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■ „Körpertexte“ – Jan Faktor liest in der Fabrik Osloer Straße

„Wenn die großen Themen fehlen, beschreibt man die eigenen Schuhe“, hat Jan Faktor einmal über die Literatur geschrieben, die in den 80er Jahren am Prenzlauer Berg entstanden ist. Faktor, der selbst Teil der „Szene“ war, hat dennoch keine distanzlose Sicht auf die Zeit: „Es fehlte auf die Dauer die Reibung mit den Außenstehenden, es fehlten offene Auseinandersetzungen. Zum guten Gefühl reichte nicht das Bewußtsein, daß man nicht publizierte, daß man sich in einer Art Opposition befand. Die Zeiten sind vorbei.“ Was bleibt, sind die Dichter (die auch nicht alle zu Spitzeln geworden sind). Wolfgang Hilbig etwa mit der kaum verschlüsselten Szene-Beschreibung in seinem Roman „Ich“, Adolf Endler in seinen Sudelblättern „Tarzan am Prenzlauer Berg“, oder Jan Faktor, Jahrgang 1951, in den 70er Jahren von Prag nach Ost-Berlin gekommen, Programmierer, und lange Zeit schon als Schriftsteller tätig. Mit seinen „Körpertexten“ hat er letztes Jahr den Kranichsteiner Literaturpreis gewonnen. In fünf Abteilungen variiert Faktor das Thema Krankheit. Auf eine hypochondrische Selbstbeschreibung folgt der Blick von außen auf den „häßlichen rumpf mit den baumelnden fangarmen, kurzen, häßlichen, runzligen fingern, fetten haaren, kurzen beinen.“

Krankheit wird jedoch nicht nur als das genußvolle Leiden an sich selbst, sondern als Urmuster menschlicher Beziehungen vorgestellt. Wie von einem Wettkampf berichtet Faktor in „20 Runden“ vom symbiotisch-krankhaften Verhältnis des Kindes zur Mutter, vom „gemeinsamen Schlechtergehen“, vom Versuch des Kindes, sich durch „Eitereien im Mittelohr“ Mitgefühl zu sichern und den Gegenreaktionen der Mutter: „Depressionen und chronische Durchfälle“. Das Muster einer Beziehung, die auf Krankheit gründet, holt den in der Kindheit Gezeichneten jedoch in den Nachfragen eines Verwandten ein, der sich in „drei Telefongesprächsfragmenten“ nach dem Befinden der Familie erkundigt. Nachdem die Frage, wer wann woran erkrankt war oder ist, ausführlich diskutiert wurde, beginnt das dritte Telefonat mit der beiläufigen Frage: „Na, alles gesund?“ Im letzten Text mutmaßt der Autor, wie es aussähe, wenn sich die Kranken ihrer Gebrechen nicht mehr schämen würden: „Hilferufe wären etwas ganz Normales/ auf sie würde man bald mit ,Halt die Ohren steif‘ und ,Tschüßchen‘ antworten.“ Zum trostreichen Ende landet der Kranke dort, wo er begonnen hat: im Schoß einer Beziehung, der Wurzel alles Guten und alles Bösen. Peter Walther

Heute, 20.30 Uhr, Fabrik Osloer Straße 12, das Buch ist bei Janus-Press Berlin erschienen, 32 Seiten, 8 Mark.

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