Sanssouci: Wirklich kein Vorschlag
■ Die Harlem Gospel Singers
Der Gospel als solcher ist ja eine wunderbare Sache: ernst und leidenschaftlich, innig und ergreifend, temperamentvoll und unmittelbar, musikalisch wertvoll und historisch bemerkenswert. Aufgrund letzteren Umstandes – und der Stimmqualitäten, die dieses Genre erfordert – ist die Gruppe der Ausführenden äußerst begrenzt, und man kommt selten in den Genuß eines Gospelkonzerts. Das wird auch heute abend nicht so sein, deshalb sei vor dem Auftritt der Harlem Gospel Singers hier eindringlich gewarnt. Denn erstens beschränkt sich das eigentliche Gospelkonzert auf circa 10 Minuten. Nach den ersten (keineswegs ausgespielten, sondern eiligst und unvollständig abgefertigten) reinen Songs werfen die Harlem Singers ihre roten Überhänge ab und entpuppen sich als dem Discogenre entsprungene Gestalten, die in Glitzerkostümchen hilflose Fuß- und Handbewegungen machen, um dem Musikpop in die Gänge zu helfen. Weil zweitens ein wahrhaft entsetzliches Arrangement aus Synthesizer und Schlagzeug den noch verbliebenen Gospelmotiven jegliche Würde austreibt, befindet man sich schon nach einer Viertelstunde in einem Konzert, das man nur um den Preis der völligen Ertaubung ein zweites Mal besuchen könnte. Drittens schließlich nimmt im Laufe des Abends eine Moderation überhand, der – eine wiederum einzigartige und insofern gelungene – Synthese gelingt zwischen Udo Jürgens am Timmendorfer Strand und Malcom X. im Central Park. Das unschuldige Publikum wird unaufhörlich angeschrien, zum Mitsingen animiert, zum Schunkeln aufgefordert und so seiner historischen Funktion beraubt: Wer zum Hören kam, kann gleich zu Hause bleiben. Insgesamt ist man erleichtert, daß am Ausgang niemand steht, der einem die Beitrittserklärung zur Baptistenkirche aufnötigt. Und man lernt zu schätzen, was uns alle zwar selten, aber selbst dann oft unbemerkt umgibt: absolute Ruhe. Elke Schmitter
Heute und morgen, 20 Uhr, Apostel-Paulus-Kirche, Grunewald-/Ecke Akazienstraße, Schöneberg.
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