Sanktionsstreit EU und Russland: Der Zankapfel
Es gibt mal wieder Streit ums Obst. Das russische Handelsembargo sorgt für Ärger – zur Freude von China und Weißrussland.
Im Alten Land bei Hamburg hat die Apfelernte begonnen. Jetzt pflücken dort wieder die polnischen Saisonarbeitskräfte zu Dutzenden im Akkord – vorwiegend die Sorten Elstar, Jonagold und Boskop. In Ostdeutschland gibt es ganze Alleen mit Obstbäumen, deren Äpfel auf die Straße fallen, wo sie so gut wie niemand aufsammelt. Aber das soll sich ändern. Die Apfelbäume sollen wieder gepflegt und einzeln verpachtet werden. Die Initiative „Mundraub“ stellte sogar eine interaktive Deutschlandkarte ins Netz, die zeigt, welche Apfelbäume wo abzuernten sind.
Mit der Ökologiebewegung entstand ein neues Interesse am Apfel und an alten Apfelsorten. In der DDR gab es dafür „Pomologen“. Einer, Dr. Brudel, im Obstanbaugebiet Werder wohnend, wird bereits seit Jahren ständig zu Vorträgen im Westen eingeladen.
Die wissenschaftlichen Anstrengungen zur Obstbaumverbesserung im Osten gehen auf den russischen Eisenbahner und Gärtner Iwan W. Mitschurin zurück. Ihm gelang es unter anderem kälteresistentere Obstsorten zu züchten, sodass auch in Sibirien Apfelbäume gedeihen konnten. Stalin erklärte ihn daraufhin zum Volkshelden und übergab ihm ein großes Obstanbau-Versuchsgut. Nach seinem Tod machte man aus dem „Mitschurinismus“ eine ganze „proletarische Biologie“, die gegen die „bürgerliche Genetik“ ins Feld geführt wurde. Aber diese Schweinebande war leider zäher als die Sowjetunion.
Derweil versuchen die Bayern, einem „Korbiniansapfel“ zum Durchbruch auf dem Obstmarkt zu verhelfen: Der wegen „Beleidigung des Führers“ 1934 ins KZ Sachsenhausen eingelieferte Priester Korbinian Aigner hatte im Lager angefangen, Äpfel zu züchten, die er K1, K2, K3, K4 nannte und auch malte. Seine Apfelbilder wurden vor einiger Zeit in München ausgestellt. Nach seiner Freilassung befand er einzig K3 als gut genug, um weitergezüchtet zu werden.
„Golden Delicious“
Nach dem Tod des Pfarrers 1960 benannten seine Pomologenfreunde die Sorte in Korbiniansapfel um – der ließ sich jedoch nicht durchsetzen, denn damals wurden gerade mithilfe von EG-Prämien in Höhe von 50 Pfennig pro Baum fünf Millionen Apfelbäume gefällt: Den Verantwortlichen schwebte dabei im Endeffekt ein EG-weiter „Einheitsapfel“ vor. „Golden Delicious“ hieß dann dieses Scheißding. Ungeachtet dessen gibt es heute in Deutschland (wieder) rund 2.000 Apfelsorten – und immer noch finden die Pomologen weitere.
Wenn man will, kann man derzeit von einem Apfelkrieg sprechen – Mitschurin gegen Korbinian, die EU gegen die Postsowjetunion, vor allem geht es dabei um Polen gegen Putin, denn wegen des sich hochschaukelnden Handelsembargos traf es besonders die polnischen Äpfel, die massenhaft nach Russland exportiert wurden. Die polnischen Apfelbauern reagierten darauf mit einer Kampagne: „Polen, esst einheimische Äpfel!“
Bald warb auch der deutsche Landwirtschaftsminister für einheimische Äpfel – mit dem Spruch: „An apple a day keeps the Putin away!“ Laut Spiegel forderte er die Bevölkerung wegen des russischen Lebensmittelembargos auf, die davon betroffenen Produkte selbst zu essen. Obst könne man „zu Beginn am frühen Morgen“ und „fünfmal am Tag“ essen – in verschiedenen Variationen; „chefkoch.de“ empfiehlt zum Beispiel „Russische Apfeltorte“ – und verrät ein Konzept mit Korbinian-Äpfeln.
So gut wie niemand berichtet derzeit über die Situation der russischen Apfelbauern, denn auch bei denen ist jetzt Erntezeit und wegen des von der EU angezettelten Handelskrieges ist auch ihnen ein großer Teil des Absatzmarktes für ihre – zudem wenig lagerfesten – Äpfel weggebrochen. Zwar nimmt der Chinese auf die Schnelle wenigstens einen Teil der Ernte ab, aber was tun mit der Hauptmasse? Auch hier ruft die Presse nun die Bevölkerung auf, Äpfel zu essen; die Iswestija empfiehlt ihren Lesern verschiedene Zubereitungsarten – darunter ist witzigerweise ebenfalls eine „Apfeltorte“ – aus Mitschurin-Äpfeln.
Jeder zweite Apfel wächst in China
Gewinner des Apfelkriegs ist Weißrussland, das nun polnische Äpfel, aber auch alle anderen EU-Produkte importiert, sie als „weißrussische“ umdeklariert und nach Russland weiterverkauft. Auch die anderen Apfelanbauregionen der Welt – Südtirol, Südafrika, Neuseeland, Chile, Kalifornien – wittern Morgenluft. Den deutschen Apfelanbauern macht neben dem russischen Embargo noch die chinesische Exportoffensive Sorgen: „Chinesisches Obst ist groß im Kommen“, sagen die hiesigen Händler. China ist der weltgrößte Apfelproduzent, jeder zweite Apfel wächst dort – meist sind es süße Fujis aus den nordöstlichen Provinzen.
Die Chinesen produzieren 22 Millionen Tonnen im Jahr, die Deutschen unter einer Million. „Jetzt drängt China auch noch auf den Biomarkt und macht den Ökobauern aus Deutschland Konkurrenz. Ausgerechnet mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hat das Land ein Ökosiegel entwickelt“, empört sich der Spiegel. Der Sprecher des Ökoverbands Naturland deutet bereits eine zweite Front im Apfelkrieg an: „Äpfel aus China werden einen Kulturkampf auslösen“, prophezeit er, denn China liegt wie Deutschland auf der Nordhalbkugel, die Äpfel werden also zur gleichen Zeit geerntet.
Übrigens werden dort in einigen Regionen die Blüten der Apfelbäume nicht von Bienen, sondern von Menschenhand bestäubt. Das hat jedoch nichts mit dem Bienensterben zu tun und wird auch schon lange von den Obstbauern praktiziert, „weil die Anatomie der kleinen, in ganz China verbreiteten Asiatischen Honigbiene, ’apis cerana‘, nicht zu der Blüte jener Apfelsorte passt, die dort von alters her angebaut wird.“ Diese Sorte gilt in China als besonders schmackhaft – die Äpfel sind aber auch besonders teuer. Und demnächst gibt es sie auch hier – für unsere Kriegsgewinnler.
Das Appel-&-Ei-Feuilleton erwähnt bei diesem Thema gern die drei schwer bewachten Äpfel der Hesperiden, die Herakles einst stahl. Er schenkte sie Athene, die sie aber in den Garten zurückbrachte. Bei diesen „goldenen Äpfeln“ handelte es sich um Granatäpfel. Etwa so, wie es sich bei den „persischen Äpfeln“ um Pfirsiche (aus China) handelte.
Garten der Hesperiden
Ähnlich ist es beim berühmten Apfelbaum im Paradies, das sich wie der Garten der Hesperiden ebenfalls im Nahen Osten befand (wenn man den Kibbuzniks am See Genezareth glauben darf, gleich hinter ihren Bananenplantagen). Diese Standortbestimmung ignoriert jedoch, dass erst die Israelis dort Apfelplantagen anlegten. Ihre Apfelbauern auf den Golanhöhen und in Galiläa sind in diesem Jahr nebenbei bemerkt schwer enttäuscht, „denn ihre Ernte des Starking-Apfels wurde durch die bis zu 45 Grad Celsius erreichende Hitzewelle fast vollständig zerstört,“ wie israel heute meldet.
Das Rosengewächs Apfel (Malus Mill.) gibt es dort noch nicht lange, dafür aber Granatapfelbäume (Punica granatum). Aus ihrer Frucht lässt sich das Verhütungsmittel Hesperidin gewinnen. Deswegen spricht man auch vom „Baum der Erkenntnis“. Und es ist klar, warum die Bibelautoren meinten, mit so einem aufklärerischen Wissen dürfen die Leute auf keinen Fall im Paradies bleiben. Draußen bekamen sie dafür später ein „Oekumenisches Liederbuch“ in die Hand gedrückt – mit der unmissverständlichen Aufforderung „heute noch einen Apfelbaum zu pflanzen“.
Die Ernährungsberater dichteten daraufhin: „An Apple a Day keeps the Doctor away!“ Mehr als 30 Vitamine, wichtige Spurenelemente und wertvolle Mineralstoffe wie Phosphor, Kalzium, Magnesium und Eisen trägt ein durchschnittlich großer Apfel in und unter seiner Schale. Und ein großer Baum trägt rund 1.000 Äpfel, damit kommt man gut über den Winter. Angeblich helfen sie auch gegen Depressionen und Zukunftsängste: 1985, ein Jahr vor „Tschernobyl“, gelang dem TV-Aufklärer Hoimar von Ditfurth ein Bestseller mit dem Titel: „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit“. Sein Buch beginnt mit den Worten „Endzeit … es steht nicht gut um uns“ (Atomkrieg, Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion, unfähige Politiker).
Eine ökonomische Hoffnung kam jedoch nicht mit immer mehr Apfelbäumen auf, sondern mit der Elektronik für jederman – die man dann sinnigerweise „Apple“ nannte. Der US-Computerkonzern scheute sich nicht, den Namen samt Apfelmotiv quasi von der Londoner Plattenfirma „Apple Corps“ zu klauen, die 1968 von den Beatles gegründet wurde. Der Konzern verteidigte sich damit, dass die Kunden die beiden Logos schon zu unterscheiden wüssten. „Pferde stehlen, Äpfel schälen – das war Babuschka!“, sang damals der tschechische Russenknecht Karel Gott.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Vorteile von physischen Spielen
Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum
Stromspeicher für Erneuerbare Energien
Deutschland sucht die neue Superbatterie