Sanssouci: Vorschlag
■ In der Sprache der Opfer: Eine Ausstellung im Literaturhaus
Immer wieder haben sich Germanisten gefragt, wie viele deutsche Literaturen es denn eigentlich gebe: west- und ostdeutsche, österreichische und schweizerische etc. Eine verdienstvolle Ausstellung im Literaturhaus Fasanenstraße macht auf eine Literatur aufmerksam, deren Protagonisten fast alle tot, deren Publikationen in alle Winde zerstreut und deren Entstehungsorte zum Niemandsland geworden sind: Literatur aus Czernowitz, Bukowina. Das vor dem Krieg von Rumänen, Ukrainern, Juden und Deutschen bewohnte Gebiet ist in der Weltliteratur zu einer Chiffre für den Verlust von Heimat, für Angst und Tod, aber auch für insistierende Erinnerung geworden: Die Namen von Paul Celan oder Rose Ausländer sprechen für sich.
Aber wer kennt heute noch Alfred Margul-Sperber, Paul Antschel oder Alfred Kittner? Und doch standen sie alle in Kontakt miteinander; die Ausstellung zeigt Fotos, Originalmanuskripte, Briefe und Gedichtbände einer Autorengeneration, die dem Wort vertraute, im Wort lebte und weiterlebt – obwohl oder gerade deshalb, weil es in einer Sprache geschrieben ist, die zur Sprache der Massenmörder wurde. Dienstag abend las Edgar Hilsenrath aus seinem Roman „Nacht“, einer Darstellung des Bukowiner Ghettos Moghilev-Podolsk, in dem Tausende deportierter Juden an Hunger und Typhus starben oder erschossen wurden. Liest man die romantischen Gedichte in Heinescher Tradition, die in der Fasanenstraße unter Glas ausliegen, und hört dann Hilsenraths ruhige Stimme, die das Unvorstellbare erzählt, wird einem nochmals der unvergleichbare Zivilisationsbruch, jenes Abgleiten in die Barbarei deutlich. Hilsenrath schreibt ohne Pathos, weigert sich, dem Grauenvollen im nachhinein noch einen Sinn zuzusprechen: Es bleibt verlorenes Leben, gestohlene Würde, sichtbar bleibend im Gedächtnis der Opfer. Auch Edgar Hilsenrath macht sich auf die Suche nach Verlorenem, doch das zu Findende wird nichts Harmonisches, nichts Ganzes mehr sein, es wird das Blut der Gemordeten sein und die aus Menstruationsbinden hergestellten Fußlappen der Überlebenden. Hier wird der Terror nicht für poetische Feinschmecker zubereitet, hier ist er unterkühlt und präzis beschrieben – und geht dennoch weit über das rein Dokumentarische hinaus. Prousts Combray, Joyce' Dublin, Johnsons Mecklenburg und Marquez' Macondo – die Bücher derer, die der Bukowina einen festen Platz in der Weltliteratur sicherten, sind dem hinzuzufügen. Sie stehen stellvertretend für all die, denen man in den Lagern, Deportationszügen und Gaskammern ihre Stimme und das Leben nahm. Marko Martin
Die Ausstellung „In der Sprache der Mörder – eine Literatur aus Czernowitz, Bukowina“ ist noch bis zum 12. April im Literaturhaus in der Fasanenstraße 23, Charlottenburg, zu sehen.
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