Sanssouci: Nachschlag
■ „Höllennacht“ im Tacheles
Das „Recycling Akt Theater“ (RAT) hat ein Dutzend abendlicher Großdichter von Rimbaud bis Dante recycelt und die dunkelsten Verse mit seltsamsten Kalauern zu einem grellen Spektakel inklusive einer Heavy-Metal-Band und merkwürdigen Großmaschinen auf der Bühne montiert: Underground meets Hochkultur, wobei diesmal eindeutig die exzentrische Fraktion der Unterwelt den Sieg davonträgt.
Als Prolog trägt Mex Schlüpfer aus der Bühnenöffnung eines kleinen Puppentheaters heraus den Monolog des Theaterdirektors aus dem „Vorspiel auf dem Theater“ im „Faust“ vor, als wäre der Text nicht von Herrn Goethe, sondern von Herrn Blixa Bargeld: mit bösem Charme und einer Stimme zwischen heiserem Krächzen und gediegener Dämonie. Das Puppentheater verschwindet, und Lemuren aus einem Science-fiction-Film bevölkern die Bühne: Am Anfang war der Unsinn“, und der wird bis zum Ende durchgehalten, eine Dada-Revue der neunziger Jahre. Die Schauspieler sind, abgesehen von Mex Schlüpfer – unübersehbar der Kopf der Truppe –, vor allem eines: mutig. Sie können nicht besonders gut spielen, aber das stört bei diesem schrägen Hochseilakt keinen Augenblick: Avanti dilettanti! Um die Kalauer, die Schlüpfer nicht ausgehen, würde ihn Castorf beneiden: „Besen, Besen, sei's gewesen, trage mich zum nächsten Tresen“, heißt die Beschwörungsformel für den Ritt auf den Blocksberg. Zwischen die Kriegsgesänge urbaner Aboriginals, Schamanen aus der Kanalisation, ist eine Travestie der Werbespotwelt montiert: kein besonders neuer Einfall (wie man überhaupt gerne auf Klassiker zurückgreift), aber einer, der hier zu schönen Ausfällen führt: „Verwenden Sie ,Sperm light‘, macht schwanger, aber nicht dick.“ Oder: „Wenn Sie bei Ihrer nächsten Reinkarnation in etwa 3.000 Jahren noch jung und frisch aussehen wollen, verwenden Sie Re-i aus der Tube. Geht's hinunter in die Grube, denk an Re-i aus der Tube.“ Höhö. Die besseren Sprachspiele taumeln irgendwo zwischen Ernst Jandl und de Sade.
Ein anderer Klassiker, den man eigentlich schon gründlich satt hatte, wird ebenso eigenwillig ausgeschlachtet: das gute alte „Spiel mit dem Publikum“, eine Gedenkminute für die siebziger Jahre. Aber diesmal werden die Zuschauer nicht für eine bessere Welt „ins Spiel einbezogen“, es genügt, daß die Abgesandten der Hölle ihnen kleine Präsente überreichen, etwa eine professionell verpackte Dosis Koks mit dem cool geflüsterten Hinweis: „Wenn du dich hier langweilst, versuch's doch mal damit. Ich kann dir auch noch mehr besorgen.“
Beim anschließenden Test in der Kneipe stellten wir dann enttäuscht fest, daß es nur Mehl war und wir uns einmal mehr an die Spirituosen halten müssen, um den Abend runterzuspülen. Das Schöne an dieser Kneipe war übrigens, daß wir dort Christof Marthaler und seinen Schauspielern dabei zusehen konnten, wie auch sie sich betranken, um sich von ihrer Premiere in der Volksbühne zu erholen. Peter Laudenbach
Bis 31.1. täglich außer Mo und Di um 21 Uhr im Tacheles.
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