Sanssouci: Vorschlag
■ Erinnerung an den Tanzenden Tod
„Der Tod zum Mädchen:/ Tochter, jetzt ist da die Stund',/ Erbleichen wird dein roter Mund,/ Dein Leib, dein Haar, Gesicht und Brüst'/ Muß alles werden fauler Mist“ – so, oder anders, bilde ich mir ein, höre ich es flüstern, beim Gang durch Diana Obinjas Ausstellung „Macabre“, die den Totentanz, la danse macabre, zum Thema hat. Ein Fries aus zwölf Stahlplatten (90 x 90 cm) ist zu sehen, behandelte Oberflächen, wahlweise mit Säure verätzt, scharfen Gegenständen zerritzt oder Worten bedruckt: „Ein hopper tantz ich will geigen...“ Dabei bleibt das Totentanzmotiv unaufdringlich, meist zurückgenommen in den geschwärzten Flächen des Stahls. Es ist die Angst ums eigene Leben, die hinter dem Fries die leeren Höhlen, das Grinsen des Totenkopfs auszumachen sucht.
Sieben Vorstudien zu der Reihe stählerner Platten finden sich im Nebenraum, unter ihnen durchaus figurative Studien klassischer Totentänze. Zwei der graphischen Blätter zeigen parallel verlaufende Kurven und ihre Peaks auf Millimeterpapier – der Versuch, das lethale Geschehen zu illustrieren mit den letzten Daten eines Infarktpatienten? Ein junger Ausstellungsbesucher und sein Vater identifizieren sie als Kurven eines Wehenschreibers. Solange die Ausschläge konvergieren, dauert die Wehe an, die Herztöne des Kindes werden schwächer, sein Zustand verschlechtert sich. Die alte Rede vom Ringen um Leben und Tod beruht – so verstanden – auf einem (physikalischen und musikalischen) Resonanzphänomen. War es nicht im mittelalterlichen danse macabre gerade der Knochen-, der Sensen-, der Spielmann, der unerkannt und einzeln dem Lebenden entgegentrat, zum Tanz aufforderte und so in seinen Rhythmus zwang, bis sich der Totgeweihte fügte und einreihen ließ in den letzten aller Reigen?
Die Grausamkeit und Monotonie in der Darstellung des Todes beschäftigen mich seit geraumer Zeit, sagt Diana Obinja. Welche Bilder, Gesten und Verse lassen sich finden für den Tod, den wir nicht erfahren haben? Mit dem Totentanzthema hat sich Obinja in die Zwischenzonen des christlichen Abendlandes vorgewagt, hinein in die Krisen-, Katastrophen- und Pestzeiten, in denen die Menschen Totentänze an die Mauern ihrer überfüllten Friedhöfe malten, um den Schnitter mit seinem eigenen Schreckensbild zu bannen. Media in morte sumus... Ist es wirklich schon so lange her, daß die Toten in unseren Breiten zu tanzen aufgehört haben?
1963 als Kind jüdischer Eltern geboren, wuchs Diana Obinja in Odessa auf. Mit 13 Jahren verließ sie die UdSSR und zog mit ihrer Familie nach Berlin. In Florenz besuchte sie später die Kunstakademie. Ihre Arbeiten bewegen sich entlang des schmalen Grats dreier Kulturen, das ist ihr großes Versprechen. So läßt sich in der (ebenfalls gezeigten) Installation „Hundegebell, Brandgeruch“ der Einfluß von Beuys' Materialästhetik erkennen, doch erinnert der düstere Innenraum mit dem diffus zurückgeworfenen Licht, das sich an der waagerecht im Raum hängenden Kupferplatte wie in einer Pfütze spiegelt, auch an die „Precious Liquors“ einer Louise Bourgeois. Mirijam Schaub
Diana Obinja: „Macabre“. Eine Ausstellung in der Kunstmesse im Kunsthof, Oranienburger Straße 27, 10117 Berlin. Noch bis zum 30. Dezember Di.–Fr. 14–18 Uhr.
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