Sanssouci: Vorschlag
■ Der Philosoph Slavoj Zizek in der Staatsbibliothek / Nachschlag * "L'Opera seria" - die Staatsoper im Hebbel Theater
Früher hätte man ihn vielleicht einen Gelehrten genannt, einen, der sich überall gleichermaßen gut auskennt und zu allem was zu sagen hat. Heute würde man ihn wohl eher als einen postmodernen Tausendsassa bezeichnen, der unbekümmert durch die Geistesgeschichte schlendert und dabei alles aufliest, was ihm an Denkwürdigem in die Hände gerät. Die Rede ist von Slavoj Žižek, Philosoph und Psychoanalytiker aus Ljubljana, unverwüstlicher Schüler Lacans, dessen psychoanalytisch gespeiste Auslassungen zu Hitchcock Ende der 80er Jahre zumindest in Filmkreisen für Aufregung sorgten.
Seine Arbeiten lassen sich als eine furiose Art intellektuellen Jonglierens beschreiben, seine Streifzüge durch die zeitgenössische Kultur als eine wilde Assemblage aus Theorie und Assoziation. Ein Gedanke zu Ridley Scotts „Blade Runner“ wird mit einer Stelle aus Sophokles' „Antigone“ belegt, Schwarzenegger von Lacan her interpretiert und Hitchcock mit Hegel. Alles scheint hier möglich, vor keiner noch so steilen Verknüpfung macht Žižek halt, und die Rechnung, die Žižeks Querfeldeinlektüre aufmacht, geht fast immer auf. Tatsächlich nimmt man ihm ab, daß man Kafkas „Landarzt“ erst dann wirklich versteht, wenn man ihn mit Wagners „Parsifal“ in Verbindung bringt, und daß Lynchs Filme prä- rafaelitisch sind.
Der Vortrag, den Žižek heute abend im Rahmen der Festwochen-Reihe „Kontexte zur neuen Musik“ halten wird, knüpft unmittelbar an seine bisherigen Arbeiten zu Hitchcock und Lynch an, der Abend steht unter dem Motto „Vom Hören mit den Augen und Sehen mit den Ohren“ und es ist genau diese Entkopplung (die Franzosen nennen das vornehmer „décalage“) des Blicks von seinem Träger, der Stimme von ihrem Körper, die Žižek für das gespenstische Funktionieren des Films verantwortlich macht. Die gespenstische Qualität einer autonomen Stimme, die weder Teil der Filmhandlung noch einfach filmmusikalische Begleitung ist, sondern körperlos in die Szene eingreift und dadurch gleichsam den Status des Realen bekommt, ist jedem spätestens seit Hitchcocks „Psycho“ schauerlich bekannt.
Gewiß aus kontrapunktischen Erwägungen haben die Veranstalter diesem intellektuellen Abenteurer den soliden Musikwissenschaftler Jürg Stenzl aus Freiburg (Schweiz) an die Seite gestellt, so daß die von dem FU-Soziologen Dietmar Kamper moderierte Diskussion nicht nur spekulative Ausflüge in die Filmgeschichte verspricht, sondern auch auf musikalischen Boden kommt. Denn wie Heinz Holligers Musik gehört und verstanden werden kann, das läßt sich mit Hitchcock nicht erklären. Oder vielleicht doch? Andrea Kern
Slavoj Žižek und Jürg Stenzl diskutieren heute um 18 Uhr im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek, Potsdamer Straße 33, Tiergarten
Nachschlag„L'Opera seria“ – die Staatsoper im Hebbel Theater
Heute würde es keinem Opernkomponisten auch nur im Traum einfallen, sich über die ach so teure und deswegen auch so gefährdete Gattung lustig zu machen. Noch im 18.Jahrhundert war man gelassener: Pergolesi, Haydn, Galuppi, Albinoni und viele andere schrieben spöttisch-beißende Opernparodien, in denen sie sich und ihre Zunft selbstkritisch aufs Korn nahmen und dem zahlenden Publikum einen Blick hinter die Kulissen gestatteten. Daß die Staatsoper Unter den Linden, wie viele andere Theater in finanzieller Bedrängnis, sich und dem Publikum den Spaß gönnte, eine Opernparodie von Florian Leopold Gassmann (Nachfolger Glucks am Wiener Hof) aufzuführen, ist vor allem René Jacobs zu verdanken, der Spürsinn für Entlegenes hat und ein Spezialist in Sachen „Historische Aufführungspraxis“ ist. Er läßt das Concerto Köln die sich in ironischen Anspielungen und immer neuen Einfällen überstürzende Musik Gassmanns vier Stunden lang lustvoll spielen.
Die turbulente Handlung von Raniero di Calzabigi hat Jean- Louis Martinoty inszeniert. Es treten auf: ein Prachtexemplar von dummem Tenor, drei Musterausgaben eitler Primadonnen samt ihrer travestitischen Mütter (die von den drei urkomischen Countertenören Curtis Rayam, Dominique Visse und Palf Popken hinreißend karikiert werden), ein Impresario namens Fallitio (Pleitemacher), ein Librettist Delirio und schließlich ein sentimentaler Kapellmeister. Im ersten Akt überschlagen sich Intrigen, Eitelkeiten, Amouren, Capricen und Rivalitäten. Im zweiten feiern Konventionen, Klischees und Unsinnigkeiten der Oper Triumphe. Im dritten Akt gerät die Aufführung einer Opera seria zum explosiven Fiasko. Am Ende brennt auch noch der Theaterdirektor mit der Kasse durch. Die Katastrophe wird nur dank des beherzten Eingreifes der Mütter „en travestie“ verhindert. Die Oper macht's möglich. Die Realität sieht anders aus! Der anwesende Intendant der Staatsopernkonkurrenz aus der Bismarckstraße schien denn auch kaum zum Lachen aufgelegt. Das Hebbel-Theater-Publikum amüsierte sich indessen wie Bolle! Dieter David Scholz
Weitere Vorstellungen heute, am 16. und 18.9., 20.00 Uhr, Hebbel Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.
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