Sanssouci: Vorschlag
■ „Oidipus“ im Theater Zerbrochene Fenster
Um Wahrheit, Wirklichkeit, Verblendung – und nicht zuletzt um Schicksal geht es in dem Stück „Oidipus“, das auf der vorwiegend düsteren Bühne des Theaters Zerbrochene Fenster gegeben wird. „Nach Sophokles“ spielt das „Theater Affekt“ die klassische Geschichte. Die Figur Demos gibt es in dieser Sage nicht, doch für den Regisseur Lars-Ole Walburg ersetzt sie den griechischen Chor, den Priester und den Hirten. Demos beobachtet, kritisiert und holt nebenbei die Wahrheit aus dem
Szene aus „Oidipus“
Foto: Marcus Lieberenz
Apfel – aber gibt auch den klassischen, tolpatschigen Scherzkeks.
„Nach Sophokles“ heißt hier Ergänzung und Reduktion: Ergänzung um das Heutige, (beispielsweise durch eine sehr filmische Spielweise), und Reduktion in bezug auf „Reinheit“ der Tragödie und Zahl der Akteure. Dramaturg Thomas Hauer nämlich stellte dem Geschehen einen Text voran, der die Sophokles-Version teils verdichtet, teils aktualisiert, trivialisiert und komisch verzerrt. Vor allem aber visualisiert dieser Vorspieltext das Geschehen. Wo sich Sophokles vornehm-zurückhaltend mit einer erzählenden Rückblende begnügt, wird hier der Vatermord gespielt: Zuerst ebenfalls vornehm hinter der Kulisse (allein eine schmale Tür gönnt uns ein paar Einblicke), dann aber als Trash-Western auf der schrägen Bühne, kurz und schmerzlos. Laios muß sterben, weil er den Fremden einen „Motherfucker“ genannt hat. Da holt Oidipus – dem Kostüm nach eine Mischung zwischen gummierter Kanalratte und Adidastechnotypist mit Schreibmaschine auf dem Rücken – umstandslos die Pistole aus der Jackentasche, während das Paar zuvor in zähem Schwertkampf über die Bühne getorkelt war. Solche Brüche ziehen sich konstant durchs Spiel. Beispielsweise umschlängelt Iokaste ihren Mann (und Sohn) gerade dann, als das letzte Fünkchen Hoffnung zu erlöschen droht und sich die grauenhafte Wahrheit abzeichnet – und wird von Oidipus mit einem schnöd-platten, leicht genervten „Ach nö, nich' jetzt, wirklich nicht“ abgewehrt. Auch die Reminiszenz an die großstädtische Technokultur via Sound und grünem Irrlicht in Szenen höchster Verwirrung und Spannung sind naheliegend. Die Verbindung zwischen Klassik und Jetztzeit schlägt die schauspielerische Leistung. Allen voran bewegt sich Thomas Reisinger als Oidipus bestaunenswert sicher auf beiden Ebenen. Petra Brändle
Mit Unterbrechung bis 4.1. im Theater Zerbrochene Fenster
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