piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Nahaufnahmen vom Rand Europas: „As An Eilean“ im fsk

In Carraig heißt die Disco noch Tanzsaal. Das winzige Dorf liegt auf einer Insel am nördlichen Rand Europas, und seine Bewohner sprechen ein stolzes Gälisch. Fast als wollten sie der Differenz zur Urbanität von Glasgow oder Edinburgh noch ein bißchen mehr Nachdruck verleihen. Die Abgeschiedenheit bewahrt die Leute von Carraig natürlich nicht davor, sich den Brüchen zwischen dem miefigen Traditionalismus von Familie oder Kirche und Ausbruchswünschen und -angeboten stellen zu müssen. Carraig reibt sich wie jede Community an seinen Außenseitern, eigentlich ganz normalen Leuten, die jedoch mit ihren individuellen Projektionen von – immer irritierender – Sehnsucht das dörfliche Gleichgewicht stören. Callum zum Beispiel ist in Kirsty verknallt, haut mit dem Motorrad ab und will am Ende gar „Poet“ werden. Die Krankenschwester Janet (endlich mal eine Schönheit mit Konfektionsgröße 44) steht kurz vor der Hochzeit mit einem schottischen Texaner, und entdeckt plötzlich ihre Gefühle für den pensionierten Schuldirektor McAllister. Als mit der Rückkehr ihres Verlobten die „neue Welt“, der amerikanische Traum, auch noch gegenständlich mit Westernjacke und Countrymusik ins verschlafene Carraig einbricht, bröckeln gleich zwei Konventionen: moderne und althergebrachte.

„As an Eilean“ von Mike Alexander ist sicher kein spektakulärer Film geworden, aber ein kluger, schöner Blueprint, eine Nahaufnahme dieser „Klippen der Erfahrung“. Die Kamera hält's damit, daß in der Ruhe die Kraft liegt, und nimmt sich Zeit für verhaltene Bilder, die das Lebenstempo auf der Insel spieFoto: Verleih

geln. Bräunlich-blaue Landschaften, Küsten, bei deren majestätischem Anblick es einen fröstelt, fast schon Standbilder, wechseln mit der Intimität von Wohnstuben und Großaufnahmen von herb-schönen Gesichtern. Die Verwirrung der Glückssucher äußert sich mal im Zucken eines Mundwinkels, ihr Stimmungsumschwung leise im melancholischen Verfall der Mimik. Das „Licht der Moral“, selbst das „intellektuelle Licht“ decken sich selten mit der Weisheit von Empfindungen. Mike Alexander ist ganz langsam an dieser Nahtstelle zwischen Rebellion und Resignation, Emotion und Reflexion entlanggefahren. In seiner Lesart sind es, bloß gut, keine Antonyme. Wenn dem Regisseur etwas gelungen ist, dann die Übersetzung jenes Aufruhrs, der unter der Stille auf seine Zeit wartet, in Bilder. Hier stürzt das Leben auf einen herab wie ein leiser Landregen. Anke Westphal

„As An Eilean. From the Island“, GB 1993, R.: Mike Alexander, OmU, 100 Min., ab heute im FSK, Wiener Straße 20, Kreuzberg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen