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SanssouciVorschlag

■ „Maitresse“ von Barbet Schroeder im Eiszeit

„Basic Instinct“, „Bitter Moon“ und und und – das Kommerzkino der 90er hat den Reiz der harten Welle entdeckt. Freilich geht's da weniger um An- als um Spannungsmache. Was meist eine dümmliche Denunziation aller Liebesspiele fern züchtiger Zeugungspraktiken hausbackener Norm bewirkt. Die Vermarktung von Sexualität im Mainstream hat sich aufs Schrille verlegt. Mit Gewinn an Freizügigkeit hat das jedoch nichts zu tun. Prüderie ist Trumpf.

Das war schon mal anders. In den 70er Jahren wurde der muffigen Mama-Papa-Verlogenheit energisch Valet gesagt – mit einer Offenheit in der Darstellung körperlicher Lust, die derzeit undenkbar erscheint. Stiefel, Striemen, Schwänze: Barbet Schroeders „Maitresse“ aus dem Jahre 1975 von Rohmer und Jacques Rivette zeigt ungehemmt, was Sache ist. In geradezu sachlich anmutender Offenheit werden die Fetische und Rituale des SM vorgeführt. Die vor diesem Hintergrund ablaufende Love-Story zwischen der Berufsherrin Ariane (Bulle Ogier) und dem Nichtsnutz Olivier (Gérard Depardieu) versucht Schroeder trotz des Motivs vom Rollentausch erst gar nicht als psychologisierenden Kommentar aufzubauen. Ironie prägt den Ton, läßt auch puren Spaß zu. Erlaubt ist, was gefällt. Schockmomente inbegriffen.

Schroeder steigt mit einer überraschend unbekümmerten Lust am Fabulieren in die Abgründe menschlicher Leidenschaften, sein Thema schlechthin. Nur daß inzwischen die Unbekümmertheit von Effekthascherei verdrängt wurde. „Maitresse“, mit Sicherheit kein Meilenstein der Filmhistorie, ist also nicht allein aussagekräftig als Zeugnis eines neuen Geschlechterbildes in Folge des 68er Aufbruchs. Schroeders Sadomaso-Studie belegt insbesondere den Fall des Autor-Regisseurs in die triefende Durchschnittlichkeit des sogenannten Publikumsfilms.

Die rauhe Wirklichkeit ist einem verklaususierten Kunstgewerbe gewichen. Ob in „Reversal of Fortune“ (Die Affaire der Sunny von B., 1990) oder „Single White Female“ (Weiblich, ledig, jung sucht... , 1992): Barbet Schroeder erzählt immer wieder Geschichten von erotischen Abhängigkeiten. Offenbar vermeintlichem Geschmack entsprechend, nicht mehr bereit, das Risiko des Aufschreckens einzugehen, erwächst thrill nun aber ausschließlich aus Versatzstücken der Vulgärseelenklempnerei. Die Peitsche wurde durch die Psychiatercouch ersetzt. Das ist natürlich bequemer – doch auch viel langweiliger. Peter Claus

Bis 4.8. jeweils 21.30, OmU, Eiszeit-Kino

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