlossen sein sollen. Drei Monate später gelang es Merkel auch, das Verhandlungsmandat für diese Reformen so eng zu fassen, dass der nachfolgenden Ratspräsidentschaft der Portugiesen ein neuer Grundsatzstreit erspart blieb. Die Kanzlerin schaffte es zur Überraschung vieler Beobachter sogar, auf dem Klimagipfel im vergangenen März die EU auf feste Quoten für erneuerbare Energien und CO2-Einsparung zu verpflichten.

Vom deutsch-französischen Motor, ohne den in der EU angeblich gar nichts geht, hörte man damals nicht viel. Merkel stützte sich lieber auf die kleinen EU-Mitglieder, um jeden Verdacht von Großmachtallüren zu vermeiden. Den handküssenden Chirac behandelte sie als das, was er zu dem Zeitpunkt auch war: ein ältliches, abgenutztes Auslaufmodell.

Nur das Kosovo "vererbte" Deutschland den portugiesischen Nachfolgern. Auch die bissen sich daran die Zähne aus, und aktuell darf sich Slowenien mit dem Problem herumschlagen. Es ist eines der kleinsten EU-Länder, erst vor knapp vier Jahren dem Club beigetreten und entsprechend zurückhaltend in der ungewohnten Rolle der Ratspräsidentschaft.

Armes Slowenien

Das slowenische Halbjahr bietet also den idealen Hintergrund, vor dem sich die Franzosen schon mal warmlaufen können. Ausgerechnet an dem Tag, an dem Brüsseler Journalisten auf der traditionellen Vorstellungsrunde durch Ljubljanas Ministerien tourten und etwas Platz in ihren Zeitungen gebraucht hätten, um das slowenische Programm vorzustellen, skizzierte Sarkozy persönlich einigen großen europäischen Tageszeitung seine Pläne fürs französische Halbjahr. An dessen Ende werde Europa "eine Immigrationspolitik, eine Verteidigungspolitik, eine Energiepolitik und eine Umweltpolitik" haben, tönte er. Mit anderen Worten: Sämtliche Vorgänger, die Deutschen eingeschlossen, waren eben unfähig, große Ziele zu formulieren und sie auch zu erreichen. Als der slowenische Premier Janez Jansa einige Tage später dem Europaparlament die Pläne seines Landes vortrug, konnte er sich eine kleine Retourkutsche nicht verkneifen: "Die slowenische Präsidentschaft wird ganz sicher nicht so großartig sein wie die französische, aber sie wird sich auf die Inhalte konzentrieren."

Diese Inhalte wurden in enger Absprache mit Deutschland und Portugal festgelegt. Die Deutschen dürfen sich also stets mit abgewatscht fühlen, wenn die slowenische Arbeit geschmäht wird. Denn Berlin erstellte gemeinsam mit Portugal und Slowenien ein Programm für 18 Monate, die so genannte Trio-Präsidentschaft. Sie soll im Vorgriff auf den neuen EU-Vertrag, der "Regierungszeiten" von jeweils zweieinhalb Jahren vorsieht, für mehr Kontinuität bei der Ratsregie sorgen.

Auch Frankreich gehört einem Trio an - zusammen mit seinen beiden Nachfolgern Tschechien und Schweden. Absprachen mit diesen Winzlingen scheinen Paris aber nicht zu interessieren. Schließlich sind, wenn Sarkozy mit der EU fertig ist, ohnehin alle wichtigen Projekte so gut wie erledigt. Deshalb ist es wesentlich ertragreicher, den Slowenen ein bisschen in ihre Amtszeit hineinzuregieren. Da trifft es sich gut, dass das kleine Land sich außerhalb der EU auf 110 französische Botschaften in Ländern stützen muss, in denen es selbst keine diplomatische Vertretung unterhalten kann. Gute Rahmenbedingungen für Sarkozy, um seine weniger öffentlichkeitswirksamen Pläne diskret im Hintergrund voranzutreiben. Die Abschaffung der lästigen Fangquoten für bedrohte Fischarten zum Beispiel. Oder die Inthronisation des im Reformvertrag neu eingeführten EU-Präsidenten.

Tony Blair verhindern

Sarkozy wird alles daran setzen, diesen neuen Posten unter seiner Regie zu besetzen und sich so einen Verbündeten im europäischen Machtapparat zu sichern - mögen dessen Aufgaben auch überschaubar sein. Nur zweimal im Jahr wird der künftige Präsident der EU europäische Gipfeltreffen nach Brüssel einberufen. Zudem darf er nicht in der Politik eines Mitgliedslandes aktiv sein - was die Gedankenspiele in Richtung von Großbritanniens Expremier Tony Blair lenkte. Auch Sarkozy schien diese Idee zu gefallen.

Doch nun hat er seinen Europaminister mit einer exakten Jobbeschreibung vorgeschickt: Drei Eigenschaften verlangt Jean-Pierre Jouyet vom neuen Mister Europe: Führungsqualitäten und Charisma, dazu intime Kenntnis der europäischen Sensibilitäten und des europäischen Machtgefüges - beides könnte man mit gutem Willen Tony Blair noch zutrauen. Doch das dritte Kriterium wirft ihn aus dem Rennen: Der EU-Präsident müsse aus der "Kernzone europäischer Solidarität" kommen, also "der Eurozone und der Schengenzone". Denen gehört Großbritannien bekanntlich nicht an.

Gegen die Macht der EZB

Tatsächlich ist die Aufwertung der Eurozone eines der vorrangigen Ziele Frankreichs. Schon mehrfach hat Sarkozy mit dieser Forderung seine europäischen Kollegen irritiert. Die Regierungschefs der Euroländer sollen demnach ohne die anderen EU-Mitglieder zusammenkommen, um wirtschaftspolitischen Führungswillen zu zeigen und den Einfluss der Europäischen Zentralbank (EZB) zurückzudrängen. Denn sie begreift sich als Hüterin einer stabilen Währung und stört Sarkozy beim Schuldenmachen.

Angela Merkel hat dem Plan bereits eine kühle Absage erteilt: "Ich denke, die Eurogruppe funktioniert sehr gut. Wenn wir zu viele Strukturen und Ausschüsse schaffen, kann das leicht zu einer Spaltung führen", erklärte sie. Auch Sarkozys Lieblingsprojekt, die erweiterte Mittelmeerunion aus südlichen EU-Ländern, der Türkei und nordafrikanischen Mittelmeeranrainern, lehnt Merkel ab - aus ähnlichen Gründen. Es würden Parallelstrukturen zur EU geschaffen, die die Union schwächen oder gar spalten könnten.

Die Differenzen zwischen den beiden sind inzwischen so tiefgreifend, dass die für heute angesetzten deutsch-französischen Konsultationen um drei Monate verschoben wurden. Bedenkt man, dass sie normalerweise alle sechs bis acht Wochen stattfinden, klingt das nach heftigem Krach. Dafür wollen Merkel und Sarkozy heute Abend bei der Eröffnung der Cebit in Hannover kurz über die Mittelmeerunion reden. Doch Napoleon wird sich wohl nicht von seiner Idee abbringen lassen, bei einem Gipfeltreffen am Vorabend des Nationalfeiertags am 13. Juli in Paris das Projekt aus der Taufe zu heben. Das verspricht glanzvolle Bilder. Vielleicht sogar eine kleine Erholung der miserablen Umfragewerte von Monsieur le Téléprésident.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!